Ein paar Daten, bekannte und unbekannte Fakten zu Beginn: Mehr als eine halbe Million teilnehmende Kinder und Jugendliche in 50 Jahren, beim ersten Wettbewerb waren es bundesweit rund 2.500, 50 Jahre später sind es jährlich bis zu 25.000.
Mit der Steigerung der Teilnehmerzahlen in Zusammenhang stehen die Kategorien und der Turnus, in dem sie angeboten wurden. Die „Jugend musiziert“-Geschichte beginnt mit der Ausschreibung von Instrumentenkategorien als Solo- und Gruppenwertung, es folgte eine Phase von Solo- und Gruppenwertungen im Wechsel, bevor man zu einem Dreijahresturnus überging.
Mit Streich- und Blasinstrumenten startete der Wettbewerb. Es folgten: Klavier, Zupfinstrumente, Saxophon und Akkordeon, Schlagzeug, Harfe, Gesangskategorien und jüngst Pop-affine Instrumente.
Dass „Jugend musiziert“ nicht mit dem Bundeswettbewerb endete, sondern um das Wettbewerbsgeschehen herum Fördermöglichkeiten schuf, die das Musikleben der Bundesrepublik Deutschland mit einer ungeheuren Vielfalt bereicherten, ist eine weitere Tatsache.
Und schließlich spielen Wertschätzung und Ehrenamt eine wichtige Rolle, um die Idee von „Jugend musiziert“ dauerhaft in Deutschland und Europa zu verankern. Soweit und im Schnelldurchlauf die Geschichte eines bundesweiten Kulturprojektes, an dessen sensationellem Erfolg viele mitgewirkt haben und noch wirken.
Aus Anlass des 50. Geburtstags von „Jugend musiziert“ gibt der Deutsche Musikrat ein facettenreiches Buch heraus, das auf rund 130 Seiten und mittels zahlreicher Abbildungen die Antwort auf viele Fragen gibt, überraschende Ein- und Ansichten vermittelt und Zusammenhänge beleuchtet.
Der Anfang galt der Rettung
Am Anfang stand die Idee einer Rettung: „Jugend musiziert“ wurde entwickelt, um Nachwuchsmusiker gezielt zu finden und zu fördern, denn die Nachwuchslage in den deutschen Kulturorchestern war katastrophal. Um den jungen Wettbewerb tragfähig zu gestalten, ihn bundesweit durchzuführen und dauerhaft in der bundesdeutschen Kulturlandschaft zu verankern, benötigte es von Anbeginn Partner in Politik und Kultur, im schulischen und außerschulischen Bereich, die mit dem Veranstalter kooperierten, für die Idee warben, sie trugen, organisatorische und finanzielle Unterstützung leisteten. So ist das erste Kapitel den Förderern und Partnern von „Jugend musiziert“ gewidmet: visionären Köpfen und einflussreichen Managern im Deutschland der 60er-Jahre, bis hin zum Einstieg der Sparkassen-Finanzgruppe bei „Jugend musiziert“ Anfang der 1990er-Jahre.
Der Erfolg von „Jugend musiziert“ beruht nicht zuletzt darauf, dass die Basis des Wettbewerbs breit angelegt war. Musikpädagogen an Musikschulen oder in selbstständiger Tätigkeit erhielten aus dem Wettbewerb Impulse für ihre eigene Arbeit und gestalteten so das Wettbewerbsgeschehen mit. Viele übernahmen ehrenamtlich den Vorsitz in einem der über hundert Regionalwettbewerbe. Im Kapitel „Verankerung und Identifikation“ plaudern Musiklehrer aus dem Nähkästchen, die zum Teil seit Jahrzehnten immer wieder erfolgreich Schüler auf „Jugend musiziert“ vorbereiten. Acht Organisatoren von Regional- und Landeswettbewerben geben Einblick in ihre Arbeit, Christian de Witt liefert umfangreiche Fakten und Ergebnisse zum Ehrenamt bei „Jugend musiziert“.
Engagiert im Ehrenamt
Ein umfangreiches Kapitel ist strategischen Überlegungen und der Professionalisierung aller an „Jugend musiziert“ Mitwirkenden gewidmet. Es sind vor allem die transparenten und verlässlichen Beurteilungs- und Bewertungskriterien, die horizontal und vertikal im Wettbewerb „Jugend musiziert“ angewendet und allgemein bekannt wurden. Sie führten zu einer ständigen Steigerung des künstlerisch-technischen Niveaus, nicht nur bei den Teilnehmern, sondern auch bei den ausbildenden Musikpädagogen. Ulrich Rademacher geht der Frage nach, ob es sie wirklich gibt, die Literatur, die garantiert zum ersten Preis führt.
Welches Stück garantiert den ersten Preis?
„Jugend musiziert“ hat den Ruf, ein anspruchsvoller Wettbewerb zu sein. So ist es attraktiv, hochbegabte Musiker bereits im Schüleralter als Jungstudenten an die Musikhochschule zu binden, der Erwartungshorizont bei Bewerbungen zum Vollstudium ist hoch. Einblicke in die Arbeit solcher Institutionen am Beispiel des Musikgymnasiums Belvedere gibt Anne-Kathrin Lindig.
Den erfolgreichen Nachwuchsmusikern werden im Anschluss an die Wettbewerbsphase weitere Angebote gemacht, die auf langfristige und nachhaltige Förderung setzen. Diese Projekte machen die jungen Musiker mit reichhaltiger Musikliteratur bekannt und sorgen für Spielpraxis und Zuwachs an Bühnenerfahrung. Motiviert durch den Erfolg im Wettbewerb und trainiert in den Anschlussprojekten, treten viele Jugendliche Orchestern in ihrer Region bei, jobben im örtlichen Musiktheaterensemble oder unterstützen ihre Schulorchester. Hochgelobte Konzert-abende, Preise bei Laienmusikwettbewerben, auch Gründungen neuer, origineller Kammermusikensembles gehen oftmals auf die Initiative von „Jugend musiziert“-Preisträgern zurück. Ernst Burgbacher und Dieter Kreidler informieren umfassend über die genannten Themen und stellen die Ergebnisse einer Umfrage unter den Musikverbänden vor.
Dieter Gorny befasst sich im darauf folgenden Kapitel „Schöpferkraft und Ökonomie“ mit dem scheinbaren Gegensatzpaar Kunst und Kommerz und stellt provozierende Fragen zum Thema Erfolg. Nicht zuletzt füllt der Öffentlich-rechtliche Rundfunk eine Vielzahl von Programmen mit „Jugend musiziert“-Preisträgern. Welche Hoffnungen junger Interpreten an die öffentliche Wahrnehmung geknüpft sind, aber auch welche leisen Enttäuschungen die Journalisten formulieren, erfährt man hier.
Integration und kulturelle Vielfalt
Im Kapitel „Kopieren erwünscht“ beleuchtet Barbara Haack die Anziehungskraft von „Jugend musiziert“ auf Jugendliche mit nicht-deutschen Wurzeln und den integrierenden Faktor. Während in der Bundesrepublik die Integrationsdebatte noch immer keine vorzeigbaren Ergebnisse liefert, kann „Jugend musiziert“ mit Fug und Recht behaupten, dass hier die Integration längst vollzogen ist: Regelmäßig finden sich in den Ergebnislisten erfolgreiche Teilnehmer, die nicht in Deutschland geboren wurden, die mit ihren musikalischen Partnern Kammermusik zelebrieren.
Ein weiteres Kapitel beschäftigt sich mit den zahlreichen Kopien, die es von „Jugend musiziert“ im Ausland gibt: Das Konzept der Breitenförderung, der kritischen Beurteilung durch anerkannte Fachleute über drei Wettbe-werbsebenen, der Findung von Siegern ohne Verlierer, der Motivation von Jugendlichen durch öffentliche Vorspiele, hat Nachahmer auch im Ausland gefunden: So haben Musiklehrer, die als Auslandslehrkräfte arbeiten, die Idee an ihre Gastschulen transportiert. Sie werden dort zu Botschaftern der europäischen Musikkultur und binden Lokalkolorit in den Wettbewerb ein. Das Konzept von „Jugend musiziert“ hat in Europa Nachahmer gefunden, zahllose Jugendwettbewerbe organisieren ihre Nachwuchsfindung analog zum Aufbau von „Jugend musiziert“.
Unterhaltsam, vielfältig mit durchaus kritischen Tönen – so lassen sich die rund drei Dutzend Kommentare zusammenfassen, die ehemalige „Jugend musiziert“-Teilnehmer auf die Frage nach ihrer persönlichen Erinnerung an ihre Teilnahme formulieren. Darunter: weltberühmte Musikerinnen und Musiker, Politiker, Ärzte, Kulturmanager …
Durchzogen wird die Dokumentation von mehr als 100 Bildern, die die 50-jährige Geschichte des Wettbewerbs in Schwarz-weiß und Farbe erzählen.
Buchtipp
„Lass hören – 50 Jahre ,Jugend musiziert‘“ erscheint Mitte Mai im Verlag ConBrio für 22,80 Euro.
Bis 15. Mai ist die Bestellung zum Subskriptionspreis von 15 Euro möglich.
www.conbrio.de