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Musikalisch-cineastische Reise zum Mond

Untertitel
Die „Crew“ des Jugendorchesters Duisburg wagt Ungewöhnliches
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„Hereinspaziert, meine Damen und Herren! Vergessen Sie alles, was Sie bisher gesehen haben! Haben Sie keine Angst! Nur Mut!“ Im Hintergrund tönt leise die Moonlight-Serenade und Major Toms „Völlig losgelöst von der Erde ...“. Und schon habe ich – überreicht von einer freundlich lächelnden Stewardess – die Kotztüte in der Hand. Dies ist nicht der Beginn eines Besuchs im Erlebnispark mit Achterbahnfahrt, sondern das Vorprogramm eines Konzertes der ganz besonderen Art: „Eine Reise zum Mond. Eine musikalisch-cineastische Simulation mit der Crew des Jugendorchesters Duisburg“ (die Premiere fand bezeichnenderweise am „Himmelfahrtstag“ statt). Bereits vor der Tür des Kinos, das die Veranstalter für unsere „Reise zum Mond“ ausgesucht hatten, frage ich mich, was mich an diesem Abend sonst noch erwartet, und lasse mich im Aufgang von kleinen Wegweisern und freundlichem Bordpersonal durch verschiedene Sicherheitschecks und Hygieneduschen (oder war es doch nur ein Staubsauger?) bis zum Saal leiten, in dem intensives Maschinenbrummen zu vernehmen ist. Herzlich willkommen! Überall aufgeregte Stewards und Stewardessen. Fragen geistern durch den Raum: „Wann geht es denn endlich los?“ „Ist ein Arzt an Bord?“ „Ist das Ihre erste Reise zum Mond?“ Pünktlich um 20 Uhr nimmt das Orchester auf der Bühne vor der Kinoleinwand Platz, die Maschinengeräusche verstummen. Eine freundliche Stimme aus dem Lautsprecher: „Guten Abend meine Damen und Herren! Im Namen von Spaceforum, Captain Krause und der Besatzung begrüße ich Sie an Bord unserer Raumfähre auf dem Flug zur Mondstation Sirius 6. Die Flugzeit beträgt etwa eine Stunde und 45 Minuten, die Fluggeschwindigkeit durchschnittlich 28.000 km/h. Wir möchten Sie bitten, die Sitzgurte zu schließen und festzuziehen. Aus Sicherheitsgründen bitten wir Sie, an Bord keine elektronischen Geräte zu benutzen. Vielen Dank! Good evening Ladies and Gentleman ...“. Dann geht es los mit dem Star Wars. Auch die obligatorischen Sicherheitsanweisungen dürfen nicht fehlen. Freundliche Stewardessen erläutern die Benutzung von Sicherheitsgurt, Sauerstoffmaske und Schwimmweste. Begleitet von der Big Band – bestehend aus Orchestermitgliedern – verabschiedet sich der Stewardessen-Chor singend und tanzend. Jetzt noch die persönliche Begrüßung des Captains mit einigen Sachinformationen zu Fluggeschwindigkeit und Schubkraft. Im Hintergrund – pulsierend an- und abschwellend – die Stimmgeräusche der Streicher, die nach und nach an Lautstärke zunehmen. Zuletzt ein dröhnendes Toben, das sich auflöst in einen strahlenden Akkord und nahtlos in den Beginn des Strauß’schen Walzers „An der schönen blauen Donau“ mündet – begleitet von Szenen der Schwerelosigkeit aus dem Film „2001 – Odysse im Weltraum“. Der Start ist gelungen – Zeit für eine Pause. Gestärkt durch käuflich zu erwerbende Delikatessen wie Popcorn, Eis und Astronautenkost, eingedeckt mit Souvenirs (Mondgestein aus Duisburg-Ruhrort und Duty-free-Angeboten), treten wir in die Umlaufbahn des Mondes ein. Die Unterhaltung durch das Bordkino bietet eine reichhaltige Auswahl an Filmen, die uns als Trailor vorgeführt werden. Vollständig genießen dürfen wir dann den ersten Stummfilm zum Thema Mondreise „Le voyage dans la Lune“ von 1902 von Georges Méliès – begleitet von selbstgeschriebener Stummfilmmusik. Die Anziehungskraft des Mondes beginnt sich auszuwirken. Das Gefühl der Schwerelosigkeit hat ein Ende. Wir sind im Landeanflug. Noch der Filmmusik zu „Apollo 13“ lauschend, nimmt die allgemeine Hektik zu – steigert sich zur Panik. Die Musik bricht zusammen, wird zu ohrenbetäubendem Lärm. Schreie sind zu hören, Rauch steigt auf. Eine gewaltige Explosion – dann Stille ... Leise die Stimme des Hausmeisters: „Über den Sternen, da wird es einst tagen, da wird dein Hoffen und Sehnen gestillt ...“. Im heller werdenden Licht wird das volle Ausmaß der Verwüstung sichtbar. Eine Bruchlandung, die auf den Magen ging. Der Captain versucht verzweifelt, alle zu beruhigen, die Stimmung zu retten. „Wir danken Ihnen für Ihr Vertrauen. Fliegen Sie bald wieder mit uns. Demnächst zum Mars ... Spielen Sie, spielen Sie ...“. Aus Gustav Holsts „Planeten“ erklingt „Der Mars“. Ein Konzerterlebnis, das unter die Haut ging – ein Programmheft, das keine Sachinformationen zur Musik, sondern literarische Gedanken zum Thema Mond bot – eine ungewöhnliche Form, sich musikalisch und inhaltlich mit einem Thema auseinanderzusetzen. All dies hat die Jury des Jugendorchester-Wettbewerbs der Jeunesses Musicales Deutschland e.V. dazu bewogen, den ersten Preis an das Jugendorchester Duisburg zu vergeben. Dieses Orchester besteht nun schon seit 23 Jahren – zunächst als Schulorchester gegründet auf Initiative von Schülerinnen und Schülern des ehemaligen Gymnasiums Stadtmitte – mittlerweile nun aber in freier Trägerschaft. Besonderes Anliegen des Orchesters: Die Musik des 20. Jahrhunderts. In der Gestaltung von thematisch gebundenen Programmen hat sich für das Jugendorchester Duisburg ein Weg erschlossen, ganz neue Zugänge zur ernsten Musik unseres Jahrhunderts zu finden. So entstanden in den vergangenen Jahren Programme wie eine Wild-West-Show unter dem Titel „Lockruf des Goldes“, aber auch sehr ernste Auseinandersetzungen mit politischen Themen – z.B. „Märsche, um den Sieg zu verfehlen. Zur Kulturgeschichte und politischen Verfügbarkeit einer musikalischen Gattung“ oder eine Hommage an Erwin Schulhoff, der 1942 im KZ Würzburg umgekommen ist. Seit einigen Jahre wagt das Jugendorchester Duisburg auch bewußt den Schritt hinaus aus dem Konzertsaal. Mit seiner Produktion „Maschinenträume – Mechanische Phantasien in der Musik“ (1995) ging es in die Mechanische Hauptwerkstatt der Thyssen Stahl AG. Das letze Projekt im Juni 1997 (in Koorperation mit dem Theater Oberhausen) zum Thema „Wasser“ – mit dem leicht durch Lokalkolorit gefärbten Titel „An der schönen blauen Emscher“ – wurde im Klärwerk Emschermündung in Dinslaken aufgeführt. Das Jugendorchester Duisburg (unter der fachkundigen Führung von Markus Lüdke) hat einen Weg beschritten, der ungewöhnlich ist und viel konzeptionelle Arbeit und gute Ideen erfordert, der aber auch allen Orchestermitgliedern großen Spaß macht und ihre Kreativität fördert. Das Orchester bezieht nicht nur politische und lokale Themen in seine Arbeit ein, sondern reagiert auch auf aktuelle Geschehnisse und Trends – wie mit der „Reise zum Mond“ auf das momentan wieder ausgebrochene und ungebrochene „Star-Trek“-Fieber. Für das nächste Jahr sei soviel verraten: auch für das neue Projekt 1998, jetzt schon heftig geplant, wird ein aktueller Anlaß themengebend sein.

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