Man musste nicht lange suchen und „Mister Kammermusikkurs“ war gefunden: Hartmut Gerhold hat so lange und so oft wie kein anderer den „Deutschen Kammermusikkurs Jugend musiziert“ als Dozent und/oder künstlerischer Leiter unter seine Fittiche genommen. Zwölf Mal war der Flötist Dozent in einem Kammermusikkurs, fünf Mal verantwortete er bisher als Leiter die Inhalte des „KMK“, wie das älteste Anschlussförderprojekt von seinen Wegbegleitern liebevoll genannt wird. Selbstredend wird er in diesem August auch die Leitung des Jubiläums-Kammermusikkurses übernehmen, sicherlich ein Höhepunkt seines jahrzehntelangen künstlerisch-pädagogischen Wirkens. Er berichtet im Folgenden von seinen persönlichen Eindrücken und Erfahrungen und hält auch ein paar Wünsche bereit.
Im August findet in der Musikakademie Schloss Weikersheim zum 50. Mal der Deutsche Kammermusikkurs „Jugend musiziert“ statt. Der erste Kurs wurde im Oktober 1964 in Aurich durchgeführt, noch im gleichen Jahr wie der erste Bundeswettbewerb in Berlin. Damals hieß diese älteste Anschluss- und Ergänzungsmaßnahme des Gesamtprojekts „Jugend musiziert“ noch etwas altväterlich „ Jugend musiziert-Förderkurse für Ensemblespiel“. Ich selbst wurde 1987, noch von Eberhard Schmidt, dem Initiator und langjährigen unermüdlichen Ideengeber des Kammermusikkurses, zum ersten Mal als Dozent eingeladen. Später, ab 1994, wurde ich hin und wieder auch mit der Kursleitung betraut. Was hat sich seit den frühen Jahren, außer der Bezeichnung, noch verändert? Was ist konstant geblieben? Und was sollte sich vielleicht ändern?
Beginnen wir mit den Konstanten. Gleich geblieben sind im Wesentlichen die Inhalte und Ziele, die seinerzeit zur Einrichtung des Kammermusikkurses geführt haben:
- Vermittlung von ersten Erfahrungen im Kammermusikspiel und Vertiefung bereits vorhandener Kenntnisse bei „alten Hasen“ der Kammermusik und schon bestehenden festen Ensembles;
- Kennenlernen von Standardwerken und -besetzungen aller Stilepochen;
- exemplarisches Erarbeiten unbekannter, insbesondere auch zeitgenössischer Werke, auch in weniger gebräuchlichen Besetzungen;
- Unterricht bei verschiedenen Dozenten;
- interne und öffentliche Aufführungen der im Kurs erarbeiteten Werke.
Erwartungsvolle Spannung
Unverändert geblieben ist auch die Kursdauer von etwa zwei Wochen, ein hohes Gut unter künstlerischen und pädagogischen Gesichtspunkten, nach wie vor ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Kursangeboten und unverzichtbare Voraussetzung für das hohe Anspruchsniveau des Kurses. Dieses wird nicht zuletzt auch geprägt vom Dozentenkollegium, das sich, immer wieder wechselnd, aus erfahrenen Solisten sowie Kammer- und Orchestermusikern in führenden Positionen zusammensetzt, die in aller Regel auch in Jurys aller Wettbewerbsstufen mitgewirkt haben.
Annähernd gleichgeblieben sind das Alter (zwischen 13 und 25 Jahre) und mit circa 45 bis 60 auch die Zahl der Kursteilnehmer, die aus einer stets erheblich größeren Zahl von Bewerbungen zum Kurs zugelassen werden können. Bei einer aktuellen Teilnehmerzahl von über 2.300 beim Bundeswettbewerb bedeutet dies, dass nur noch etwa 2,5 Prozent von ihnen mit einem Platz im Kammermusikkurs rechnen können. 1980 waren es, bei circa 500 Teilnehmern am Bundeswettbewerb, noch etwa 10 Prozent!
Das wichtigste Kontinuum des Kur-ses über all die Jahre ist jedoch der Enthusiasmus, der alle Beteiligten stets aufs Neue erfüllt, wenn der Kurs be-ginnt; die erwartungsvolle Spannung, von der „die Neuen“ erfüllt sind, die zum ersten Mal dabei sind, die Neugier auf die Mitspieler, die zu erarbeitenden Stücke und auf die Dozenten und die Begeisterung, mit der Teilnehmer wie Dozenten sich gleichsam „rund um die Uhr“ der Musik verschreiben.
Hervorragend ausgebildete Jugendliche
Zu den Veränderungen, die im Laufe der Jahre beim Kammermusikkurs zu beobachten waren, zählen sowohl materiell-äußerliche Faktoren als auch qualitativ-inhaltliche. Die äußeren Rahmenbedingungen haben sich in der Weise verändert, dass die Kursorte in den ersten Jahren fast ausschließlich in Nordwestdeutschland lagen. Durch die Errichtung von zahlreichen Landes- und Bundesakademien sowie anderen musikalischen Bildungsstätten und nicht zuletzt auch durch die Öffnung der Grenzen zur ehemaligen DDR sind mittlerweile in fast allen Bundesländern zum Teil mehrere Orte und Häuser vorhanden, die sich für die Durchführung unseres Kurses eignen. Ob zukünftig aus organisatorischen und Kostengründen eine Konzentration auf einige wenige Kursorte im Wechsel notwendig sein wird, muss sich herausstellen.
Geändert hat sich auch der Zeitraum für die Kurse. Lag der Termin in den Anfangsjahren im Herbst, wurde er in den 80er-Jahren mehr und mehr in den Sommer verlegt. Es gilt, bei den wechselnden Zeiten für die Sommerferien, in jedem Jahr wieder, eine möglichst große Schnittmenge gemeinsamer Ferienzeit in möglichst vielen Bundesländern zu finden. Eine hochwillkommene Veränderung bedeutete auch die Erweiterung der Zielgruppe für den Kammermusikkurs. Ab 1991/92 kamen allmählich, und bald immer selbstverständlicher, hervorragend ausgebildete Jugendliche aus den neuen Bundesländern hinzu, nachdem sich vorher schon, leider bis heute immer nur vereinzelt, erfolgreiche Wettbewerbsteilnehmer von den Deutschen Schulen im Ausland um eine Teilnahme am Kammermusikkurs beworben hatten.
Bemerkenswert und überaus erfreulich ist eine weitere kontinuierliche Veränderung über einen langen Zeitraum zu beobachten, die auch bei allen Wettbewerbsstufen von „Jugend musiziert“ wie auch beispielsweise bei den Aufnahmeprüfungen an den Musikhochschulen festzustellen ist: Der Leistungsstand der jungen Musikerinnen und Musiker ist erheblich gestiegen, und es gibt heute viel mehr von ihnen, die schon Erfahrungen im Ensemblespiel, sei es im Orchester, sei es in der Kammermusik, mitbringen.
Attraktivität des Kurses = hohe Leistungsfähigkeit
Folgende Antworten auf die Frage, was sich möglicher- und vielleicht sogar sinnvollerweise an der inhaltlichen Gestaltung oder der Struktur des Kammermusikkurses ändern könnte oder sollte, mögen als meine Wünsche zum 50-jährigen Jubiläum des Deutschen Kammermusikkurses gelten:
Ich wünsche mir, dass es möglich wird, wieder regelmäßig einen namhaften Komponisten (oder selbstverständlich auch eine Komponistin) als Dozenten zum Kurs einzuladen, in Verbindung mit einer Auftragskomposition, die im Kurs einstudiert wird, so wie es bis 2007 fast regelmäßig der Fall war. Das Profil des Kurses wurde dadurch geschärft und Kursteilnehmer wie Dozenten hatten die Gelegenheit der persönlichen Begegnung und Zusammenarbeit mit Harald Genzmer, Michael Denhoff oder Hans-Jürgen von Bose, mit Manfred Trojahn, Babette Koblenz oder Steffen Schleiermacher, mit Albrecht Gürsching oder Jörg Widmann und vielen anderen. Eine Folge wäre dann womöglich auch eine wieder stärkere Berücksichtigung von zeitgenössischer Musik in den Kursprogrammen.
Dem Deutschen Kammermusikkurs mit seiner langen und erfolgreichen Tradition würde eine Öffnung für internationale Projekte gut ins Konzept passen. Zu denken ist dabei an eine Zusammenarbeit mit anderen nationalen oder internationalen Ensemblekursen oder Jugendwettbewerben, aber auch an besondere Angebote für Wettbewerbsteilnehmer von den Deutschen Schulen im Ausland.
Im Interesse des Deutschen Kammermusikkurses, und das heißt natürlich im Interesse der jungen Musiker und der besonderen Kammermusikgattung, ist zu wünschen, dass sich zukünftig mehr und öfter Sängerinnen und Sänger für die Besetzung „Sologesang mit einem oder mehreren verschiedenen Instrumenten“ für den Kurs anwerben lassen und sich später vielleicht sogar einmal diese Besetzung als eine neue Kategorie für den Wettbewerb ergibt. 1994 habe ich selbst als Kursleiter zum ersten Mal „Kammermusik mit Gesang und Instrumenten“ auf das Arbeitsprogramm für den Kammermusikkurs gesetzt. Die wenigen Male, bei welchen seither ebenfalls Sängerinnen und Sänger zum Kammermusikkurs eingeladen waren, haben gezeigt, wie anregend und bereichernd die gemeinsame Erarbeitung und Aufführung eines Kammermusikwerkes für Sänger wie Instrumentalisten sein kann. Im Übrigen hat der Deutsche Musikrat für den Wettbewerb „Jugend musiziert“ bereits 1993 eine „Literaturlis-te für vokale Ensemblemusik“ veröffentlicht, die, offenbar im Vorgriff auf die Einrichtung einer entsprechende Wettbewerbskategorie, eine Fülle von „Literatur für Vokalstimme(n) mit und ohne Instrument(e) (2 bis 8 Interpreten)“ enthält.
Fünfzig Mal hat der Deutsche Kammermusikkurs bewiesen, was er in 14 Tagen intensiver Arbeit zu leisten imstande ist. Für die Zukunft ist zu wünschen, dass im Sinne einer Spitzenförderung (finanzielle) Mittel und (organisatorische) Wege gefunden werden, um mit einigen Wochen oder Monaten Abstand einen Aufbaukurs für die herausragenden und besonders erfolgreichen Ensembles des „Hauptkurses“ durchzuführen, in Verbindung mit anschließenden Konzerten in attraktiven Veranstaltungsrahmen. Die wenigen Male in der bisherigen Geschichte des Kammermusikkurses, an denen etwas Ähnliches möglich war – zuletzt 2009 auf Einladung der Musikschule Neubrandenburg –, haben gezeigt, welcher Zuwachs an Attraktivität für den Kurs ganz allgemein und welche Leistungssteigerung für die beteiligten Ensembles durch eine solche Maßnahme noch einmal möglich ist.
Schließlich und zu guter Letzt: Der Deutsche Kammermusikkurs „Jugend musiziert“ – vivat, crescat, floreat!
Der 50. Deutsche Kammermusikkurs:
Wann? Vom 19. bis 30. August 2014
Wo? Musikakademie Schloss Weikersheim
Dozenten:
Leitung: Hartmut Gerhold, Querflöte
Konstanze Eickhorst, Klavier
Winfried Rademacher, Violine
Hans Joachim Greiner, Viola
Mario Blaumer, Violoncello
Joachim Klamm, Klarinette
Jörg Michael Thomé, Fagott
Sanja Fister, Schlagzeug
Abschlusskonzerte:
Donnerstag, 28. August 2014, Weikersheim
Freitag, 29. August 2014, Würzburg, Hochschule für Musik
Samstag, 30. August, Bonn, Beethoven-Haus