Bremen ist mit seiner alljährlich stattfindenden Hausmusikwoche Vorreiter für ähnliche Veranstaltungsreihen in Deutschland geworden, und der Grund hierfür liegt einmal in der Konzeption, zum anderen in der Stetigkeit der Durchführung, was sich daran zeigt, dass wir in diesem Jahr die 70. Bremer Hausmusikwoche erleben können.
Historisch gesehen, gab es den „Cäcilientag“, also den Tag der Hausmusik, bereits seit 1932 als gemeinsame Initiative vor allem von Pädagogen, aber auch von Musikverlegern, Musikalienhändlern und Instrumentenbauern. Sicherlich hat es in dieser Zeit auch in Bremen die eine und andere Veranstaltung an diesem Tag gegeben, meist als Musizierstunde von Schülerinnen und Schülern in der Wohnung der Musiklehrerin oder des Musiklehrers. Der eben erwähnte Vorstoß im Jahre 1932 für eine mehr in die Öffentlichkeit gerichtete Präsentation der häuslichen Musikpflege erweckt vielleicht den Eindruck, hier hätten vorwiegend kommerzielle Interessen eine Rolle gespielt. Damit würde man allerdings den Idealismus der Initiatoren unterschätzen, die damals spürten, dass in der Zeit des politischen und wirtschaftlichen Zusammenbruchs Deutschlands, in einem der Musikpflege zunehmend unzuträglicher werdenden gesellschaftlichen Umfeld Zeichen gesetzt werden müssten, Zeichen gegen Konsumhaltung und Verflachung, Zeichen für Sinn gebende Gestaltung des Lebens.
Trotz veränderter Rahmenbedingungen ist es bis heute so geblieben, und auch 1949 hat der Vorstand des Bremer Tonkünstlerverbandes ganz ähnliche Absichten gehabt, als er die Bremer Hausmusikwoche ins Leben rief. Die Überlegung war damals wie heute: Ohne eine breite Basis von Menschen, die selbst Musik machen, stünde es um das allgemeine Musikleben, um Musik in der Schule, um Konzertbesuch und Berufsmusikernachwuchs schlecht. Erst durch Unterweisung und eigenes Tun bilden sich der Geschmack und die Fähigkeit, Musik zu erleben und das Überflüssige vom Wertvollen zu unterscheiden.
Die seinerzeit vom Vorstand getroffenen Regelungen für die Durchführung der Hausmusikwoche, man könnte es auch Vorschriften nennen, waren streng: Es durften nur Mitglieder des Tonkünstlerverbandes ihre Schüler für die Vorspielstunden anmelden, und es war seitens der Organisatoren darauf zu achten, dass der Anteil von Schülern der Musikschule sehr viel geringer als der von Privatlehrern war. Dies war durchaus Ausdruck eines gewissen Misstrauens gegenüber fest angestellten Kollegen, deren Qualifikation man allerdings, ohne sie zu kennen, genauso wenig beurteilen konnte wie die von eventuell nicht bekannten freiberuflich Tätigen. Dazu kam noch eine Besonderheit, heute im wahrsten Sinne des Wortes sonderbar anmutend: Auf den Programmzetteln durften bis in die 70er-Jahre außer den Namen der Komponisten und der vortragenden Schülerinnen und Schüler auf gar keinen Fall die Namen der unterrichtenden Lehrkräfte auftauchen. Es könnte ja vielleicht eine Abwerbung geschehen! Auch Mitgliederkonzerte waren undenkbar. Diese Situation fand ich vor, als ich 1966 oder 1968 in den Vorstand gewählt wurde. Die um die Ausrichtung der Hausmusikwoche jahrzehntelang hochverdiente freiberufliche Klavier- und Cembalolehrerin Anneliese Würdemann, aber auch die sowohl an der Musikschule als auch freiberuflich tätige Lehrerin Hildegard Meyer, eine der treibenden Kräfte bei der weiteren Entwicklung, beobachteten zusammen mit einem erneuerten Vorstand dies alles mit nüchterner Leidenschaft, und langsam zogen die notwendigen Veränderungen ein.
Das Erlernen eines Instruments ist für gewöhnlich eine Herausforderung im Leben eines Kindes und eines Jugendlichen, weil es, vor allem in der Kammermusik oder im Orchester, Kräfte aufruft und schult, die auch in vielen außermusikalischen Lebensäußerungen wichtig werden: Geschicklichkeit, Freude am eigenen Tun, Feinmotorik, Gefühl für Zeit und Raum, Erfassen von Strukturen, Wahrnehmen des Nachbarn, Horchen auf Leises und scheinbar Unbedeutendes, Ensemblegeist, Ausdauer, Geduld mit sich selbst und dem Mitmenschen, Disziplin, Kreativität, Improvisationsvermögen, freies Sich-Bewegen vor anderen. Die Liste der durch eigenes Musizieren entwickelten Tugenden ließe sich leicht fortsetzen. In die Sprache des musikinteressierten Kindes und Jugendlichen übersetzt, könnte es heißen: Musik ist nicht nur für mich selbst, sondern auch für andere da; Freude an der Musik, die ich spiele, habe ich auch dann, wenn ich noch nicht ganz so viel kann, und vielleicht hören mir andere Leute sogar deshalb gerne zu. Wenn ich mit anderen zusammen musiziere, macht es mir noch mehr Spaß, als wenn ich allein übe und spiele, aber auch das muss sein, wenn ich weiterkommen will.
Hausmusik steht bei manchen Berufsmusikern im Ruf, laienhaft zu sein, sowohl von der verwendeten Literatur als auch von der Ausführung her gesehen. Wir haben aber in den vielen Bremer Hausmusikwochen festgestellt, dass die Grenzen zur sogenannten anspruchsvollen Musik sehr fließend sind, so dass sowohl vom Inhaltlichen als auch vom Technischen her eine Grenzziehung zwischen „Musik“ und „Hausmusik“ sinnlos, ja absurd ist. Es ist für mich sehr interessant, die Programme der vielen Hausmusikwochen durchzusehen und festzustellen, dass neben Altem und Bewährtem sich immer wieder ganz Modernes zeigt, dem sich vor allem Kinder meist wesentlich unbefangener als manche Erwachsene nähern. Auch ganz neue Formen des Musizierens werden erprobt, die Improvisation spielt zunehmend eine wichtige Rolle. Kinder und Jugendliche erweisen sich als ungeheuer einfallsreich, wenn ihnen von ihren Lehrerinnen und Lehrern Freiheit zum Erproben ihrer musikalischen Kräfte gegeben wird.
Als ich von 1974 bis 1997 die Hausmusikwoche organisatorisch betreute, wuchs mit den Jahren meine Hochachtung vor meinen Kolleginnen und Kollegen im Tonkünstlerverband, die mit ihrer unermüdlichen Arbeit an den ihnen anvertrauten Kindern und Jugendlichen in einer breiten Öffentlichkeit Musikverständnis und Musikliebe wecken und wach halten konnten. Sicherlich hat zu der besonderen bremischen Atmosphäre der Hausmusikwoche auch beigetragen, dass sie keinen Wettbewerbscharakter besitzt. So wichtig Kinder- und Jugendwettbewerbe sind: Die Bremer Hausmusikwoche sollte bei allem Neuen, das gewagt werden muss, ihr besonderes Flair als stressfreie oder besser (weil es ein bisschen Lampenfieber immer geben muss) stressarme Reihe von Musizierstunden und Konzerten behalten, in denen sich Ausführende und Zuhörer gerne begegnen. Vor der Musikgeschichte und der Geschichte der Musikerziehung sind siebzig Jahre Bremer Hausmusikwoche ein kleiner, unbedeutender Zeitraum; in unserer schnelllebigen Zeit sind siebzig Jahre Beharrlichkeit und lebendige Tradition viel, sehr viel. Es lohnt sich, weiterzumachen.