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Das Violoncello und elektronische Medien

Untertitel
Friedrich Gauwerky im Gespräch mit Susanna Schoenberg, Dirk Specht, Franziska Windisch, Teil 2
Publikationsdatum
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[...]Erinnerung, wie sie färbt, wie sie neu ordnet. Das sind alles ästhetisch kompositorische Fragen. Daraus ergibt sich für mich eine Fragestellung, die mich auch persönlich anspricht[...]

nmz: Und wie kommt es dann im Verlaufe des Werkes zu einer Befreiung von Determiniertheit?
Gauwerky: Das ist einfach musikalisch zu verstehen: Im Allgemeinen ist im ganzen Werk alles, was ich spielen muss, haargenau notiert: Dynamik, Tonhöhe, Rhythmik, also, alles ist von einer ziemlichen Kompliziertheit…
Ich kann versuchen, das näher zu beschreiben: Stellen Sie sich eine Partitur vor, in der ein Takt ein 5/32 ist, dann kommt ein 5/16, dazu Rhythmen von einer unglaublichen Komplexität, dann eine eruptive Dynamik mit vielleicht fünf und mehr verschieden Lautstärkeangaben, dann eine Klangfarbenbehandlung, bei der die Klangfarbe andauernd wechselt, sul ponticello, sul tasto, pizzicato am Steg, pizzicato am Griffbrett und so weiter.
Es ist zwar kein serielles Konstrukt, aber von der Klanggestik her ist es einer solchen sehr ähnlich: Es ist eine Musik von größtmöglicher Kompliziertheit und Komplexität, sodass man als Interpret sich schon fragen kann: Warum nimmt der Komponist nicht eine Maschine, um das alles zu realisieren? Irgendein elektroakustisches Instrument…; eine Maschine kann es bestimmt besser machen als ich, wie sehr ich mich auch bemühe.
Von daher ist dieser Abschnitt in der Mitte des Stückes, der insgesamt einige Minuten anhält, in dem ich plötzlich losgelassen bin, und in dem in der Partitur zum Beispiel nur steht: „Zwölf Sekunden lang mit drei Tönen improvisieren“, ein sehr wichtiger: Das ist ein Moment der Befreiung.
Dazu kommt in diesem Abschnitt  dieses Wechselspiel zwischen der Elektronik und meinem Spiel, was so schön geklappt hat neulich Abend, dann reagiere ich immer auf Arco- oder auf Pizzicato-Einsätze im Feedback, und dann spiele ich weiter… Das meinte ich mit Befreiung von Determiniertheit. Einen Augenblick lang bin ich losgelassen von den Fesseln.
nmz: Brian Ferneyhoughs Musik wird auch als New Complexity bezeichnet…
Gauwerky: Sicherlich ist das nur ein Schlagwort, aber es beschreibt doch ein wenig, wie die generelle stilistisch kompositorische Orientierung von Ferneyhough ist.
Die Bezeichnung New Complexity ist entstanden als Reaktion auf Neue Einfachheit; das war das Motto eines WDR Festivals hier in Köln, im Januar 1977, bei dem ich damals selbst mitgemacht habe. Es war eine Bewegung, die in den 70er-Jahren als Reaktion auf die „serielle Sackgasse“ – möchte ich ganz provozierend sagen – erfolgte. Später entstand wiederum der Begriff New Complexity in Zusammenhang mit Komponisten wie Brian Ferneyhough, Richard Barrett, Roger Redgate und anderen.
nmz: Kommen wir zur Technik des Wiederholens, in diesem Stück zum Beispiel realisiert durch die zwei Bandschleifen von jeweils 9 und 14 Sekunden; es geht um Erinnerung, und darum, dass Erinnerung auch ein Überschreiben bedeutet: es werden beim Aufzeichnen zwangsläufig Daten gelöscht, oder?
Gauwerky: „Erinnerung“ ist in der Tat ein Thema des Stückes; Ferneyhough schreibt, ich zitiere sinngemäß: Erinnerung, wie sie färbt, wie sie neu ordnet. Das sind alles ästhetisch kompositorische Fragen. Daraus ergibt sich für mich eine Fragestellung, die mich auch persönlich anspricht. Wie ist es mit unserer Erinnerung an Ereignisse? Zum Beispiel an politische Ereignisse. Zum Irak-Krieg: Wer erinnert sich noch, dass Saddam Hussein mit Unterstützung des früheren amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan an die Macht kam? Oder zum Afghanistan-Krieg: Wer erinnert sich noch daran, dass Osama Bin Laden zusammen mit Amerika gegen die Sowjets gekämpft hat? Ich habe das Gefühl, dass sich wenige daran erinnern. Das ist ein Phänomen, das mich persönlich sehr bewegt, und das ich für mich auch in die Ästhetik dieses Stückes hineininterpretiere, aber das mag auch sehr persönlich sein.
nmz: Das ist schon interessant, weil an dieser Stelle der Unterschied zwischen der Maschine und dem Interpreten besteht. Man würde sagen, dass die menschliche Erinnerung von Plastizität gekennzeichnet ist: Jedes Mal, wenn Erinnerungsinhalte wieder auftauchen, werden sie sehr wahrscheinlich leicht umgebaut, also stellen sie immer erneut eine veränderte Rekonstruktion dar; während mittels der Maschinen eher versucht wird, der Idee einer ›stabilen und korrekten Originalkopie‹ nahezukommen.
Gauwerky: Das ist zweifellos richtig, in der menschlichen Erinnerung wird oft etwas gelöscht, woran das liegt, möchte ich jetzt dahingestellt sein lassen, ich denke, das hat nicht nur medizinisch-biologische Hintergründe, die Maschine, wenn sie funktioniert, ist unbestechlicher.
nmz: Im Stück gibt es nicht nur diese zwei Ebenen der delays (9 und 14 Sekunden zeitlich verzögerter Wiedergabe des Celloparts), es gibt zusätzlich eine dritte Ebene, die einer kontinuierlichen sukzessiven Aufnahme von zwei langen Parts, diese Aufnahme wird dann im weiteren Verlauf gestoppt und zurückgespult, um ungefähr im letzten Drittel der Komposition parallel abgespielt zu werden.
Gauwerky: Gegen Ende kommt dieser Abschnitt, in dem der Anfang wiederkehrt, und durch den sich auch ein fast traditionell zu nennender formaler Aspekt des Werkes offenbart (quasi eine Art Reprise). Danach kommt dann endlich, möchte ich sagen, ein ›reiner‹ Solo-Cello-Abschnitt, so dass ich nicht mehr mit der Elektronik zu kämpfen habe. Die letzten Abschnitte sind dann sehr stark: ein fortissimo, und dann noch ein crescendo. Man rackert sich ab, und dann zack, der plötzliche Abriss.
So steht es in der Partitur: Acht Sekunden lang wie eingefroren sitzen. Dann muss es ein Click-Geräusch geben, bewirkt durch das Abschalten der elektronischen Geräte, darauf kommt das theatralische Moment: ich soll kollabieren, wie eine Maschine, die abgestellt wird.
nmz: Man braucht an Emotionen nichts einzubauen, das ist genau der Punkt, wenn es um reproduktive Handlungen geht.
Gauwerky: Entweder ist das Gefühl für die Musik da oder nicht. Das Stück hat an sich etwas Abschreckendes, es wird auch ganz wenig gespielt. Meine CD-Einspielung von 1996 war die erste überhaupt. Es ist eine horrende Arbeit, das Stück auch nur zu lesen. Ich habe eine einzige Studentin in Oslo, die für ihre Doktorarbeit zur Zeit das Stück studiert. Und den dazukommenden technischen Aufwand darf man auch nicht vergessen. Man muss die richtigen Leute finden, da es um eine Art Kammermusik geht.
nmz: Was können Sie abschließend zu Ihrer Haltung zu Medien aussagen?
Gauwerky: Ich gebe ein zunehmendes Interesse für Medien zu. Zur Zeit entwickle ich Programme zu Musik und Sprache. Irgendwelche Stücke zusammenstellen, die irgendwie schön sind, das ist zu wenig. Eine Thematik zu verfolgen, das ist wichtig.

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