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Neue Musik mit vielen Gesichtern

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Wolfram Grafs „Kammermusik“ auf CD – zwei Ansichten
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Wolfram Grafs „Kammermusik“ auf CD – zwei Ansichten

Wie anders wirkt dasselbe Stück nach fünfzig Minuten Spielzeit. Am Anfang der CD klingt „Ich-Blick II Ritornell , Opus 184/1“ noch lediglich aufgekratzt, straff und schlank. Der fortwährend drängende Puls mit seinen Sforzati und Synkopen ist prägend, der Klangeindruck orchestral und von Piccolo- und Percussion-Einsätzen konturiert, wirkend wie ein Entr’Act im Stile Schostakowitschs.

An die Komponisten der russischen Moderne erinnern immer wieder auch die folgenden Werke von Wolfram Graf, so das ostinat marschierende „Some folk, Opus 191“ für Cello-Quartett, hervorragend gespielt von den „vier Evangcellisten“ und ebenfalls verblüffend nach einem größeren Ensemble klingend. Doch zurück zu „Ich- Blick II“: Am Ende der Einspielung „Wolfram Graf/Kammermusik I“ ist nochmals dieselbe Aufnahme mit dem Kammerorchester „KlangKonzepteEnsemble Nürnberg“ (Ltg. Hideto Nomura) zu hören – und wie düster wirkt sie nun: Statt des motorischen Drive dominiert ein unheilvoller Ton, infolge der vorangegangenen „Grenzen – drei Stimmungsbilder“ (Opus 159) für Sopransaxophon (Jan Schulte-Bunert) und Klavier. An diesem sitzt Wolfram Grafs renommierter Pianistenkollege Florian von Radewitz und verschmilzt mit seinem Kammermusikpartner zu einem faszinierend intensiven musikalischen Geschehen. Irrlichternd zunächst die „Moorlichter“, auf ihren abrupten Ausbruch folgt nach herausfordernd Kinderliedhaftem die Wiederaufnahme. Das dritte Stimmungsbild „Die Wand“ scheint mit seinen exaltierten Sprüngen, dem Brahm’schen Ausloten der Klaviatur und dem Anrollen der Bässe agitato dagegen anzurennen.

„Ich-Blick IV, Opus 184/4“ für Flöte (Robert Aitken) und Altquerflöte (Martin Seel) erzielt Spannung durch den Dialog zwischen flatternder, konfliktbereiter Diskantkantilene und ruhiger, choralhafter Altlage, zwischen Austausch und Einigung. Philosophisch grübelnd klingt dagegen der „Innengang, Opus 190a“ für Bassquerflöte (Martin Seel) und Celloquartett, der sich im Atemrhythmus herantastet, wie eine Triolog-Genese die weltmusikalisch eingangs, von angerissenen Saiten unterbrochene „Existenz, Opus 153“ für Altblockflöte (Andreas Böhlen), Violine (Geeta Abad) und Marimbaphon (Tobias Guttmann). Eine große Bandbreite und viele Gesichter hat die Tonsprache Wolfram Grafs, die sich der kompositorischen Traditionen bedient für einen handwerklich gekonnten zeitgemäßen Ausdruck. Seine Werke dürften nicht nur den Hörern, auch den Interpreten Genuss bereiten. Denn sie klingen wie für die Instrumente und ihre Facetten geschrieben, locken dabei verblüffende Effekte hervor, loten auch räumliche Klangwirkungen aus. Empfehlenswert wird diese Aufnahme zudem durch die hervorragenden Musiker. Die Rahmung durch dasselbe Werk macht aus der Anordnung ein Kunstprojekt. „„

Stephanie Knauer

 

Seltsam schön, wie sich die zarten Violoncellokantilenen übereinander legen – und rasant, wie das Ritornell in den Hörraum jagt: als sei ein Mensch auf der Flucht, hin zu jener Traummusik, die schon in Track 2 den Lauschenden begeistert.

Wolfram Graf ist ein bekannter Komponist, einer der wenigen, die in Bayreuth und Umgebung regelmäßig auf sich aufmerksam machen. Natürlich gibt es relevante Unterschiede zwischen sogenannter U- und E-Musik, aber wer beispielsweise 2011 im Richard-Wagner-Saal sein vielleicht populärstes Kammermusikwerk gehört hat, wird auf derartige Unterschiede keinen Wert legen. „Ich-Blicke“ wurde nach seiner Nürnberger Uraufführung auch in Bayreuth gebracht, nun rahmen zwei der Ritornelle sieben verschiedene Sätze ein, die in den letzten Jahren entstanden. Der Sampler heißt schlicht: „Kammermusik I“, mag sein, dass da noch was kommt, aber was hier zu hören ist an Ich-Blicken, Innengängen und Existenzbeschwörungen, reicht aus, um ein deutliches Hörbild zu erhalten. Es scheint, als sei Grafs Musik entspannter geworden: im Rhythmischen und im Melodischen, und immer noch liebt er das seelisch Vertiefte. Da treffen sich zwei Flöten in „Ich-Blicke“ – und der Hörer fragt sich, wo er zuletzt so eine ruhig atmende und doch nicht ganz unaufgeregte Musik gehört hat. Die Klänge schleichen sich, nicht erst im filigranen Celloquartett, in das Gemüt des Hörers ein. Einst war Einiges bei Steingraeber zu hören, beim Festival „Zeit für Neue Musik“, nun wurde das Neue wenigstens bruchstückweise konserviert: für die aparte Mixtur aus Altblockflöte, Violine und Marimbaphon, für ein Kammerorchester, das sich auf Fluchten versteht. Vor dieser Musik muss keiner flüchten. In diese Musik kann man sich nur versenken – weil das Emotionale mit dem Strukturellen jederzeit Schritt hält. Altmeisterlich, wenn man so will, selbst bei Neuer Musik. „„

Frank Piontek

 

Label: Audiotransit – LC 09322 – atcd2-009

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