Musik bleibt! Im Kongressmotto des 6. Bundeskongresses in Kassel steckt ein unverrückbarer bildungspolitischer Anspruch und zugleich Ziel und Endzweck aller Bemühungen um eine musikalische Bildung: Musik ist ein flüchtiges Medium, verschwindet in dem Moment, wenn sie erklingt – und doch ist sie gleichzeitig von Dauer: Sie wird zum inneren Besitz, überlebt unsere zeitlich begrenzte irdische Existenz; Musik bleibt, auch in unserer sich schnell verändernden, von Verängstigungen und Erschöpfung geprägten Welt. Musik schafft Konstanz, Zuversicht in Momenten des Verzagens und Vergehens. Musik bleibt, wenn sie uns Räume öffnet, innezuhalten, wenn sie ermöglicht, zu uns selbst zu finden.
Bundeskongress „Musik bleibt“
Musik bleibt! Um das sagen zu dürfen, gilt es den Musikunterricht zu gestalten wie eine große Sinfonie, in der viele Akteure zusammenwirken. Und in Anlehnung an Gustav Mahlers berühmtes Diktum darf hier auch behauptet werden, dass wir unseren Kindern und Jugendlichen eine nachhaltige musikalische Bildung nur ermöglichen können, wenn wir auch hier mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln eine Welt aufbauen. Dabei ist mit zu bedenken, dass es Welten gibt, die – wie Mahler dies auch für seine Sinfonien sieht – nicht stimmig auseinander hervorgehen, die miteinander in einen Konflikt treten können: Wie fügen sich die Künste, deren genuine Aufgabe es ist, sich an Systemen zu reiben, in das System Schule ein? Wie sind offene Erfahrungsprozesse möglich, wenn es doch in der Schule darum geht, das Lernen steuern, kontrollieren und messen zu wollen? Wie gehen wir damit um, wenn die eingebrachten Erfahrungskontexte so divers sind und die verschiedenen musikalischen Praxen unterschiedlicher Musikkulturen sich nicht in gemeinsamen musikalischen Fähigkeiten gründen oder aus diesen hervorgehen? Musik bleibt! Damit wir das sagen dürfen, müssen wir alle Kinder und Jugendlichen für Musik und für ihren Musikunterricht interessieren. Der Musikunterricht in der gymnasialen Ober-
stufe, im schönsten Fall in einem Neigungs- oder Leistungskurs, darf nicht zur Kaderschmiede für Musikberufe werden. Ein Abitur im Fach Musik muss ein allgemeinbildendes bleiben! Instrumentalunterricht kann diesen Unterricht sinnvoll ergänzen, eine Abiturprüfung darf diesen aber nicht voraussetzen.
Hier sind Prüfungsformate vorzusehen, die dazu beitragen, eigene Zugänge zu finden, Musik selbst kreativ zu gestalten – und sie nicht ausschließlich wie einen quadratischen Ziegelstein zu vermessen.
Musik bleibt! Damit dies behauptet werden darf, ist der Ganztagsbereich gesondert in den Blick zu nehmen. Integrative Konzepte, in denen die Fächer nicht gegeneinander aufgerechnet werden, sondern einander sinnvoll ergänzen, sind dabei erforderlich. Dass hier Freiräume für individuelle Interessen eingeräumt werden müssen, berührt nicht nur Fragen der musikalischen Bildung; es ist vielmehr Aufgabe der gesamten Schulgemeinschaft dafür zu sorgen, dass hier Lernräume zum Lebensraum werden. Musik bleibt, weil sie Welt- und Selbsterfahrungen ermöglicht, die anderswo nicht möglich sind und so zu einer umfassenden Persönlichkeitsbildung beitragen. So etwas kann nur an einem Ort gelingen, an dem man sich wohl fühlt – und den man auch einmal für ein Sport- oder Musikangebot verlassen darf.
Musik bleibt!, darauf dürfen wir nur hoffen, wenn genügend Lehrkräfte ausgebildet werden, wenn die Bedingungen an den Schulen so gestaltet werden, dass auch Lehrerinnen und Lehrer ihren Beruf gern ausüben und auch sie in der Schule einen Ort und ihren Raum finden, an dem Musik sich ausbreiten darf und an dem sie sich wohlfühlen können. Damit all dies gelingen kann, bietet der Kongress nicht nur die Möglichkeit, sich fortzubilden, über Unterricht und neue Lehr- und Lernmethoden ins Gespräch zu kommen, sondern er bietet auch die Gelegenheit, aufzutanken, die Gemeinschaft mit anderen zu erleben, um sich so im eigenen Tun zu bestärken. Musik unterrichten heißt, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln eine Welt aufbauen!
Dass dies auch in der Grundschule gelingen kann, dass hier eine Welt aufgebaut werden kann, die einer Sinfonie gleicht, kann zu den beglückendsten Erfahrungen gehören, die wir in der Schule machen dürfen.
Um sich dem Elementaren einer Urmusik zuzuwenden, um das zu erleben, was die Musik wie unsere Welt im Innersten zusammenhält, hat Gustav Mahler einst die Enklave seines Komponierhäuschens in Steinbach am Attersee aufsuchen müssen. Musik entsteht nicht nur auf der Blumenwiese zwischen dem eindrucksvollen Höllengebirge und dem Attersee. Heute dürfen wir in der Schule erleben, dass weder wir der Welt, noch die Musik uns abhanden gekommen ist. Hätte Gustav Mahler auch nur geahnt, dass auch eine Schule zum magischen Ort werden kann, dann wäre er vielleicht Musiklehrer geworden!
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