2.600 ungedruckte Originalkompositionen von 130 zeitgenössischen Künstlern, die dem Deutschen Tonkünstlerverband angehören, umfasst das Manuskriptarchiv des DTKV, das von Jost Nickel und seiner Frau Ursula Keusen-Nickel betreut wird. Seit nunmehr 35 Jahren wird Musik unserer Zeit hier gesammelt, zugänglich gemacht, verbreitet, und schlichtweg erfahrbar gemacht.
Einen beispielhaften Einblick in das Archiv konnten die Besucher des Konzerts am 13. Juni im Alten Gymnasium Oldenburg erhalten. Dass mit Christoph J. Keller, Ursula Keusen-Nickel und Jost Nickel auch Komponisten selbst vor Ort waren, Erklärungen zu den Werken abgaben und die Werke (mit-)interpretierten, verlieh dem Konzert eine ganz eigene Dimension von Erfahrbarkeit zeitgenössischer Musik.
Die Weite gegenwärtigen kompositorischen Schaffens zeigte sich hier, darauf machte auch Komponist Christoph J. Keller eingangs aufmerksam und verwies auf die so „unterschiedlichen kompositorischen Stile“, die die Programmauswahl widerspiegelte. Mit einer Suite im alten Stil für drei Violoncelli (2014) von Keusen-Nickel (ausdrucksstark von der Komponistin, Senja Konttori und Norbert Körner interpretiert) und Drei Querflötenduetten (1992) von Ursula Görsch (gespielt von Irmgard Asiomont und Jost Nickel) wurde das Konzert eröffnet. Auf je unterschiedliche Weise schlagen beide Werke eine Brücke – von der Neuen zur barocken Musik, wobei sich die Richtung hörbar unterscheidet: Während Keusen-Nickel die barocke Suite nachbaut, alte und neue Stilmittel gegeneinander stellt und miteinander verwebt, ist Görschs Komposition hörbar leichter an die barocke Form angelehnt.
Einen ganz anderen Ausdruck haben die Werke Violeta Dinescus. Vor allem in „Narigueras“ (1994) für Violoncello (Keusen-Nickel) und Flöte (Nickel) kann man hören, mit welchem Nachdruck die Komponistin das Klangpotenzial der Instrumente immer weiter auskostet. Charakteristisch für Kellers Kompositionen scheint daneben die Verbindung von Schlichtheit mit größter Komplexität zu sein; ob in den „Sechs Interludes“ (2004) für Klavier und Cello (Keller/Körner), den „Poème, Pentharmonie, Perpetuo Blusino“ (1991) für Querflöte und Klavier (Nickel/Gotthard Kladetzky) oder der „Meditation“ (2000) für Querflöte und Akkordeon (Nickel/Ute Pukropski).
Das aktuellste Werk präsentierte Jost Nickel: Seine „Clusterspiele“ (2015) für beliebige Instrumente auf der Grundlage der Zwölftonfolge einer alten, 1928 ausgegrabenen Panflöte wurden von Asiomont, Elisabeth Lewin (Querflöte), Körner und Konttori samt einiger Schüler von ihnen uraufgeführt. Erarbeitet wurde das Werk am Vormittag vor dem Konzert mit den Schülern und dabei, so Nickel schmunzelnd, auch erst wenige Stunden vor dem Konzert fertiggestellt.
1991 bis 2015 – keine 25 Jahre Musikgeschichte liegen zwischen dem ältesten und dem jüngsten Werk, und doch wurde nach spätestens zwei Stunden sichtbar, wie groß die Spanne der Musik unserer Zeit ist, welch eine kompositorische Weite sich hier findet.