Über 30 Jahre arbeitete und engagierte sich der Musikwissenschaftler Edgar Auer beruflich beim Deutschen Musikrat für den Wettbewerb, seit 2009 als Leiter des Projektes. Wir sprachen mit ihm über die Herausforderungen, den Spaß und das Glück, Steuermann dieses in der bundesdeutschen Kulturlandschaft einzigartigen Projekts zu sein.
neue musikzeitung: Lieber Edgar Auer, was läge näher, als zum Ende Deiner Zeit bei „Jugend musiziert“ mit dem Anfang zu beginnen? Wer hat Dich mit „Jugend musiziert“ bekannt gemacht?
Edgar Auer: 1981 heuerte ich beim Deutschen Musikrat als Mitarbeiter beim ersten Deutschen Chorwettbewerb an, der dann 1982 zum ersten Mal stattfand. Dort begegnete ich auch Mitarbeitern von „Jugend musiziert“, die mich fragten, ob ich im Jahr darauf auch bei „Jugend musiziert“ aushelfen könne. Ab 1983 habe ich dann als Organisationsleiter des Bundeswettbewerbs „Jugend musiziert“ zu arbeiten begonnen. Da der Bundesgeschäftsführer Dr. Eckart Rohlfs permanent auf Reisen war und sich intensiv mit der inhaltlichen Arbeit rund um „Jugend musiziert“ befasste, wünschte sich das Team, dass ich mich als Geschäftsstellenleiter um die personellen und logistischen Themen in der Bundesgeschäftsstelle kümmerte und Ansprechpartner für das Team war. Als Rohlfs dann in Pension ging und Hans Peter Pairott die Projektleitung übernahm, bat ich darum, die Personal- und Teamverantwortung, die ich faktisch hatte, auch vertraglich deutlich zu machen. Denn wenn ich Entscheidungen fällte, die dem Team gefielen, wurde mir applaudiert, waren es dagegen Themen, die dem Team missfielen, stellte man meine Befugnis dafür in Frage.
nmz: Dem „zweiten Mann“ der Bundesgeschäftsstelle wurde dann 2009 die Leitung angetragen.
Auer: Ja, als Pairott 2008 ging, war ich ein Jahr kommissarisch der Leiter des Projekts, ab 2009 dann offiziell der Projektleiter.
nmz: War der Wechsel aus dem Team in die Chefposition schwierig?
Auer: Ich habe den Schritt im Großen und Ganzen als Vorteil wahrgenommen, denn es gab ein stabiles Vertrauensverhältnis. Da der Bundeswettbewerb Jahr für Jahr aber an Größe und Umfang zunahm, mussten plötzlich Arbeitsbereiche, die bis dahin von einer Person betreut worden waren, auf zwei oder mehr Personen aufgeteilt werden. Dass diese Arbeitsteilung von den Mitarbeitern als sachliche Notwendigkeit wahrgenommen und nicht als Misstrauensbeweis für eine vermeintlich schlechte Leistung gewertet wurde, gehörte zu den energieintensiven Aufgaben meiner neuen Position.
nmz: Wie würdest Du die Rolle als Projektleiter beschreiben?
Auer: Zur Veranschaulichung taugt vielleicht am besten die berühmte Zeichnung „Der vitruvianische Mensch“ von Leonardo da Vinci. Die Figur im Kreis symbolisiert für mich die Projektleitung. Sie hat Berührung mit dem Team der Bundesgeschäftsstelle, den Lehrkräften, den Teilnehmern, Eltern, den Jurygremien, dem Musikrat mit seinen Verbänden, den Ausschüssen, nicht zu vergessen Finanzen, Logistik und IT. Ich habe mich immer als Moderator empfunden, der im Zentrum dieses riesigen Netzwerks steht und zwischen all den Institutionen vermittelt.
Die moderierende Tätigkeit halte ich folglich für die Schlüsselqualifikation an dieser Leitungsstelle. Der Input kommt aus dem Team, von den Fachleuten des Projektbeirats, die ihr jeweiliges Know-how in den Ring werfen. Als Projektleiter habe ich die Aufgabe, die Infos zu verarbeiten, aufzubereiten und zu kommunizieren. Bei der Realisierung habe ich immer die Unterstützung gekriegt, die ich mir gewünscht habe, und ich habe mich nie allein gelassen gefühlt.
nmz: Was waren bedeutende Veränderungen bei „Jugend musiziert“ in Deiner Zeit als Projektleiter?
Auer: Nach meiner Einschätzung habe ich die spannendste Zeit erlebt: In dieser Dekade fand eine gravierende Leistungssteigerung in den Altersgruppen III und IV statt, die die Musikpädagogik aufhorchen ließ. In meine Zeit fiel die Gründung von WESPE, die Einführung der Pop-Kategorien, die „besonderen Instrumente“, die intensive Kooperation mit dem chinesischen Wettbewerb.
nmz: Welche Rolle spieltest Du als Projektleiter bei diesen Entwicklungen?
Auer: Ich hatte das Glück, dass ich den Wettbewerb 15 Jahren vor der Übernahme der Leitung von der Pike auf und in seinen verschiedenen Aspekten kennenlernen durfte. So war ich mit Gremienarbeit vertraut und nahm den Projektbeirat, der damals noch Hauptausschuss hieß, den Erweiterten Projektbeirat und die etwa alle fünf Jahre stattfindenden Zentralkonferenzen als impuls- und ideengebende Instanzen wahr. Deren Ideen, so mein Verständnis, hatte ich zu realisieren. Ich fühlte immer eine Verpflichtung, die Machbarkeit solcher Beschlüsse in logistischer und finanzieller Hinsicht zu prüfen.
nmz: Du bist ja eigentlich Musikwissenschaftler, aber in der Wahrnehmung des Teams fand in der Bundesgeschäftsstelle sehr viel Programmierarbeit statt, die schließlich sogar in eine Branchensoftware mündete.
Auer: Das Programmieren hat sich eher zufällig ergeben. Als ich 1983 zu „Jugend musiziert“ kam, wurden die Verpflegungs- und Übernachtungszahlen noch von Hand und auf der Basis von Strichlisten erfasst. So dass erst sehr kurz vor dem Wettbewerb konkrete Zahlen vorlagen und man mit hohen Stornokosten konfrontiert war. Das musste sich schleunigst ändern und so begann ich mit der elektronischen Erfassung von Daten. Allerdings stand schon Rohlfs der elektronischen Datenverarbeitung sehr aufgeschlossen gegenüber. Es existierte bereits eine so genannte „mittlere Datentechnik“. Die habe ich dann kontinuierlich ausgebaut. Denn nach dem Übernachtungsteam wollte dann auch die Urkundenabteilung rechnergestützte Lösungen, dann äußerte die Abteilung zur Verwaltung der Jury den Wunsch. Schritt für Schritt wurde daraus eine Branchensoftware, deren Weiterentwicklung ich dann in die Hände eines Profis legte, nicht zuletzt, um sie von meiner Person unabhängig zu machen. 20 Jahre später stehen wir hier nun vor einem erneuten Paradigmenwechsel, denn die Software ist in die Jahre gekommen und muss internetbasiert weiterentwickelt werden.
nmz: Von notwendigen Modernisierungen abgesehen, scheint die Arbeit für „Jugend musiziert“ einen hohen Glücksfaktor zu bergen.
Auer: Oh ja, was mir immer wieder und erneut Freude bereitet hat: Dass ich Beschlüsse und Ideen zusammen mit einem hochmotivierten und kreativen Team realisieren durfte. Und in einem größeren Kontext betrachtet, halte ich es für ein großes Glück, dass ich meine Energie und mein Herzblut in einen Arbeitsbereich legen durfte, der Kinder und Jugendliche fördert und damit das Kulturleben unserer Gesellschaft mitgestaltet.
nmz: Die Arbeit für „Jugend musiziert“ hat ja die besondere Eigenschaft, in keiner Hinsicht langweilig zu sein.
Auer: Ja, das stimmt. Die Arbeit ist extrem abwechslungsreich, so gut wie nichts lässt sich von einem Wettbewerbsjahr auf das andere übertragen, und es ist nicht zuletzt der Kreativität und der Einsatzfreude des Teams zu verdanken, dass wir gemeinsam Bundeswettbewerbe realisieren konnten. Ich behaupte, dass es vergleichsweise „einfach“ ist, eine Fußball-WM zu organisieren, denn es steht von Anfang an fest, dass 12 Stadien und 32 Mannschaften benötigt werden. Wir bei „Jugend musiziert“ dagegen wissen die Anzahl der „Mannschaften“ erst 7 Wochen vor Ostern: Sind es 1.700 oder 1.800? Und als „Stadien“ müssen die Gegebenheiten der Gastgeberstadt herhalten. Auch hinsichtlich dieser Teamleistung ist „Jugend musiziert“ einzigartig!
nmz: Vor welchen Herausforderungen steht „Jugend musiziert“?
Auer: Der Motor von „Jugend musiziert“ war immer, dass musikpädagogische und musikpflegerische Bewegungen aufgenommen oder von den Gremien hinter dem Wettbewerb selbst initiiert wurden. Wie bunt darf also in Zukunft die Kategorienvielfalt sein, damit das Profil von „Jugend musiziert“ erkennbar bleibt und wie vielfältig muss es gleichzeitig sein, um möglichst viele Kinder und Jugendliche anzusprechen?
nmz: Dazu braucht man vermutlich nicht zuletzt Geld.
Auer: Ja, aber zuvor muss man etwas haben, wofür man streiten kann. Ich hielt es für einen wunderbaren Aspekt meiner Arbeit, dass „Jugend musiziert“ Ideen entwickeln darf, ohne gleich zu fragen, können wir uns das leisten? Der ungebrochene Zulauf an Teilnehmerinnen und Teilnehmern ist ja im Prinzip etwas sehr Positives, aber er entlässt die Verantwortlichen von „Jugend musiziert“ nicht aus der Pflicht, den Wettbewerb neu zu justieren und alles auf den Prüfstand zu stellen. Das immer größer werdende Kerngeschäft der Wertungsspiele lässt zusätzliche Angebote wie Rahmen- und Begegnungsprogramm kaum noch zu.
nmz: Die Gastgeberstädte für den Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ stehen bis 2025 fest. Wie schwierig ist es, Städte und Kommunen für die Ausrichtung zu interessieren?
Auer: Zunächst möchte ich sagen, dass ich über die Zusagen bis 2025 sehr froh bin, denn dadurch kann die neue Leitung die operative Arbeit fortsetzen, ohne sich um die Akquise zu kümmern. Tatsache ist aber auch, dass ich nie für die Gastgeberrolle einer Stadt werben musste.
Die Initiativen gingen und gehen immer von den Städten aus, wenn auch die Bundesländer jeweils mit einbezogen werden müssen. Denn Stadt und Bundesland bringen zu gleichen Teilen Födermittel auf, die die Grundsicherung des Bundeswettbewerbs durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und der Sparkassen-Finanzgruppe ergänzen
nmz: Was wünschst Du „Jugend musiziert“?
Auer: Ich wünsche mir zweierlei: Dass es weiterhin Menschen gibt, die „Jugend musiziert“ so zu ihrer eigenen Sache machen, dass die Strahlkraft des Wettbewerbs erhalten bleibt. Und, dass die Marke „Jugend musiziert“, und darunter verstehe ich den professionellen und wertschätzenden Umgang mit dem Talent und der Musizierfreude von Kindern und Jugendlichen, erhalten bleibt.