Banner Full-Size

Wir müssen über Geld reden

Untertitel
Warum verdienen Komponistinnen* so viel weniger als ihre männlichen Kollegen*?
Publikationsdatum
Body

Laut Angabe des statistischen Bundesamtes verdienten Frauen in 2021 durchschnittlich 18% weniger je Stunde als Männer. In der Kultur, wo frei ausgehandelte Gehälter überwiegen, liegt der Gender Pay Gap im Durchschnitt bei erschreckend hohen 30%.

Der Bericht des Deutschen Kulturrates aus dem Jahr 2020 attes­tierte den Komponistinnen* bereits vor der Corona-Pandemie, in den Jahren 2013 bis 2019, einen massiven Gender Pay Gap. Dort ist zu lesen: „Im Tätigkeitsbereich Komposition ist der Gender Pay Gap von 38 Prozent auf 45 Prozent angestiegen.“ Eine Komponistin verdiente laut nach Angabe der KSK im Jahr 2019 im Durchschnitt 12.335 Euro, während ein männlicher Kollege im selben Jahr im Durchschnitt 22.356 Euro verdiente. Auch eine Steigerung der Einkünfte über die Jahre, die oft als berechtigter Inflationsausgleich gilt, verläuft zu Ungunsten der Frauen. Nach einer Tabelle des Berichtes ist das Durchschnittseinkommen in den Jahren von 2013 bis 2019 im Vergleich bei den Frauen um 1.198 Euro und bei den Männern um 4.324 Euro angestiegen. Die Steigerung des Durchschnittseinkommens der Frauen betrug somit in der gleichen Zeit weniger als ein Drittel des Durchschnittseinkommens der Männer.

Auch in der Altersgruppe der unter 30-Jährigen zeigt sich in der Studie des DKR in den Jahren 2013 bis 2019 der Berufsgruppe Musik eine Ausweitung des Gender Pay Gaps.

Dort heißt es: „Noch im Jahr 2013 gaben weibliche Versicherte ein höheres Einkommen als männliche an. Im Jahr 2018 liegt der Gender Pay Gap bei 20 Prozent. (…) Er fällt auch vor allem deshalb ins Auge, weil beispielsweise in der Altersgruppe 50 bis 60 Jahre nur wenige Veränderungen festzustellen sind. Hingegen ist er auch in der Altersgruppe 30 bis 40 Jahre spürbar angestiegen. Das heißt der Einkommensunterschied zwischen männlichen und weiblichen Versicherten vertieft sich bei den jüngeren Alterskohorten. Es steht zu befürchten, dass dieser Einkommensunterschied sich im Laufe des Berufslebens mindestens fortsetzen, wenn nicht vertiefen, zumindest nicht nivellieren wird.“

Die Vermutung liegt nahe, dass diese ungleichen Durchschnittseinkommen aus einer Mischung verschiedener Faktoren resultieren: Dem Alter, der Menge an Aufträgen, der Größe der Kultur- und Spielstätten (im Sinne der monetären Haushaltssituation, das meist auch mit dem Renommee der Auftraggeber:Innen verbunden ist), sowie aus dem Renommee und dem Erfahrungshintergrund der Komponist:Innen selbst. Jüngeren, weniger erfahrenen Musiker:Innen/Komponist:Innen und viel öfter Frauen* sowie Personen marginalisierter Gruppen wird der Auftrag der Komposition für die große Bühne, den großen Konzertsaal oder die Filmproduktion mit dem großen Orchester oft gar nicht erst angeboten. Hier schließt sich leider der Kreis und die „Katze beißt sich in den Schwanz“, denn im Bereich Komposition gilt, was in anderen Gewerken ebenfalls gilt: nur wer die Möglichkeit hat, seine/ihre Erfahrungen stetig zu erweitern, gewinnt an Netzwerken hinzu und kann hierdurch wiederum neue Auftraggeber:Innen erschließen und bessere Verhandlungspositionen erreichen sowie im Wettbewerb überhaupt erst bestehen. Preise, Auszeichnungen und Nominierungen tun hier ihr Übriges, denn in der Musik und in der Komposition entscheiden frühe und kontinuierliche Erfolge oft nicht nur über eine Professionalisierung und damit über die Berufswahl. Preise und Nominierungen können Tore öffnen, nachfolgende Möglichkeiten verstetigen und somit neue Wege und Karrierechancen bieten. Dass diese sich dann nicht zuletzt auch auf die Gehälter und Jahreseinnahmen und damit auch auf die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen* auswirken, liegt in der Natur der Sache einer freischaffenden professionellen Tätigkeit bzw. Berufsausübung.

Wie sieht die Verteilung zwischen Männern* und Frauen* bei Wettbewerbsnominierungen aus? Und stehen Männern* und Frauen* und marginalisierten Gruppen überhaupt die gleichen Türen offen, wenn sie Preisträger:Innen sind? Laut einer Recherche der MaLisa Stiftung, die fünf wichtige Musikpreise der Jahre 2016 bis 2019 untersucht hat, stellen Männer mehr als 80% der Preisträger:Innen dieser Musikpreise. Nur 17% der Preise wurden an weibliche Musikschaffende vergeben. Auch bei den Nominierten und den Jurymitgliedern wurde eine unausgeglichene Geschlechterverteilung festgestellt. Besonders bedenklich auch, dass sich im Verlauf des Untersuchungszeitraumes von vier Jahren keine nachhaltige Veränderung abgezeichnet hat. Das Verhältnis von weiblichen zu männlichen Preisträger:Innen sei konstant bei dem für Frauen* ungünstigen Verhältnis von 1:5 verblieben. Veränderungen wären gerade hier von großer Bedeutung, resümiert auch die MaLisa Stiftung, da durch sichtbare und erlebbare Vorbilder sowohl für den weiblichen Nachwuchs als auch für das Publikum beziehungsweise für die Öffentlichkeit wichtige Signalwirkungen ausgehen.

Ein weiterer Punkt ist, dass die Konzert- und Kulturstätten, Theaterhäuser und Film-Produktionsfirmen, die die Aufträge vergeben, es erlauben, im Sinne der Kunstfreiheit sehr bis extrem unterschiedliche Verhandlungsspielräume zuzulassen. Diese treten nicht nur zwischen den Gewerken, sondern auch zwischen den Geschlechtern deutlich heraus, ist dem Bericht des DKR aus 2020 zu entnehmen. Bei den Männern liegt nach Angaben der KSK der Unterschied zwischen dem höchsten und niedrigsten Durchschnittseinkommen bei über 60%. Im Tätigkeitsbereich Libretto/Textdichtung erreichten die Männer laut Bericht die höchsten Einkommen, während die niedrigsten Durchschnittseinkommen der Mäner, außer in den Jahren 2015 und 2016, Jazz/Improvisierte Musik war. In den Jahren 2015 und 2016 ist dies bei den Männern der Tätigkeitsbereich Sänger beziehungsweise Chor E-Musik. Bei den Frauen sieht es, was diese Bereiche betrifft, ähnlich aus, allerdings ist die Spreizung zwischen den höchsten und niedrigsten Durchschnittsgehältern geringer und sie sank in den letzten Jahren kontinuierlich von 50% auf 28% in 2019 ab. Die höchsten Einkommen wurden bei den Frauen ebenfalls im Gewerk Libretto/Textdichtung erreicht. Niedrigste Durchschnittseinkommen bei den Frauen sind Jazz/Improvisierte Musik in 2013 und 2014, Disc-Jockey in 2015 und 2016, Sängerin (Lied, Oper, Operette, Chor) in 2017 und 2018.

Der Gender Pay Gap lag im Tätigkeitsbereich Libretto/Textdichtung im Jahr 2014, zu Beginn der Untersuchung des DKR Berichtes, bei 40%. Im Jahr 2018 liegt er bereits bei 72% und stellt laut Bericht einen Spitzenwert aller bislang untersuchten Berufsgruppen dar. Weiter heißt es dort: „Am geringsten und sich tendenziell auch verringernd ist der Gen­der Pay Gap in der Berufsgruppe Ausbilder/in Musik. Hier startete der Gender Pay Gap bei 18 Prozent und liegt im Jahr 2019 bei 15 Prozent. Es handelt sich hierbei um eine Tätigkeit, die eine höhere Vergleichbarkeit hat als die schöpferische Arbeit der Urheberinnen und Urheber.“

Hält sich etwa auch noch im 21. Jahrhundert in den Köpfen der Auftraggeber:-­innen das Bild einer Musikschöpfung, die „geniebehaftet“ und männlich konnotiert ist? Die Zahlen legen es nahe. Warum sonst werden die Komponistinnen, die zu einem guten Drittel an den Hochschulen als Komponistinnen* ausgebildet und im gesamten Ausbildungsbereich Musik nachweislich schon seit der ersten Studie des DKR aus 2016 mit über 50% vertreten sind, nicht gleich häufig und zu den gleichen Bedingungen beschäftigt wie ihre männlichen Kollegen? Der Anteil an den in der Künstlersozialversicherung versicherten Komponistinnen liegt laut DKR Bericht 2020 bei nur 11%. Wen wundert es: Wer nicht beschäftigt wird, zieht weiter.

Eine ausgewogene Beschäftigung, gleiche Verhandlungsspielräume, eine ausgewogene Anzahl von Nominierungen und Preisen zwischen Männern* und Frauen* sind dringend erforderliche Maßnahmen, die der Kultursektor leisten muss, damit dem Artikel 3 des Grundgesetzes Rechnung getragen wird, und damit Frauen* und marginalisierte Gruppen auch in der Kultur als eigenständige Unternehmer:Innen wirtschaften können und ihre Themen, Positionen und Handschriften sichtbar und erlebbar werden. Auch das Private ist noch immer politisch: Neben der Schaffung familienfreundlicher Arbeitsbedingungen ist es ebenso wichtig, dass sich Hausarbeit, Pflege von Familienangehörigen und Kinderbetreuung zwischen den Partner:Innen so gerecht aufteilen müssen, dass beide die gleichen Chancen haben, ihre Karrieren zu entwickeln.

Neben der wichtigen Arbeit der Berufsverbände, die sich für die Chancengleichheit und Lohngerechtigkeit in der Musikkultur einsetzen, ist auch die Arbeit verschiedener Initiativen hervorzuheben: Darunter zum Beispiel MusicWomenGermany, die eine Datenbank zur besseren Auffindbarkeit von Musikfrauen aller Berufe geschaffen hat, die Arbeit und Forderungen der Initiativen Pro Quote Bühne, Pro Quote Film, Kultur.Fördern.Gesetz.Berlin sowie der Initiative Zukunft Kino+Film. Sie formulieren wichtige Kernforderungen, die sich für eine Verbesserung und Überwindung der hier beschriebenen „Misere“ der Verteilung von Arbeit und Lohn einsetzen. Am 7. März lädt die Initiative Equal Pay Day ein, das Thema für die Kunst und Kultur im Rahmen eines Kongresses gemeinsam zu diskutieren.

Octavia Gloggengießer (ehem. Vorstandsvorsitzende DKV-LV Berlin, Pro Quote Film: Gewerkesprecherin Filmkomposition)

Print-Rubriken