Lieder sind das Blut in den Adern einer Gemeinschaft, Lieder zu singen auch und gerade in schlimmen Zeiten eine wichtige Öko-Nische des Lebens. Nach der Pandemie, die das Liedersingen besonders verletzlich gemacht hat, ist das Festival Lied in Würzburg wieder aufgestanden und in seine dritte Runde gegangen, und zwar größer, schöner und anspruchsvoller. Über gut zwei Wochen erstreckte sich das Programm, das unter dem Motto „Zusammen – Allein“ Ausführende und Publikum zusammengebracht hat, ebenso großes romantisches Repertoire und selten zu hörende Lieder. Der vergrößerte inhaltliche Radius des Programms und die Ausbreitung der Konzerte auf verschiedene Veranstaltungsräume der Stadt bestätigen den Anspruch des Festivals, das Kunstlied als Heimspiel in Würzburg zu etablieren.
Zusammen mit dem Tonkünstlerverband Bayern hat Alexander Fleischer, der Gründer und Gastgeber des Festivals, das Programm aus dem Innersten entwickelt: aus der Weitergabe des Singens, die er als Professor für Liedgestaltung an der Hochschule für Musik in Würzburg vertritt. In der Mitte des Programms stand dann auch ein Liederabend im Museum Kulturspeicher, bei dem zwei junge Liedgestalter vom Klavier aus eigenständig je eine Konzerthälfte kuratiert haben: Dmitrii Zhovkovskii skizzierte zusammen mit dem Bariton Jakob Ewert und der Mezzosopranistin Nina Schumertl Künstlerleben und Liebe durch die Musikgeschichte, die Pianistin Jieun Baek griff mit französisch inspirierten „Landschaften im Licht“ die aktuelle Ausstellung des Kulturspeichers auf und interpretierte zusammen mit Xinxin Zhao (Sopran) und Yao Liu (Bariton) Lieder der deutschen Romantik und des französischen Impressionismus.
Auf eindrucksvolle Weise begegneten sich Meister ihres Faches (Mirella Hagen, Christianne Stotijn, Markus Schäfer, Jochen Kupfer) und aufstrebende junge Musiker (Yuotong Chen, Nadine Süssenbach, Benedikt Heggemann, Jakob Ewert) in einem Quartettabend, bei dem sie sich mit der Aufführung der „Liebeslieder“ und der „Neuen Liebeslieder“ einander gegenüber stellten; das junge Quartett hatte diese Lieder bereits am Morgen dieses Tages in Aub präsentiert. Die Idee der Gemeinsamkeit kam in diesen Zyklen besonders dadurch zum Ausdruck, wie diese Kammermusik auf geradezu szenische Weise vierhändig am Klavier zelebriert wurde von Alexander Fleischer und Gerold Huber sowie von Marianna Uzankichyan und Diego Mallén. Der Begegnung von Erfahrung und Lernen war auch ein Meisterkurs bei der Sopranistin Dorothea Röschmann und dem Liedpianisten Burkhard Kehring gewidmet, dessen Ergebnisse bei einem Abschlußkonzert im Spitäle präsentiert wurden.
Mit großer Selbstverständlichkeit und Souveränität gestalteten die Beiden einen eigenen Liederabend unter dem Motto „Zwiesprache“ im Toscanasaal der Würzburger Residenz; auf dem Programm standen Lieder von Robert Schumann, Gustav Mahler und Hugo Wolf, den Namen, die als rote Fäden das Festival-Programm durchzogen. In einem weiteren Meisterabend im Toscanasaal gestalteten Ingeborg Danz und Alexander Fleischer gemeinsam mit Peter Stein (Violine, Viola) ein Programm zu einer Grundsituation des Singens, das mit dem Titel „Far, far from each other“ auf besondere Weise auf das Festival-Motto antwortete.
In den Zwischenräumen des dicht gestrickten Programms waren zwei außerordentliche, aufregende Entdeckungen zu erleben: Ema Nikolovska (Mezzosopran) und Jonathan Ware (Klavier) gestalteten im Saal und an dem schönen Flügel im Burkardushaus am Dom einen Liederabend der Extraklasse: Dabei wurden auf überraschend erhellende Weise die Eichendorff-Lieder und die Mignon-Lieder von Robert Schumann französischen Liederzyklen von Francis Poulenc und Claude Debussy gegenübergestellt. Für die erstaunliche Sängerin wie für den fabelhaften Pianisten schien es keine technischen und gestalterischen Grenzen zu geben. In jeder Geste und fast jedem Wort präsent und doch jenseits der Posen eines Liederabends legten sie ihre Musik direkt in die Ohren und Herzen der Hörenden. Mit dem eindrucksvoll gestaltenden und stimmlich faszinierenden Bariton Johann Kristinsson verabschiedeten sich Alexander Fleischer und sein wundervolles Festival für dieses Jahr vom Publikum. Die Lieder der verschiedenen fahrenden Gesellen, die sie präsentierten, hinterließen ein Gefühl der Offenheit und den Wunsch, sich auch nächstes Jahr wieder zu einem Liederfest in Würzburg zu versammeln.
Das nächste Festival findet statt vom 10. bis 19. März 2023.
Informationen zu finden auf der Homepage: www.festival-lied-wuerzburg.de