Anlässlich des 20-jährigen Bestehens veröffentlicht die nmz – verteilt auf drei Ausgaben – ein Interview mit der Vorsitzenden des DTKV-Sachsen, Stephanie Dathe, welches im September von Landesgeschäftsführer Christian Scheibler in Leipzig für die nmz geführt wurde. Hiermit wird zugleich die in der nmz 9/12 begonnene Serie von Interviews mit DTKV-Landesvorsitzenden fortgesetzt.
Anlässlich des 20-jährigen Bestehens veröffentlicht die nmz – verteilt auf drei Ausgaben – ein Interview mit der Vorsitzenden des DTKV-Sachsen, Stephanie Dathe, welches im September von Landesgeschäftsführer Christian Scheibler in Leipzig für die nmz geführt wurde. Hiermit wird zugleich die in der nmz 9/12 begonnene Serie von Interviews mit DTKV-Landesvorsitzenden fortgesetzt.
Der Deutsche Tonkünstlerverband – Landesverband Sachsen e.V. steht in der Tradition eines der ältesten Berufsverbände in Deutschland, dessen Gründung Mitte des 19. Jahrhunderts in Rechtlosigkeit, sozialer Unsicherheit und wirtschaftlicher Not, zugleich im gewachsenen Selbstbewusstsein von Musikern als Mittler von Kultur und Bildung wurzelte. 1847 wurde der erste gesamtdeutsche Tonkünstlerverband in Leipzig gegründet, dessen Ziele die Pflege und Vermittlung von Musik in der Gesellschaft und eine solidarische Interessenvertretung für die Musiker selbst umfassten. Nach der Zwangspause durch beide deutsche Diktaturen wurde der Landesverband Sachsen 1993 in Leipzig als eigenständig rechtsfähiger Verband wiederbegründet und trat zugleich dem Deutschen Tonkünstlerverband bei. Zentrales Anliegen sind nach wie vor die umfassende Pflege von Musik, eine breite musikalische Bildung der Gesellschaft, die Fortbildung von Berufsmusikern und deren Interessenvertretung zur Sicherung angemessener wirtschaftlicher, rechtlicher und fachlicher Voraussetzungen für die existenzsichernde Ausübung von Musik-Berufen.
neue musikzeitung: In den neuen Ländern wurden ab 1990 die Strukturen neu aufgebaut. Wie war es beim DTKV?
Stephanie Dathe: Tatsächlich hatten schon Anfang 1990 engagierte Akteure in vielen Branchen Kontakt zu „ihren“ in Westdeutschland bestehenden Berufsverbänden aufgenommen und mit deren Unterstützung in Sachsen entsprechende Regionalstrukturen aufgebaut. Verbände, die so starteten, können sich heute auf ansehnliche Mitgliederzahlen, starke Strukturen und eine gute Vernetzung in der Politik und im öffentlichen Leben stützen. Gerade in den ersten Jahren gab es vielfältige Möglichkeiten der Förderung, einen unkomplizierten Zugang zu Geschäftsräumen aufgelöster DDR-Strukturen, zur Mitgestaltung der Berufsfelder, bei neuen Gesetzen und Verwaltungsvorschriften.
Dies ist so für den DTKV in Sachsen nicht dokumentiert, obwohl die Umbrüche der Kulturlandschaft nach Ende der DDR und die in großer Zahl in die Freiberuflichkeit gedrängten Musiker eine starke Standesvertretung erfordert hätten. Ursachen mögen in der ausgeprägten Individualität von Musikern liegen, in beruflichen Ängsten, wirtschaftlicher Not, dem ungewohnt harten Wettbewerb, dem Beharren in gewohnten Strukturen (viele Musiker sind auch als Freiberufler noch Gewerkschaftsmitglieder).
Nicht zuletzt kann die früher noch mögliche Einzelmitgliedschaft im DTKV-Bundesverband sowie in dessen Fünf-Länder-Verband, der als Vorläufer für eigenständige Landesverbände in den fünf neuen Bundesländern gedacht war, Ursache für den vergleichsweise späten Landesverbands-Start gewesen sein.
Dieser fand dann 1993, angeregt durch den DTKV Bundesverband und als Ausgründung aus dem Fünf-Länder-Verband, in einer Leipziger Privatwohnung durch sieben Musiker statt, die den DTKV Sachsen wiederbegründeten. In den folgenden Jahren gab es eine warmherzige Aufnahme in den Gremien des neu gebildeten DTKV-Dachverbandes sowie bei den Schwesterverbänden. Der Aufbau der Verbandsstrukturen lebt jedoch bis heute noch stark von der privaten Unterstützung Einzelner, der Bereitstellung privater Räumlichkeiten und Arbeitsmittel sowie einem Übermaß ehrenamtlicher Arbeit. Erschwerend ist die immer geringere Bereitschaft von Mitgliedern für ein ehrenamtliches Engagement, obwohl die Erwartungen an die Service-Leistungen und die Aktivitäten des Verbandes immer größer werden – eine der schwierigsten Herausforderungen der Zukunft!
nmz: Sie sind als Pianistin und Musikpädagogin wie viele DTKV-Mitglieder freiberuflich tätig, seit 2002 Mitglied, seit 2004 im Vorstand und seit Ende 2005 Vorsitzende im DTKV Landesverband Sachsen. Was haben Sie, was andere Mitglieder vom DTKV erwartet und wurde dies erfüllt?
Dathe: Meine persönlichen Erwartungen an den Berufsverband stimmen mit denen vieler Mitglieder überein. Seit meiner Wahl zur Vorsitzenden 2005 wird im DTKV Sachsen jedes Mitglied zu seinen Erwartungen an den Verband befragt, wir haben heute darüber ein sehr klares Bild. Persönlich erinnere ich mich an den Schock, als mir bewusst wurde, dass die Musikhochschule mir zwar hervorragende musikalische, fachliche und pädagogische Fähigkeiten, jedoch kein Wissen darüber vermittelt hatte, wie ich mein professionelles Berufsleben als Pianistin gestalten sollte.
Meinen Start bereitete ich deshalb mit einem halbjährigen Existenzgründerkurs vor, dabei wurde mir bewusst, dass die beschämend niedrigen Honorare, fehlende Anstellungsmöglichkeiten und die schlechte Auftragslage für Musiker im Verhältnis zu anderen Berufsgruppen dazu führen mussten, dass ohne ein eigenes, unternehmerisches Engagement Existenzsicherung nur auf niedrigstem Niveau zu erwarten war – an die Finanzierung hochwertiger Instrumente, vielseitiger Musikliteratur für das eigene Repertoire und den Musikunterricht, weitere Fortbildung und finanzielle Absicherung im Alter gar nicht zu denken war. Vom Berufsverband erhoffte ich Unterstützung beim Start eines eigenen Ensembles und einer privaten Musikschule, die Abdeckung von Berufsrisiken, Fortbildung und Informationen zur Berufsausübung und nicht zuletzt Unterstützung durch Vermittlung von Schülern und Konzertangeboten sowie bei Planung und Organisation eigener Projekte und Vorhaben. Und ich erwartete eine starke Interessenvertretung gegenüber Musikschulen, Veranstaltern, der Politik und der Öffentlichkeit: für bessere Arbeitsbedingungen, soziale Sicherung und Einkommen.
Sehr bald nach meinem Eintritt stellte ich fest, dass der Verband dazu noch gar nicht in der Lage war, nicht einmal die Berufshaftpflichtversicherung bestand noch. Der DTKV in Sachsen hatte sich zehn Jahre nach seiner Wiedergründung als Veranstalter eines Festivals für neue Musik in Leipzig und eines Kompositionswettbewerbes etabliert, eine wichtige und schöne Aufgabe, jedoch war er weit entfernt von einer berufspolitischern Interessenvertretung. Er stellte sich eher wie ein Freundeskreis von Musikliebhabern dar. Vor die Entscheidung gestellt, den Verband zu verlassen oder Gleichgesinnte zu suchen und für eine Professionalisierung, Stärkung und wirksamere Interessenvertretung zu kämpfen, erlebte ich nicht nur große Zustimmung der Mehrzahl der Mitglieder. Vielmehr erfuhren die neu gewählten Vertreter des Landesverbandes große Unterstützung durch das Präsidium des Bundesverbandes, andere DTKV-Landesverbände, durch den Sächsischen Musikrat, die Landes- und Regionalausschüsse von „Jugend musiziert“, durch Vertreter sächsischer Musikhochschulen, in den Ministerien für Wissenschaft und Kunst und Kultus und viele andere mehr – eine beglückende und motivierende Erfahrung auf einem Weg, der unendlich viel Kraft und Einsatz erforderte und keinesfalls beendet ist. Die seit 2005 stetig wachsende Mitgliederzahl im Landesverband und die kürzlich erfolgte einstimmige Wahl des diesen Weg tragenden Vorstandes bestätigen die eingeschlagene Richtung.
nmz: Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen des Musiklebens, welche Erfahrungen machen Sie bei der Interessenvertretung für Ihre Mitglieder und welche Missstände müssen am dringlichsten beseitigt werden?
Dathe: Insgesamt erlebt der DTKV Sachsen seit seinem verstärkten Engagement für eine berufsständische Interessenvertretung eine zumeist sehr respektvolle, offene und konstruktive Atmosphäre der Zusammenarbeit und des Gesprächs auch bei unterschiedlichen Zielen und Ansichten bei staatlichen und kommunalen Verantwortungsträgern, den Vertretern des VdM in Sachsen, in vielen sächsischen Musikschulen und dem staatlichen Konservatorium, in den Musikhochschulen, bei anderen Musikverbänden und bei den Institutionen des Musiklebens in Sachsen. Der DTKV Sachsen ist seit 2006 wieder ständiges Mitglied im Sächsischen Musikrat und bringt sich dort engagiert ein. Als Mitglied im Landesausschuss und den meisten Regionalausschüssen von „Jugend musiziert“ in Sachsen setzt sich der DTKV insbesondere für ausgewogene Jury-Zusammensetzungen, objektive Entscheidungsfindungen und die Chancengleichheit von Schülern freier Musikpädagogen im Wettbewerb ein. Das war vorher – und ist es teilweise noch – ein fast ausschließlich vom VdM bzw. öffentlich geförderten Musikschulen dominiertes Geschehen. Ein tatsächlicher Missstand ist die seit 2001 im Freistaat Sachsen gültige „Förderrichtlinie Musikschulen“, die durch unnötige Formal-Vorgaben private Musikschulen weitestgehend aus der Förderung ausschließt; ein erster Entwurf zur Neufassung, den wir kritisch und konstruktiv begleiteten, muss dringend weiterverfolgt werden; nach einem persönlichen Gespräch unseres Geschäftsführers mit der zuständigen Ministerin hoffen wir hier sehr auf eine weitere Einbindung und eine gleichberechtigte Berücksichtigung des Privatunterrichts bei der Neufassung. Noch problematischer ist die in der bestehenden Fassung der Förderrichtlinie enthaltene Eingrenzung der Begabtenförderung, durch die Kinder, die ihren Unterricht nicht an öffentlich geförderten Musikschulen erhalten, explizit ausgeschlossen werden. Das betrifft in Sachsen mit den von freien Musikpädagogen, privaten Musikschulen, in Kirchgemeinden und Musikvereinen unterrichtete Kindern nahezu die Hälfte aller Musikschüler, denn öffentlich geförderte Schulen sind keineswegs in der Lage, den Bedarf an Musikunterricht in Sachsen allein zu decken. Begabung und Förderwürdigkeit von Kindern darf jedoch nicht von der durch die örtlichen Möglichkeiten verursachten Wahl ihrer Unterrichtsform abhängig gemacht werden. Deshalb wird sich der DTKV in Sachsen weiterhin nachdrücklich für den gleichberechtigten Zugang auch kleiner privater Musikschulen zur Musikschulförderung, unter Beachtung der Qualitätssicherung, sowie für die gleichberechtigte Förderung musikalisch begabter Kinder unabhängig von ihrer gewählten Unterrichtsform einsetzen!
Durch Einführung der Ganztagsangebote erwuchsen weitere Herausforderungen: Das Zeitfenster für individuellen Musikunterricht wurde erheblich kleiner, da sich der Tagesablauf für die Schüler veränderte, was private Unterrichtsangebote erheblich einschränkt. Zugleich entstanden staatlich finanzierte, konkurrierende Angebote für musikalischen Gruppenunterricht, deren Unterrichtsqualität keineswegs immer gesichert ist. In einer Arbeitsgruppe mit verantwortlichen Akteuren des Kultusministeriums, der Bildungsagentur, des Sächsischen Musikrates, der Musikhochschulen und des DTKV haben wir dafür zwar gemeinsam nach Lösungen gesucht, nach wie vor ist es jedoch ins Belieben der einzelnen Schule gestellt, nach welchen Qualifikationsvoraussetzungen sie Kursleiter gewinnt und Kurse ausgestaltet. Da wir in den Ganztags-Angeboten ein wichtiges Tätigkeitsfeld für qualifizierte Musiker und Musikpädagogen sehen, verstehen wir es als Zukunftsaufgabe, deren Zugang durch die Verankerung entsprechender Qualifizierungsgrundsätze für musikalische Kursleiter als Voraussetzung der staatlichen Finanzierung zu sichern. Offen ist weiterhin in Sachsen die Anerkennung des Musikunterrichts bei freien Musikpädagogen und in privaten Musikschulen als „Besondere Lernleistung“ von Schülern.
nmz: Worin sehen Sie die größte Gefährdung für die Zukunft des Berufsstandes?
Dathe: Ganz und gar unbefriedigend ist die Situation der Honorarbeschäftigten (ein Widerspruch bereits im Wort) an öffentlich geförderten Musikschulen und den Musikhochschulen in Sachsen, womit zugleich die Mehrzahl der sächsischen Berufsmusiker betroffen sind. Wir empfinden es als regelrechte Ausbeutung, wenn zu höher als 60 Prozent öffentlich geförderte Musikschulen hochqualifizierte Musikpädagogen in jährlich verlängerten Honorarverhältnissen beschäftigen, in denen trickreich die Grenzen der Scheinselbständigkeit umgangen und nur etwa 25 Prozent der Kosten für deren Honorare pro Unterrichtsstunde bereitgestellt werden, als sie für Festangestellte an Personalkosten pro Unterrichtsstunde anfallen. Zudem werden zu Lasten der mit solchen Billig-Honoraren abgespeisten Honorarlehrer flächendeckend die Musikschulgebühren öffentlich geförderter Musikschulen subventioniert, während nicht geförderte private Musikunterrichtsanbieter, die für die musikalische Bildung unverzichtbar sind, so systematisch in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährdet werden. Diese reduzieren ihre Angebote, freie Musikpädagogen weichen in Nebenbeschäftigungen aus, immer mehr Musiker nehmen öffentliche Hilfen in Anspruch (ALG II, Wohngeld, Grundsicherung etc.), geben ihren Beruf ganz auf oder beuten sich durch extremen Zeiteinsatz beruflich selbst aus, um ihre Existenz zu sichern. Dabei wissen die Betroffenen, dass auf sie Altersarmut wartet. Der Beruf des Musikers gerät so in Verruf. Ich zitiere den Rektor der Musikhochschule Dresden Prof. Klemm: „Solange wir nicht umsteuern, werden wir attraktiven Musikernachwuchs nicht bekommen… Keinem deutschen und sächsischen Elternhaus ist übelzunehmen, wenn es seinen Kindern abrät, sich für diesen Beruf zu entscheiden.”
Hier Abhilfe zu schaffen erfordert, dass viele Akteure zusammenwirken, davon sind wir jedoch weit entfernt. Viele Interessen bestimmen das Feld, so nimmt der VdM ungeprüft für sich in Anspruch, mit seinen Mitgliedsschulen in Sachsen allein für die flächendeckende musikalische Jugendbildung zuständig zu sein, auch die Kommunalpolitik ignoriert die bestehenden, privaten Parallelstrukturen, wenn sie eigene Musikschulen unterhält; zudem fallen Honorarlehrer regelrecht in Angststarre, wenn es darum geht, eigene Interessen zu vertreten – verständlich, da regional nur wenige „Arbeitgeber“ über ein Angebot an Honorarstellen verfügen. Da die meisten Bertoffenen nicht organisiert sind, kann weder die Gewerkschaft noch der DTKV ihnen den Schutz einer Interessenvertretung gewähren – eine Pattsituation für Betroffene, solange sie sich nicht zu einer Mitgliedschaft entschließen. Zudem sieht es die Mehrzahl der Politiker als Wert an sich an, Musikschulgebühren für Kinder aller Einkommensschichten stark zu subventionieren, auch wenn dies für viele betroffene Elternhäuser sozial so gar nicht erforderlich wäre. Dass dadurch die chancenreiche Entwicklung privater Angebotsstrukturen, die ohne Förderung auskommen könnten, praktisch verhindert wird, ist nicht im Blick. Mit Gebührenfestlegungen weit unter den anfallenden Kosten überlässt man es den Leitungen der Musikschulen, wie die Subventionierung trotz steigender Immobilien- und Energiekosten realisiert wird, was flächendeckend zu Lasten der unterbezahlten, abhängigen Honorarlehrer geschieht.