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Das Gespräch mit Altverleger Bernd Bosse führten Barbara Haack, Juan Martin Koch und Andreas Kolb. Foto: Juan Martin Koch
Das Gespräch mit Altverleger Bernd Bosse führten Barbara Haack, Juan Martin Koch und Andreas Kolb. Foto: Juan Martin Koch
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War es nicht erst gestern? Zum 90. Geburtstag des früheren nmz-Herausgebers Bernhard Bosse

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Darauf bin ich stolz: mein „Verleger-Vater“ hat das deutsche Musikleben in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts ganz entscheidend mitgeprägt. Stark aus eigener Kraft – lange Zeit ohne den materiellen Background althergebrachter GEMA-Zuflüsse, die anderen Musikverlagen nach dem Krieg den Neustart erleichterten. Als musikpolitischer Pionier lüftete er die teils immer noch muffigen Schlafzimmer der bundesrepublikanischen Musikszene gründlich durch. Mit klugem Blick für das notwendig Neue und einer feinen Spürnase für verantwortungsvoll Machbares hat er ein wirkungsvolles Verlagshaus geschaffen, das weit über Bernd Bosses Pensionierung hinaus Modellwert besaß. 15 Jahre durfte ich bei Dir lernen, einiges habe ich begriffen. Dafür, lieber Bernd, dankt Dir
Dein Theo

neue musikzeitung: Was würden Sie als Ihre wichtigen musikverlegerischen Erfolge bezeichnen?

Bernhard Bosse: Die erste Entscheidung für ein Produkt, die ich als junger Verleger gefällt habe, ist die wichtigste in meinem Leben geworden: Es war die Gründung der neuen musikzeitung. Aus heutiger Perspektive ein völliger Aberwitz, weil ich damals 1951/52 keine Ahnung hatte, was die Gründung und die Durchsetzung einer Zeitung an Finanzmitteln erfordert. Aber gerade das erwies sich als Vorteil. Hätte ich gewusst, auf was ich mich da einlasse, hätte ich diesen verlegerischen Wurf wohl nie gewagt. Es hat Jahre gedauert, bis wir aus dem Tief herausgekommen sind.

Die nmz verkörperte eine neue Idee: Musikjournalismus. Das begann beim Format der Zeitung und setzte sich fort im Inhaltlichen, etwa dem Gegeneinanderstellen verschiedener Meinungen und einer Vielzahl von Redakteuren und Autoren, deren Namen in Musikzeitschriften bisher noch unbekannt waren. Die wichtigste Neuerung war die Tatsache, dass wir weggingen vom akademischen Stil, den alle anderen Musikzeitschriften pflegten – das gilt auch für die Vorgängerin im Bosse-Verlag, die alte Robert Schumannsche „Zeitschrift für Musik“. Als Ersatz für die „Zeitschrift für Musik“ habe ich 1952 die nmz gegründet.

Ein anderer zentraler Punkt in der Verlagsgeschichte war die regelrechte „Erfindung“ der neuen geistlichen Lieder.

nmz: Wer hat die erfunden?

Bosse: In meinem Falle war es Pfarrer Hegele, der evangelische Studentenpfarrer der Universität München. Er hatte in der evangelischen Akademie Tutzing eine Wochenendtagung ausgeschrieben: „Kirchenmusik wohin?“. Ich bin kein ständiger Kirchgänger, aber ich hatte trotzdem mitbekommen, welch jämmerliche Geschichte im Gottesdienst abläuft, wenn die Gemeinde singen soll. Meist lässt sie sich von der Orgel eine Viertelnote hinterher schleppen, weil die Mehrzahl der Gemeindemitglieder nicht weiß, wie der nächste Ton klingt. Auch zu den vielen barocken Texten, zu überzogenen, himmelnden Adjektiven hatte der moderne Mensch ohnehin keinen Bezug mehr.

Gemeindegesang dieser Art entsprach einfach nicht mehr den gesellschaftlichen Gegebenheiten. Das heißt, ein erfolgreicher Verleger muss stets  ein Feeling für den Zeitgeist entwickeln und ausspielen, um seinem kulturpolitischen und gesellschaftlichen Auftrag gerecht zu werden.

Die Akademie Tutzing beschloss, einen deutschlandweiten Kompositionswettbewerb auszuschreiben, für den ich mich als Verleger anbot. Das Lied, das den ersten Platz bei diesem Wettbewerb gemacht hatte, hieß „Danke, für diesen guten Morgen“. Dieses Lied des evangelischen Theologen und Kirchenmusikers Martin Gotthard Schneider war so erfolgreich, dass es in noch nicht einmal drei Jahren in 26 Sprachen übersetzt wurde. „Danke“ wird heute nach 50 Jahren noch gesungen. In der Folge von „Danke“ sind zahllose Lieder entstanden, alleine im Bosse-Verlag zwischen 500 bis 600. Davon sind etwa 30 bekannt geworden. Sie wurden in der evangelischen wie katholischen Kirche zu Evergreens.  

nmz: War dies nicht auch die Zeit, in der eine enge Zusammenarbeit mit dem Verband deutscher Musikschulen entstand?

Bosse: Ein weiterer großer Verlagserfolg war die musikalische Früherziehung. Diethard Wucher, von 1969 bis 1990 Präsident und Geschäftsführer des VdM, entwickelte 1968 den VdM-Modellversuch „Musikalische Früherziehung“ mit dem Ziel, Kinder zu fördern und im Besonderen auf den späteren Instrumentalunterricht vorzubereiten. Eckart Rohlfs habe ich zu danken, dass er mich damals auf diesen Modellversuch aufmerksam gemacht hat. Rohlfs spielte im Verlag eine besondere, eigene Rolle. Er war ein guter Geist. Als Chef und Manager deutschlandweiter Unternehmungen wie „Jugend musiziert war er stets konfrontiert mit Ideen und Entwicklungen aus dem Bereich der Musikpädagogik und im Verbandswesen, die immer wieder auch ihren Niederschlag in der nmz und in Verlagsunternehmungen fanden.

Ich konzipierte das Angebot musikalische Früherziehung so, dass wir außer der Herstellung und dem Vertrieb der Fibeln und Elternbriefe auch den Vertrieb der Schüler-Glockenspiele, der Taschen für die Schüler, der benötigten Malkreiden und Notenhefte für den Verband der Musikschulen übernahmen. Es war eine Sternstunde für den Verlag, der uns vom kleinen Unternehmen schlagartig zu einem mittelgroßen Verlag machte.

Darüber hinaus war die musikalische Früherziehung der Start für die gesamte Abteilung „Schulmusik“ oder „Musik in der Schule“, die der Bosse-Verlag dann aufgezogen hat – mit entsprechender Rubrik in der nmz.

Eine Sache, die mich sehr bewegt und mir wahnsinnig viel Spaß gemacht hat, war der Musik-Almanach – auch das eine spontane Idee von Eckhart Rohlfs. Bei einem Treffen in München mit Karl Vötterle, der seit 1957 Inhaber des Bosse-Verlag war, sagte dieser: „Das macht ihr beide.“ Diese so folgenreiche Entscheidung fiel um Mitternacht unter einer Straßenlaterne.

Die Unternehmung sollte im Bosse-Verlag durchgeführt werden. Der damalige Präsident des Deutschen Musikrates, Richard Jakoby, Chef der Hochschule für Musik in Hannover, fand daran keinen Gefallen. Er schrieb mir, der Bosse-Verlag wäre zu klein und vertriebsmäßig hätte er für ein so umfangreiches Projekt nicht die ausreichende Power. Er beabsichtigte, den „Musik-Almanach“ einem ganz großen Musikverlag zu übertragen, wobei der Deutsche Musikrat als Herausgeber fungieren sollte. Jakoby war der Meinung, dass der Musikrat als Herausgeber berufen sei. Ich habe ihm in einem netten Brief geschrieben, Eckart Rohlfs und ich hätten bereits sehr viel Vorarbeit geleistet und nach dem Urheberrechtsgesetz gehöre das Projekt rechtmäßig in den Bosse-Verlag. Dann hieß es, es müsse ein größerer Vertriebsapparat her. 

Ich konterte, dass der Bosse-Verlag ja mit dem Bärenreiter-Verlag verheiratet wäre, der vertriebsmäßig stark genug sei. 1986 wurde der Musik-Almanach, herausgegeben von Andreas Eckhardt, Richard Jakoby, Eckart Rohlfs für den Deutschen Musikrat, Gustav Bosse Verlag Regensburg/Bärenreiter-Verlag Kassel, als zentrales Nachschlagewerk zum Musikleben in Deutschland erstmals publiziert und seither jedes dritte Jahr neu aufgelegt.

nmz: Gab es auch verlegerische Projekte, die – zumindest wirtschaftlich – ein Flop waren?

Bosse: Ich habe viel zu lange wissenschaftliche Arbeiten herausgegeben, bei denen ich mich mit der Finanzierung der Herstellungskosten begnügt habe. Aber das war ein Selbstbetrug, denn der Anteil der Verlagsgemeinkosten an einer Buchproduktion ist außergewöhnlich hoch, zumal bei den Mini-Auflagen musikwissenschaftlicher Werke. Wenn man mich fragt, ob ich ein Buch verlegt habe, bei dem ich wissentlich Zuschuss geleistet habe, dann kann ich nur sagen: Das habe ich dauernd getan. Wenn ich mich als Verleger mit der Wissenschaft in ein Spiel einlasse, weiß ich, dass ich für das Finanzkonzept eines Jahres eine Mischkalkulation zustande bringen muss, die es erlaubt, diese Bücher herauszugeben, um so auch dem ideellen Auftrag eines Musikverlags gerecht zu werden.

Blattkritik & Kulturpolitik

nmz: Wenn Sie heute einen Blick in die nmz werfen, was haben Sie da für einen Eindruck?

Bosse: Ich kann nur sagen, ich bin mit der nmz, so wie sie sich heute darstellt, sehr glücklich. Auch heute sind noch alle Facetten der alten nmz präsent. Ich will damit nicht sagen, dass sich nichts geändert hat! Heute sind die Möglichkeiten des elektronischen Zeitalters vor allem im Dienst von Gestaltung, Vertrieb und Inhalt eingesetzt. Weiterhin ist die nmz in zwei großen Rundfunkanstalten mit ständigen Sendungen präsent, dito im Fernsehen und das noch junge Filmstudio ermöglicht einen weiteren noch gar nicht absehbaren Ausbau. Wir hatten einen fließenden Übergang innerhalb der Chefredaktion: Theo Geißler ist 1968 zu uns gestoßen und hat fast von Beginn an an allen Redaktionssitzungen als Chef vom Dienst teilgenommen und seine Ideen einbringen können. Wir waren nicht immer einer Meinung und ich habe über manches Thema mit ihm kräftig gestritten, so wie es sich zwischen zwei Generationen gehört. Seine spannungsgeladene „Schreibe“, sein sicherer Blick für kommende Entwicklungen und großes Verhandlungsgeschick prägten ihn. Er wurde mein Nachfolger als Chefredakteur 1983 und als Chef des Verlages 1988. Wichtig scheint mir auch: Die Zeitung hat den großen Aufschwung genommen, als wir 1969 die Kulturpolitik als zentrales Element in der nmz verankerten. Mein Freund Klaus Bernbacher, Chef der Jeunesses Musicales Deutschland und Vorstandsmitglied im Deutschen Musikrat, war durch seinen Rat maßgeblich an dieser Entwicklung beteiligt. Als ich nach dem Tod des damaligen Chefredakteurs Ludwig Wismeyer, der sich vehement gegen den Begriff Kulturpolitik in der Zeitung gewehrt hatte, die Chefredaktion übernahm, ließ ich spontan dieses politische Element einfließen. Es war ein Riesenerfolg. Wir haben die Zeitung innerhalb von drei Jahren von ungefähr 9.600 Lesern auf über 20.000 IVW-geprüfte Abonnenten gesteigert. Dank des damit verbundenen Anzeigenaufkommens war die nmz nunmehr kein Zuschussunternehmen, sondern trug zum wirtschaftlichen Erfolg der gesamten Verlagsarbeit bei.

Starke Frau im Hintergrund

nmz: Wir wissen alle: Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau. Welche Rolle hat Marianne Bosse im verlegerischen Leben von Bernhard Bosse gespielt?

Bosse: Das ist eine gewichtige Frage. Wir, meine Frau Marianne und ich, haben eine Form der internen Zusammenarbeit gefunden, die heute vielleicht selten geworden ist. Wir haben unsere wichtigen Autoren, Mitarbeiter, Herausgeber und die besonderen Multiplikatoren der Verlagsarbeit aus dem Medienbereich und dem Musikmanagement an uns gezogen und in das „Freizeit“-Geschehen der Familie eingebunden. Nachdem wir entweder mit diesen Freunden bewundernd nach einer Bergwanderung die Natur genossen oder nach einem langen Segeltörn auf dem Chiemsee müde waren, war es nach einer deftigen Brotzeit und Hausmannskost aus der Küche von Frau Marianne für alle Beteiligten wunderbar zu erleben, dass sämtliche verlegerischen Probleme in glücklichem Einvernehmen gelöst werden konnten. Sie war und ist die Gastgeberin par excellence.

Darüber hinaus hat sie in unserer beider Verlagsarbeit auch noch den Part des Vertriebschefs in meinem eigenen, im Bernhard Bosse Verlag, in die Hand genommen. Für all „DAS“ und 67 Jahre Ehe habe tausend Dank.  


Lieber Bernd

war es nicht erst gestern, dass wir uns in der Glockengasse, damals  Verlagssitz in Regensburgs Altstadt, getroffen, kennengelernt und zu einer gemeinsamen Unternehmung angefreundet hatten? Ich war einer von jenen, der der gerade erst gegründeten Jeunesses Musicales Boden schaffen sollte. Du, gerade endzwanziger Juniorchef, hast noch etwas draufgesetzt, wolltest dieser neuen musik alischen Jugendbewegung ein Sprachrohr, ein Bindeglied verschaffen. Es wurde zur Geburtsstunde der heutigen „neuen musikzeitung“, damals noch unter dem Titel „Musikalische Jugend“, ungewöhnlich im Zeitungsformat, damaligen JM-Journalen Frankreichs und Kanadas nachempfunden.

Ich staunte über Deinen Mut, gerade aus dem Krieg, aus dem U-Boot aufgetaucht: Als Erbe ist Dir ein großer Musiktradition verpflichteter Verlag zugewachsen. Du verzichtest auf weitere verlegerische Betreuung des Bosse’schen Musikbuchkatalogs und suchst konsequent Deinen Weg. Um das Fortbestehen Deiner eigenen Musikzeitung zu sichern, war Dir der Verkauf der damals unter dem Namen „Zeitschrift für Musik“ zum Verlag gehörenden, einst von Robert Schumann gegründeten „Neuen Zeitschrift für Musik“ nicht zu schade. Für die sich zur kulturpolitischen Streitschrift entwickelnde „neue musikzeitung“ übernahmst Du selbst die Chefredaktion mit Sitz in unserer Münchner Bürogemeinschaft in der Hirschgartenallee, in der sich unter anderem Jeunesses Musicales, „Jugend musiziert“ und Tonkünstler-Verband für viele Jahre zusammenfanden. Im Rückblick erscheint mir dies als die fruchtbarste und auch menschlich erfreulichste Schnittstelle unseres gemeinsamen Anliegens. Du gewannst Vertrauen bei weiteren Partnern der musikpädagogischen Szene und unser permanenter Gedankenaustausch brachte eine Legion kreativer Anregungen. Du verstandest als Verleger wie als Redakteur Nischen aufzuspüren, brisante Probleme aufzugreifen und mit einer Vielzahl aktueller Publikationen zu beantworten. Nachhaltigste Schnittstelle, denke ich, war die Idee jenes, alle Strukturen des deutschen Musiklebens erfassenden Nachschlagewerks mit dem Arbeitstitel „Musik-Almanach“; doch von den ersten Entwürfen bis zur Realisierung, dann in redaktioneller Obhut des Deutschen Musikrats, brauchte es immerhin 20 Jahre.

60 Jahre, gleiche Jahrgangzählung wie die nmz, haben uns in Freundschaft verbunden in sachlicher und fachlicher Zusammenarbeit, über Höhen und natürlich auch Tiefen hinweg. Wie oft durfte ich Gast sein in Deiner Familie, umsorgt von Deiner Marianne! Auch Ermo I, II und III haben mich geduldet. Oft erzähltest Du von Deiner anderen Baustelle, Deinem gelungenen Ehreneinsatz als Wächter der Regensburger Altstadt. Wie schön war es, wenn wir uns am Chiemsee auf Deinem Segelboot frischen Wind um die Ohren wehen lassen durften, frischer Wind, wie er uns in ständiger Wechselwirkung sechs Jahrzehnte hindurch voller Spannung und erfolgreicher Initiativen gemeinsam auf Trab gehalten hat. Was ich dabei gewonnen habe – wie bin ich dankbar dafür!

Eckart Rohlfs

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