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Helmut Bieler-Wendt.  Foto: Juan Martin Koch
Helmut Bieler-Wendt. Foto: Juan Martin Koch
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nmz-Interview mit Helmut Bieler-Wendt, Institut für Neue Musik und Musikerziehung, zum 60-jährigen Bestehen

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Das Institut für Neue Musik und Musikerziehung feiert Ende März dieses Jahres seinen 60. Geburtstag. Formal besteht die Aufgabe des Instituts ursprünglich darin, jährlich eine Tagung auszurichten, die so genannte Hauptarbeitstagung. Seit zehn Jahren ist Helmut Bieler-Wendt im Vorstand des Instituts. nmz-Chefredakteur Andreas Kolb unterhielt sich mit dem Komponisten und Musikpädagogen über Geschichte, Gegenwart und Zukunft des Darmstädter Instituts.

neue musikzeitung: Seit sechzig Jahren ist der Name des Instituts für Neue Musik und Musikerziehung Programm. Stehen für Sie im Jubiläumsjahr Neue Musik und Musikerziehung auf dem Prüfstand oder einfach nur im Zentrum Ihrer Feierlichkeiten?

Helmut Bieler-Wendt: In den letzten zehn Jahren kamen wir wieder stärker zurück zu einem Ansatz, der für das Institut bereits in seiner Gründungsphase wesentlich war, nämlich dass die künstlerische Arbeit und die pädagogische Arbeit einfach untrennbar zusammengehören. Für uns ist es nicht denkbar, eine Musikerziehung zu fördern, die an den zeitgenössischen Entwicklungen der Kunst vorbei geht. Wir halten heute allerdings auch den Umkehrschluss für richtig, dass es auch nicht wirklich sinnvoll ist, eine Kunstentwicklung zu forcieren, die an der Vermittlung und am Kontakt mit dem Publikum und mit den jungen Leuten vorbei geht.

nmz: Was genau passiert in Darmstadt in diesem Jahr?

Bieler-Wendt: Es geht um die Auseinandersetzung mit dem, was in der zeitgenössischen Musik im Kontext von Technik, Natur und Wissenschaft passiert. Wir werden das in vier größeren Themenblöcken abhandeln. Im ersten geht es um die Einflüsse zwischen Technik und Natur auf die Entwicklungen in der zeitgenössischen Musik. Es wird in der zweiten Runde dann um Aspekte, die im Zusammenhang stehen mit Experiment, Klang- und Strukturforschung, gehen. Das haben wir gekoppelt mit der Vorführung von Filmen, in denen zeitgenössische Komponisten Wissenschaftsthemen mit ihrer Musik kombinieren – ein kleines Kurzfilmfestival ist da entstanden. Wir gehen dann im dritten Block wie immer auf das Schaffen eines Komponisten intensiver ein – in diesem Fall der Komponistin Adriana Hölszky, die auch persönlich anwesend sein wird. Im vierten Themenblock, bei der Gegenüberstellung von High Tech und Low Tech, wird es darum gehen, auch Strategien zu zeigen, die Technisierung unterlaufen oder konterkarieren. Diese vier Hauptschwerpunkte, die jeweils durch die eingeladenen Referenten eine besondere Tiefenschärfe bekommen, erfahren mit den Abendkonzerten dann Erweiterung durch substanzielle Klangerfahrung.

nmz:  Die lange Tradition der Stadtmusik im Rahmen der Frühjahrstagung wird fortgesetzt?

Bieler-Wendt: Vor der Tagung werden wir wie üblich eine Stadtmusik machen, in der wir verschiedene Kooperationsergebnisse, vor allem mit Kindern und Jugendlichen, in der Stadt vorstellen. Mit der Paulusgemeinde in Darmstadt werden wir verschiedene Aktivitäten um Kirche und Konzertsaal herum präsentieren. Es wird einen Festakt geben mit einem Festvortrag von Jörn Peter Hiekel. Neben den üblichen Grußworten wird aber das wichtige an diesem Festakt das Festkonzert sein, wo wir mit ausgewählten Programmpunkten Stellung beziehen zu dem, was das Institut heute für uns ist. Etwa indem wir die Klangbaustelle des Hochrheingymnasiums Waldshut unter der Leitung von Matthias Handschick eingeladen haben. Dann wird die Talking Machine von Martin Riches mit einem Stück von Roland Pfrengle zu erleben sein. Abschließen werden wir mit dem Trio von Jaques Demierre, Urs Leimgruber und Barre Phillips.

nmz:  Wirkt die Musikerziehung, die Sie am Institut betreiben, auch konkret in die Schulen?

Bieler-Wendt: Da gibt es derzeit gute Beispiele, die wir in der Beilage etwas ausführlicher behandeln. Da ist einmal die Kooperation mit dem Referat Kultur der Stadt Kaiserslautern. Zum anderen ist eine für uns sehr wichtige und konkrete Wirkung dadurch entstanden, dass wir sehr früh und sehr intensiv in die dm-Initiative ZukunftsMusiker hineingehen konnten und auch dort, vernetzt mit den anderen Kulturpartnern, bestimmte musikpädagogische Ideen, die mit Entwicklungen zeitgenössischer Musik zu tun haben, einbringen können.

nmz: Weitere Schwerpunkte?

Bieler-Wendt: Wir sind aktiv in der pädagogischen Entwicklung an der Schnittstelle zwischen Kindergarten und Grund- und Hauptschule und haben auch da verschiedene Kooperationen, an denen wir im Augenblick arbeiten. Zum Beispiel einen Modellversuch des Kultursekretariats Nordrhein-Westfalen, wo ich derzeit an einem Kompendium arbeite zur Auseinandersetzung der Bläserklassen in Nordrhein-Westfalen mit Musik des Orients, also zum Beispiel mit arabischer und türkischer Musik. Und nach wir vor betreuen wir Practicprogramme für angehende Erzieher/-innen am Jugendhof Vlotho – eine verantwortungsvolle Aufgabe.

nmz:  Wie sind Sie in der Hochschulebene zugange?

Bieler-Wendt: Das ist ein ganz wichtiger Ansatzpunkt. Wir haben sehr lange drauf gewartet, dass sich dort wieder etwas tut. Es gibt glücklicherweise Hochschulen, die die Auseinandersetzung mit der Neuen Musik nicht nur als einen unvermeidlichen berufsergänzenden Ausbildungsaspekt für ihre Studenten begreifen, sondern die in entsprechenden Instituten auch Pädagogik und Vermittlung als wesentlich mitdenken. Wir sind durch Vorstandsmitglieder mit der Hochschule in Dresden und der Folkwang Hochschule Essen verbunden. Es gibt gute Kontakte zur Hochschule in Frankfurt. Wir sind Gast der Akademie für Tonkunst in Darmstadt, und wir bauen weitere Kontakte zu den Hochschulen auf – derzeit im Kontext des chiffren-Festivals Kiel mit der Musikhochschule Lübeck.

nmz:  Wenn Sie an die Zukunft denken – Sie sind ja auch ZukunftsMusiker –, wohin soll es gehen mit dem Institut?

Bieler-Wendt: Was sicherlich prägen wird, sind Kontakte, die interdisziplinär sind. Die Idee der Vernetzung, die Bündelung von Aktivitäten, ohne dass man eigene Positionen und Institutionen aufgibt, wird ein wichtiger Aspekt sein. Denn wir stehen an einem Punkt, an dem unsere Gesellschaft in zwei Klassen zerfällt: Eine, die Zugang zu Kultur hat und eine, die keinen Zugang zu Kultur mehr bekommt. Die Zugangsmöglichkeiten zu Kultur auf Seiten derer, die ihn bereits haben, werden sehr befördert. Wenn ich aber an meine Erfahrungen in der Grund- und Hauptschule denke, dann finden wir dort auf den ersten Blick eine absolute Kulturwüste vor. Das heißt nicht, dass es dort gar keine Kultur gäbe – sie ist einfach sehr anders. Da müssen wir Anschlusspunkte schaffen. Das wichtigste von allem wäre, ein gemeinsames Kulturleben zu entwickeln, ohne Uniformität und ohne Vorurteile.

nmz: Als das INMM gegründet wurde, da hat man sich abgesetzt von der so genannten musischen Erziehung, die man als reaktionär empfunden hat. Man hat gesagt, Neue Musik ist auch ein Thema der Musikerziehung zum Beispiel. Heute stehen andere musikpädagogischen Debatten an. Es gibt den Streit darum, ob man an den Schulen einen Fächerkanon durchsetzen muss oder will, es geht darum, ob man in den Schulen auf Reflexion über Musik verzichtet und wieder mehr zum Musischen zurückkehrt. Es ist auch das Thema Populäre Musik in den Schulen, die einen ähnlichen Stellenwert beansprucht wie die Klassik oder die Neue Musik. Wie stellen Sie sich da kulturpolitisch und bildungspolitisch zu solchen Entwicklungen?

Bieler-Wendt: Ein grundsätzlicher Verzicht auf Reflexion bezüglich der Musik ist auf jeden Fall ein Fehler. Denken und Tun gehört einfach zusammen. Ich denke, dass man unterschiedlichen Schultypen unterschiedliche Ansatzpunkte bieten kann, die aber immer auch eine Verbindung mit der Musikpraxis beinhalten müssen. Die wichtigste Erfahrung für die Grund- und Hauptschüler, mit denen ich arbeite, ist, dass sie Musik machen können, und dass ihnen jemand überhaupt zutraut, dass sie eine eigene Sprachfähigkeit im Musikalischen haben. Denken und Wissen können gehört hier zum Lernen dazu.

nmz: Wenn ich Ihre Programme zu den Arbeitstagungen durchblättere – das ist durchaus ein sehr elitärer Kanon, der sich in den Lehrplänen der Schulen nur in Bruchteilen widerspiegelt?

Bieler-Wendt: Wir thematisieren Dinge, die sonst in dieser Form, in diesen Verknüpfungen und in dieser Intensität nirgendwo vorkommen. Wir haben die Tagung für Kinder und Jugendliche geöffnet und in den letzten Jahren gezeigt, dass wir nicht so praxisfern sind, wie wir es einmal gewesen sein mögen. Kinder und Jugendliche, eine Klientel, die von 8 bis 18 gehen kann, sind durchaus bereit, sich mit unseren Themen auseinanderzusetzen. Bei der letzten Tagung erarbeitete eine Gruppe von Kindern und Jugendlichen mit Karl-Heinz Zarius das Thema „Zufall und Realität“ anhand von Cages „Theatre piece“. Wenn man Jahr für Jahr miterleben kann, zu welchen Intensitäten junge Menschen fähig sind in dieser kurzen Zeit, dann darf man mutig und zuversichtlich sein, was die Entwicklung und das Zusammenspiel zwischen Reflexion, Analyse, Singen und Spielen, aber auch zwischen Alt und Jung anbelangt.

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