Können sich Musikschaffende ihren Beruf noch leisten und wer leistet sich noch Musik? – Zwei Fragen, die nach zwei Jahren Pandemie und rasant steigenden Energie- und Lebenshaltungskosten gestellt werden müssen. Finanzielle Polster sind aufgebraucht, Corona-Hilfen mussten ganz oder teilweise zurückgezahlt werden, an die Bildung von Rücklagen ist nicht zu denken. Viele Branchen sind pandemiebedingt finanziell gebeutelt. Gerade Musikschaffende und Musiklehrende sind aber besonders betroffen, gestaltet sich die Honorarsituation doch in diesem Bereich nach wie vor problematisch.
Hier ist die alleinerziehende Mutter, die zwei Teilzeitstellen an öffentlichen Musikschulen hat und damit, sowie mit Privatschülern und Konzerten, bislang gut über die Runden kam. Nun fressen die Benzinkosten das Musikschulgehalt auf, ein Umzug kommt wegen der Kinderbetreuungssituation nicht infrage. So hilft nur noch ein fachfremder Job am Wochenende, wohlgemerkt zusätzlich zu all der anderen Arbeit. Dort ist der private Klavierpädagoge, der zwanzig Jahre auskömmlich und erfolgreich im eigenen Studio unterrichtet, aber in den letzten drei Jahren versäumt hat, die Gebühren anzupassen. Während der Lockdowns sind Schüler weggebrochen, weil sie keinen Online-Unterricht wollten, neue kommen derzeit nicht. Eine Anhebung der Gebühren um 20 Prozent wäre notwendig, um die Kosten für das Studio und die Lebenshaltung zu decken. Dadurch wächst aber die Gefahr, dass weitere Schüler kündigen. Schließlich wird der Beitrag für die Künstlersozialkasse herabgesetzt. Welche Folgen dies für die finanzielle Situation des alleinlebenden Mannes beim Eintritt ins Rentenalter hat, sind abzusehen.
Diese Reihe der Beispiele ließe sich beliebig fortsetzen. Sie begegnen mir in meiner Tätigkeit als Referentin für Honorarstandards im Tonkünstlerverband Baden-Württemberg mehrmals wöchentlich in der Beratung von Mitgliedern, die das Gespräch suchen. Der intensive Austausch mit Mitgliedern aus allen Sparten der Musikbranche, führt letztendlich zur stetigen Weiterentwicklung der Honorarstandards.
2022 aber war besonders viel Augenmaß gefordert, da ver.di (Tabelle 10.1.1.3 Fachgruppe Musik/Ratgeber/Aktualisierung) für die 45-minütige freie Unterrichtstätigkeit keine Erhöhung vorgenommen hat und der Satz immer noch bei 48,29 Euro liegt. Die Deutsche Orchestervereinigung hat ihre Empfehlungen um zwei Prozent erhöht und ihre Zahlen für die freie Mitarbeit in Orchesterprojekten sehr vereinfacht (www.dov.org/mindesthonorare). So gibt es nur noch einen Probensatz von 125 und einen Tagessatz von 250 Euro als absolute Untergrenze. Perspektivisch wird von der DOV 250 Probensatz und 500 Euro Tagessatz gefordert.
Im baden-württembergischen Vorstandsgremium haben wir unter Abwägung aller Aspekte – auch dessen, dass Musikunterricht kein Luxusgut werden darf – und nach intensiven Beratungen beschlossen, die Honorarstandards 2022 um rund 5% zu erhöhen. Dies stellt eine Annäherung an die derzeitige Inflationsrate dar, aber noch keinen Ausgleich. Es handelt sich bei diesen Standards um Empfehlungen des Berufsver-bandes, die vor allem als Argumentationsgrundlage für Verhandlungen mit Auftraggebern aller Art dienen sollen. Ich appelliere eindringlich an alle unterrichtenden Kolleginnen und Kollegen, ihre Gebühren regelmäßig, am besten jährlich moderat anzupassen und vor allem Neuverträge in die Richtung dieser Empfehlungen zu steuern. Auch öffentliche Musikschulen erhöhen ihre Beiträge zum neuen Schuljahr.
Freiberufliche Psychotherapeuten, Rechtsanwälte, Architekten stellen sich die Frage, ob sie sich ihren Beruf noch leisten können in keiner Sekunde. Auch wir sind Akademiker mit abgeschlossenem Hochschulstudium und Musik als gesellschaftsbildendes Medium der Kommunikation ist systemrelevanter denn je. Die Kompetenz, dies zu vermitteln, gibt es nicht im Sonderangebot. (www.dtkv.net/honorarstandards)