Ein Wochenende, dessen Titel für Assoziationen sorgte: „Jugend musiziert“ hatte zu „WESPE“ eingeladen, und wer dahinter ein Treffen der Insektenforscher vermutete, befand sich nur zum Teil auf dem Holzweg. Denn Forschung und Entdeckung waren durchaus erwünscht bei den „WochenEnden der SonderPreisE“ in Freiburg und Münster, so die Langfassung des Akronyms WESPE. Am Ende des Freiburger Wochenendes standen vertiefte Einblicke in die jüngere Musikgeschichte und 32 glückliche Sonderpreisträgerinnen und -preisträger.
Nach dem Ende des Bundeswettbewerbs 2008 im Mai hatte „Jugend musiziert“ alle ersten, zweiten und dritten Bundespreisträgerinnen und -preisträger eingeladen, sich unter interpretatorischen Aspekten mit Werken der Musikliteratur, vor allem des 20. und 21. Jahrhunderts, auseinanderzusetzen und das Ergebnis ihrer viermonatigen intensiven Beschäftigung im Rahmen eines neuen Wettbewerbs zunächst einer Jury, dann auch dem Konzertpublikum zu präsentieren. „Jugend musiziert“ wünschte sich die (Wieder-)Entdeckung von Werken abseits des üblichen Wettbewerbsrepertoires, die Aufführung von Werken, die auch in Musikausbildung und Studium nicht zum Standardprogramm gehören, bis hin zur Auseinandersetzung mit ihrem musikhistorischen und gesellschaftspolitischen Kontext. In sieben Kategorien wurde zum Forschen und Entdecken aufgerufen, und schon ihre Bezeichnung ließ Rückschlüsse auf die Art der Veranstaltung zu: „Beste Interpretation eines Werks…“ waren sie allesamt überschrieben, im Einzelnen waren es eigene Werke, Werke der zeitgenössischen Musik ab 1910, Werke der Klassischen Moderne, Werke, die im Umfeld von „Jugend musiziert“ uraufgeführt worden waren, Werke einer Komponistin, Werke der „verfemten Musik“, sowie Werke der Klassik. Knapp 200 Musikerinnen und Musiker hatten die Zulassung zu den sieben Kategorien von WESPE erhalten. Sechs Kategorien wurden vom 19. bis 21. September in Freiburg ausgetragen, die siebte am 26. und 27. September in Münster. (Da das Ergebnis der „Besten Interpretation eines Werkes der Klassik“ bei Redaktionsschluss noch nicht fest stand, folgt ein Bericht in der nächsten nmz.)
Zwei Wettbewerbe – zwei Absichten
Im traditionellen Wettbewerb „Jugend musiziert“ geht es darum, sich als der beste Instrumentalist, als die beste Instrumentalistin seiner Altersstufe zu beweisen. Hierfür werden üblicherweise und völlig legitim wirkungsvolle Stücke gewählt und das Repertoire so zusammengestellt, dass die Virtuosität, der schöne Ton und die Ausdrucksfähigkeit zur Geltung kommen.
Mit der Einführung von WESPE wurden die genannten Fähigkeiten um weitere ergänzt: Jetzt steht der Zugang zum einzelnen Werk im Vordergrund. Dabei spielt die Zugehörigkeit zu einer Altersgruppe keine Rolle mehr, auch gibt es keine Unterscheidung in diverse Instrumental- und Vokalkategorien. Wer sich in die Literaturvielfalt der einzelnen Kategorien vertieft und daraus das oder die Werke für WESPE ausgewählt hatte, sah sich vor die Aufgabe gestellt, Unbekanntes kennen zu lernen, ihm zunächst Unverständliches zu begreifen, um dann vor den Jurys seine Interpretation des gewählten Stoffes zu präsentieren.
Appelliert wurde an den selbstständigen, eigenverantwortlichen Musiker, der am Ende vielleicht die Erkenntnis mit nach Hause nähme, dass gute handwerkliche Fertigkeiten kein Ziel an sich sein sollten, sondern stets im Dienst einer höheren künstlerischen, und damit auch sozialen Idee stehen müssen. So wie es Gideon Rosengarten, Mitglied des Beirates von „Jugend musiziert“, formulierte: „Mit WESPE werben wir für den mündigen Interpreten, der sich nicht einem Markttrend oder einem vorherrschenden Publikumsgeschmack anpasst. Wir unterstützen die Begegnung mit Neuem und fördern so produktive Neugierde und Kreativität, die Hauptwesensmerkmale eines künftigen Künstlers oder Kunstkenners.“
Zurück ins Licht
Attraktive Sonderpreise, ausgelobt von elf Institutionen und Stiftungen, boten Anreize, sich mit Kunst auseinanderzusetzen, die im öffentlichen Musikleben nicht zum etablierten Kanon gehört und die aufgrund ihrer besonderen Aspekte Förderung verdient. Aus den sieben Kategorien seien dazu beispielhaft zwei herausgehoben: Die Kategorie „Beste Interpretation eines Werks einer Komponistin“ hat eine besondere gesellschaftliche Relevanz, denn die Unbekanntheit solcher Werke ist in der Regel nicht etwa minderer Qualität geschuldet, sondern Vorurteilen, behindernden Bedingungen der künstlerischen Produktion und, oft in der Vergangenheit, dem eigenen Bild und Wertgefühl der Autorinnen selbst.
Auch bei der verfemten Musik – also Werken von Komponisten, die in der Zeit von 1933 bis 1945 verfolgt, verleumdet, verboten und zum Schweigen verurteilt worden waren – ist das Bekenntnis zu einer moralischen Verpflichtung, die aus der deutschen Geschichte herrührt, maßgeblich. Diese Werke wurden durch eine Willkürherrschaft um ihre Anerkennung gebracht und haben es verdient, wiederentdeckt zu werden.
WESPE – ein Thema fürs Feuilleton
Spezialisten für Musik des 20. und 21. Jahrhunderts hatten die anspruchsvolle Aufgabe übernommen, die Wertungsspiele der WESPE-Teilnehmer auf den Grad der künstlerischen Durchdringung hin abzuklopfen und begegneten den jungen Musikern durchaus auf Augenhöhe oder besser gesagt, als Senior-Partner. Denn wenn auch Profis auf Nachwuchsmusiker im Schüleralter trafen, so waren sich beide Generationen in der Auseinandersetzung mit dem Gehörten und Notierten sehr nahe – und die Profis mehr als einmal überrascht von der Brillanz der Kompositionen, der Tiefe des Verständnisses für das gewählte Werk, die die Teenager ausstrahlten.
Die Äußerungen vieler Teilnehmer zeugen von ähnlicher Empfindung, da ist vom Dank für die Möglichkeit, sich so intensiv mit einem einzigen Werk beschäftigen zu können, die Rede. Oder von Überraschung darüber, dass ein Stück Musik so viel zu sagen hat. „Ich habe mir fast jeden Abend die Noten angesehen, und je besser ich sie kannte, desto spannender wurde es,“ beschrieb ein 13-Jähriger die Vorbereitungszeit für WESPE.
Der Bogen vom vorprofessionellen Bereich hin zur Präsentation Neuer Musik durch etablierte Profis wurde am Samstag Abend im Konzert des „Ensemble Aventure“ geschlagen. Professor Wolfgang Rüdiger, künstlerischer Leiter des Ensembles, führte in das Konzert ein und vermittelte nicht nur den Zugang, den das „Ensemble Aventure“ zu bestimmten Werken suchte und ging, sondern gab Einblicke in den kompositorischen und klanglichen Entstehungsprozess.
Die Erfahrungen der Wertungsspiele in Freiburg haben gezeigt, dass die Themen, die „Jugend musiziert“ mit WESPE angestoßen hat – die Sorge um die Wiederentdeckung von zu Unrecht vergessenen Werken, die Einheit von Komposition und Präsentation, die Auseinandersetzung mit geistigen Strömungen unserer Zeit, die Mitwirkung qua Musik am heutigen kulturellen Diskurs – es verdient haben, über das regionale Interesse hinaus, ein Echo in den bundesdeutschen Feuilletons zu finden.
Infos
Die Kategorien, Teilnehmer, ihre Werke und die Ergebnisse des Freiburger WESPE stehen im Internet unter www.jugend-musiziert.org