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Cinderellas Asche?

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Zur Situation des Musikunterrichts in der Schule
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„In wirtschaftlich schwierigen Zeiten entsteht das Gefühl, als ob die Kunst ein Aschenbrödel wäre, das sich vor dem Ernst der Situation eigentlich verflüchtigen müßte“ (Gesammelte Schriften 3.1, S. 265). So schreibt Leo Kestenberg am 28. Juli 1931 an seinen Mitarbeiter und späteren Rektor der Berliner Musikhochschule Georg Schünemann, die Hintergründe bedürfen hier keiner Erläuterung, und eine rückblickende Würdigung des Pianisten und Kulturpolitikers, der durch sein reformerisches Wirken den Musikunterricht, wie wir ihn derzeit an vielen Stellen noch praktizieren dürfen, maßgeblich geprägt hat, soll hier nicht versucht werden. Vielmehr gilt es, auf das Hier und Jetzt zu blicken und einen Ausblick auf das Kommende zu wagen, wenn sich die Kunst nicht mehr als notwendige Bestimmung in unsere Lebensführung einmischt und „uns zu innerer Betrachtung, zur Beschäftigung mit uns selbst hinleiten kann, daß sie uns über den Alltag, über das stumpfe Dahinvegetieren erhebt“ (GS 2.1, S. 97).

Solchen Menschen, die nicht auf eine solche Weise eine Teilhabe an künstlerischen Prozessen erfahren haben, muss der Wert der Kultur erst behauptet werden. Betrachtet man die gegenwärtigen bildungspolitischen Diskussionen, scheint es unter Entscheidungsträgern viele von ihnen zu geben: Als Stiefmutter sind sie das lieblose Gegenteil jener, die Musik leiblich erfahren haben.

Das Überhandnehmen von störenden Stiefmüttern, die meinen, hier Verantwortung übernehmen zu müssen, kennen wir seit PISA, den Reden über unser Humankapital und den nachfolgenden Debatten um Eliten und Exzellenz. Mit diesen bildungspolitischen Schlagworten wurde dafür gesorgt, dass das scheinbar so Zweckfreie als „bloßer Genuß“ und „sinnliches Reizmittel“ (ebd.) an den Rand gedrängt wurde. Das gilt übrigens nicht nur für die Schule als einen solchen Zweckbetrieb, das gilt insgesamt für unsere Gesellschaft mit ihren „Eliten ohne Hochkultur“ (Fridrich 2022, S. 18).

Haupt- vs. Talentfächer

Dem Musikunterricht sind von solch scheinheiligen Stiefmüttern längst Holzschuhe und graue Kleider auferlegt worden: An der Musikhochschule in Weimar wird zwar Musik als Doppelfach studiert, um sich in Chor- und Ensembleleitung angemessen zu vertiefen, wer dann jedoch im selbigen Bundesland in den Schuldienst tritt, wird schnell erfahren, dass Arbeitsgemeinschaften wie Chor, Bigband und Orchester nur noch im Angebotsbereich von außerschulischen Partnern durchgeführt werden sollen.

Wenn dann noch die Benotung im Musikunterricht ganz ausgesetzt werden soll, fügt sich das in diese Gemengelage und die Stoßrichtung wird deutlich: Was nicht benotet wird, erfüllt keinen Zweck, nur dieser heiligt schließlich seine Mittel. Weil insgesamt die Lehrkräfte fehlen, werden multiprofessionelle Teams herbeigerufen, um mit den talentiert-empfindsamen Seelen für die nötigen Klangdekorationen für die Entlassungsfeiern zu sorgen, während der ausgebildete Schulmusiker im Zuschauerraum sitzt. Da nutzt auch kein Tanz in schönen Kleidern, wenn etwa der in Thüringen zuständige Staatssekretär erklärt, mit dem Aussetzen der Benotung in den „Talentfächern“ wolle man ihren Eigenwert und damit das besondere Potenzial der Künste stärken, wenn im gleichen Atemzug die Aura des Musik­unterrichts grau und verholzt wird. Die dringend benötigten Lehrkräfte lassen sich auf diese Weise wohl nicht gewinnen.

Das, wofür junge Menschen einst angetreten waren, ist hier wegrationalisiert, weil sich die fachlich Ausgebildeten nun auf das Geschäft in den sogenannten Hauptfächern zu besinnen haben, um sich auf das in allen Fächern gebotene Lesen der Linsen zu konzentrieren: „Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen“, lautet die Anweisung an die helfenden Tauben, Schule diene nun mal der Auslese und bereite damit auf eine gesellschaftliche Wirklichkeit vor. Wenn Platon im Theaitetos vom Taubenschlag der Seele spricht, wo die Gedanken hin und her wandern, dann dürfen wir uns nicht durch Körnerlesen am Bestehenden festhalten lassen, sondern sind dazu angehalten, den Gedanken der Auslese neu zu verhandeln: Im Biathlon legen bei der Siegerehrung ausgerechnet jene Norweger ein festliches Ballkleid an, die im Jugendbereich keine Ergebnislisten, keine Auslese durch Notenrankings kennen.  Solches müsste dann aber für alle Fächer gelten, auch für ein Talentfach wie Mathematik. Doch dass sich dieses in die derzeitige Situiertheit unserer Schulen ohne weiteres spiegeln ließe, darf hier nicht behauptet werden.

Im Innenraum der Kernfächer

Bei den hier nun vorgetragenen Ängs­ten handelt es sich nicht um einen leicht zu unterstellenden Cinderella-Komplex, nicht um Benachteiligungsgefühle oder die üblichen Geschwisterrivalitäten zwischen den Fächern; das haben die Auswirkungen der Corona-Pandemie jüngst gezeigt: Wenn es denn so viel nachzuholen gäbe, solle man halt kurzfristig auf die Künste verzichten, so Olaf Köller, der hier das Heer der bildungs-optimierenden Stiefmütter lautstark anführte. Blut ist im Schuh, wenn heute bereits die Vier-Tage-Woche diskutiert wird, wenn Bachelor-Absolventen eingestellt und Quer- und Seiteneinsteiger nicht mehr kritisch beäugt werden, sondern die Regel bilden und an den beruflichen Schulen längst vom Direkteinstieg gesprochen wird. All dies soll dazu führen, dass die pädagogisch Ausgebildeten sich auf das Geschäft im Innenraum der heiligen Kernfächer zu konzentrieren haben, die Folgen für den Musikunterricht sind leicht absehbar. Wenn wir nun gemeinsam nach vorne schauen, bleibt nicht viel übrig, als sich der vereinigenden Kraft der Musik zu besinnen, wenn wir die Geschichte weitererzählen: „Bäumlein, rüttel und schüttel dich, wirf schöne Kleider herab für mich!“ Wir können uns zwar auf helfenden Beistand verlassen, doch der Impuls muss aus unserem Fach selbst kommen. Das wird auch mit Klärungen und Neuorientierungen verbunden sein. Vielleicht haben wir uns im Fach auch zu sehr mit dem Lesen der Linsen beschäftigt, um unseren Stiefschwestern nachzueifern und haben das Künstlerische dabei aus dem Blick verloren. Es gilt, das Haselnussbäumchen neu zu pflanzen und zu pflegen, um mit einem von Leo Kestenberg propagierten „Unterricht in Musik“ das unstillbare Bedürfnis nach künstlerischem Ausdruck immer wieder neu zu entfachen.

Michaela Fridrich: Musik neu vermitteln. München 2022: edition text+kritik

 

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