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Bild aus Trio-Tagen: Michaela Buchholz, Klaus-Peter Werani und Hanno Simons. Foto: Ensemble Coriolis
Bild aus Trio-Tagen: Michaela Buchholz, Klaus-Peter Werani und Hanno Simons. Foto: Ensemble Coriolis
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Tiefgründige Symbiosen in neuen Konstellationen

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Das Ensemble Coriolis bindet mit seinen Konzerten zahlreiche Akteure der Münchner Szene ein
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Das Ensemble befindet sich im Umbruch. Was als Trio Coriolis begann, könnte bald in anderer Besetzung seine Fortsetzung finden. Nachdem die Geigerin Michaela Buchholz das Trio verlassen hat, erproben derzeit Bratschist Klaus-Peter Werani und Cellist Hanno Simons – Mitglieder des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks – als Ensemble Coriolis neue Konstellationen. Spätestens zum Abschluss der Planung der nächstjährigen Konzertreihe HörBlicke21 muss die Entscheidung gefallen sein.

Entstanden war das Trio Coriolis aus projektbezogener Zusammenarbeit. Seit 2005 fand unter diesem Namen eine rege Konzerttätigkeit statt, zunächst ohne bestimmte inhaltliche Fokussierung. An zeitgenössischer Musik interessiert (Werani schrieb eine Magisterarbeit zur Musik von Luigi Nono) und in deren Interpretation erfahren, nahm das Trio aber stets Werke des 20. Jahrhunderts ins Repertoire auf. Eine gewisse Programmatik ist zudem im Namen des Ensembles ablesbar, bezieht er sich doch auf Gaspard Gustave de Coriolis, der die später nach ihm benannte Kraft 1835 erstmals mathematisch herleitete. Eine Kraft, die in rotierenden Bezugssystemen zusätzlich zur Zentrifugalkraft auftritt. Auf Musik übertragen, geht es also weniger um eine feste Ausrichtung, als vielmehr um einen offenen Umgang mit nach außen gerichteten Kräften und Spannungsverhältnissen mit verschiedenen musikalischen Standpunkten und ästhetischen Konzepten ohne Beschränkungen, sei es auf bestimmte Komponisten oder Epochen.

Konkrete Formen nahm dieses Konzept erstmals im Rahmen der Konzertreihe HörBlicke21 an. Hier sollte Musik nicht isoliert präsentiert werden, als vielmehr stets interdisziplinär in Bezug zu anderen Künsten stehen. Ein Novum dabei: In jedem Konzert eine Uraufführung. Ein ehrgeiziges Konzept nicht nur in künstlerischer Hinsicht, denn nur in Eigenregie umsetzbar, ohne auf ein breites Publikum bauen zu können. Ein Herzblutprojekt also, bei dem die Musiker schon bisweilen aufgrund des organisatorischen Aufwandes – die Finanzierung muss mit Fördergeldern gesichert sein – an die Grenzen der Belastbarkeit stoßen.

Ehrgeizig ist dieses Projekt aber vor allem in inhaltlicher Hinsicht, muss jedem Konzert eine sorgsame Forschungs- und Konzeptionsarbeit vorausgehen. In Kooperation mit der Münchner städtischen Galerie Lothringer13 setzten sich die Musiker in der ersten Reihe 2010 mit den Arbeiten der Londoner Künstlergruppe „Diving for Pearls“ auseinander. Mit Werken von Samy Moussa, Matthias Pintscher und Atac Sezer, die den Umgang mit Klang zum Thema gewählt hatten, setzte das Trio Coriolis eine Komponistengruppe (Lehrer und Schüler) entgegen. Im zweiten Konzert fand eine experimentelle Installation von Lisa Erb eine Entsprechung in Kompositionen, die mit vielschichtigen Texturen und komplexen Strukturen von Jonathan Harvey, Fredrik Zeller und Arnold Schönberg Grenzen durchschreiten und eine neue Kausalität suchen. Mit Arbeiten der Künstlerin Anna Witt in Beziehung gesetzt, bekam schließlich auch ein sozialkritischer Aspekt musikalisches Äquivalent. Der Interpretation, Analyse und Ironisierung tradierter sozialer Rollen, die sich dem Themenfeld Autonomie und Freiheit innerhalb einer Zivilgesellschaft stellten, begegneten Kompositionen von Nicolaus A. Huber, Iris ter Schiphorst sowie Beethoven.

Eine andersgeartete Konzeption und Vorgehensweise erforderte die Konfrontation mit dem Medium Film (Auswahl Michal Kosakowski), die in der zweiten Reihe der HörBlicke21 im MUG (Münchner Untergrund im Einstein Kulturzentrum) 2011 stattfand. Die Dimensionen von Zeit und Bewegung erweiterten analog das musikalische Ausdrucksspektrum. In Drehbewegungen (Coriolis-Kräfte am Werk) – unter Berücksichtigung des Aspekts der Vergänglichkeit etwa durch aufbereitetes Archivmaterial in Filmen des US-Amerikaners Bill Morrison (Filmmusik von Michael Gordon) – fand das Ensemble Parallelen zu Kompositionen von Walter Zimmermann, dessen Einsatz einer Töpferscheibe eine direkte Verbindung herstellte, sowie von Albert Breier, in dessen „Schattenwechsel“ eine Auseinandersetzung mit dem Zeitbegriff in der chinesischen Malerei stattfindet. 

Um abstrakte Strukturen ging es indes einmal mehr in surrealen Filmen des Tschechen Jan Švankmajer und des Polen Zbigniew Rybczynski. Unter den Aspekten der Zwänge und deren Lösung konfrontierte das Trio das Filmmaterial mit Kompositionen von Francisco Guerrero und Tom Sora. Den Schlusspunkt setzte eine Gruppe von Arbeiten, die über das äußerlich Wahrnehmbare hinausgehend tief in ihren Gegenstand vordringen und auch das Denken enthüllen. Die Auslegung der Ereignisse des 11. September des Franzosen Edouard Salier im Film bekam ihre Entsprechung in der Erkundung der conditio humana in der Musik von Mark Andre. Aus der Reduktion auf ein Element – im Film des Polen Michal Kosakowski die Verwandlung des Äthers in ein unendliches Öl-Meer, in der Musik von Thomas Lauck der Bann des Feuers – ging das künstlerisch überaus sinnenhafte Statement hervor. 

Bei einer derart komplexen und anspruchsvoll ausgearbeiteten Konzeption ist es nur verständlich, dass eine neue instrumentale Konstellation nicht auf die Schnelle zu bewältigen ist. „Lieber ein Jahr Pause“, sagt Simons. Doch das Thema für die nächstjährige Fortsetzung steht: Neue Musik und Urbanität. Münchner Komponisten sollen in Korrelation zu bestimmten Aufführungsräumen mit Werken beauftragt werden. Dahinter steht die Idee, die Stadt in verschiedenen Lebensbereichen in einen künstlerischen Prozess einzubinden. Ein Ansatz, der Neue Musik in München außerhalb der großen Festivals endlich aus dem Nischendasein ins öffentliche Bewusstsein hieven könnte.

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