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Musik als Ware auf dem Markt der Medien

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Zur Diskussion um die akustische Inflation informiert ein neuer Band
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Klaus Peter Richter: Soviel Musik war nie. Von Mozart zum digitalen Sound. Eine musikalische Kulturgeschichte. München 1997, Luchterhand, 237 Seiten, 36 Mark.„Soviel Musik war nie“ – Klaus Peter Richters Buch leistet zur anhaltenden Diskussion um die „akustische Inflation“ unserer Tage einen beachtenswerten Beitrag. „Kuschelklassik in der Hotellobby und Händel als Telekom-Schlaufe. Die ganz großen Umsätze aber macht die Pop-Musik.“ So pointiert umschreibt der Münchner Musikwissenschaftler die Situation. Um diese aufzuarbeiten, fängt Richter ganz weit vorne an: In einem Geschwindmarsch durch die abendländische Musikgeschichte legt er schlüssig und umfassend dar, daß die Entwicklung des musikalischen Satzes seit Ende des 18. Jahrhunderts zur „langsamen Entkopplung von Struktur und menschlichem Mitvollzug“ geführt habe. Spätestens seit Schönberg verweigere sich der Hörer einer Musik, die nicht mehr verstanden werden wolle, und suche Zuflucht entweder bei älterer klassischer oder bei der populären Musik. Die Folgen: ein „Auseinanderfallen des Musiklebens in ‚oben‘ und ‚unten‘“ bis hin zu den heutigen Reservaten von E- und U-Musik. Im zweiten Teil charakterisiert Richter ebenso scharfsichtig die gegenwärtige Musiklandschaft: Nach dem technologischen Sündenfall durch die Erfindung der Tonaufnahme ist Musik heute – auf dem Sprung in die digital vernetzte Informationsgesellschaft – im Kampf der Mediengiganten als Ware korrumpiert, die nicht mehr nach ästhetischen, sondern wirtschaftlichen Kriterien behandelt wird. Dabei blickt Richter durchaus über den Tellerrand hinaus und zeigt die kulturellen und soziologischen Bedingungen seines Befundes auf. Und der ist getränkt von einer Menge Kulturpessimismus. Mit der Schreckensvision einer „geklonten“ Callas, die man heute mit den Mitteln der digitalen Studiotechnik Partien singen lassen könne, die sie nie wirklich gesungen habe, rückt Richter das Musikbusiness in die Nähe skrupelloser Gentechnologen. Das Diktum vom „Untergang des Abendlandes“ liegt in der Luft. Richters Sprache ist kunstvoll geschliffen, manchem vielleicht zu feuilletonistisch. Auch seine Argumentation ist eher plakativ reihend als verifizierend. Seine Polemik läßt durchblicken, daß das „englisch und poppig“ tönende „kulturelle Grundrauschen der Zeit“ seine Sache nicht ist; ein gewisser Dünkel gegenüber populärer und ethnischer Musik ist nicht zu überhören. In beiden Teilen des Buches erweist der Autor sich als meisterhafter Diagnostiker. Was er schuldig bleibt, ist eine Therapie. So bezieht er etwa den permanentem Rückbau ausgesetzten Bereich der musikalischen Bildung nicht in seine Betrachtungen ein. Vielleicht hätte das den Rahmen des Buches gesprengt, vielleicht aber hat er einfach kein Rezept. Und wer wollte ihm das denn angesichts heutiger Musikpräferenzen zwischen „Love Parade“ und dem „blinden Boxer“ (Andrea Bocelli) übelnehmen?

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