Ziel dieses hinlänglich bekannten Wettbewerbes ist es jedes Jahr aufs Neue, musikalische Hochbegabungen rechtzeitig und nachhaltig zu fördern. Analog zum Sport sind Spitzenleistungen nur durch die gezielte Förderung des Einzelnen in den Kinderjahren möglich. Ein wichtiges Mittel dazu sind Wettbewerbe. Und der wichtigste Wettbewerb ist und bleibt “Jugend musiziert”.
Ziel dieses hinlänglich bekannten Wettbewerbes ist es jedes Jahr aufs Neue, musikalische Hochbegabungen rechtzeitig und nachhaltig zu fördern. Analog zum Sport sind Spitzenleistungen nur durch die gezielte Förderung des Einzelnen in den Kinderjahren möglich. Ein wichtiges Mittel dazu sind Wettbewerbe. Und der wichtigste Wettbewerb ist und bleibt “Jugend musiziert”.
Die Fülle und Qualität der Leistungen kann den unbefangenen Zuhörer leicht in Erstaunen versetzen: Mädchen oder Jungen zwischen dem 9. und dem 18. Lebensjahr spielten teilweise schwerstes Konzert-Repertoire: lauter Stücke, die in ihrer Mehrzahl vor 20 Jahren den glanzvollen Abschluss eines Staatsexamenskonzertes gebildet hätten. Das ist heute der Standard bei Jugendlichen vor der Aufnahmeprüfung. Leise Angst beschleicht mich dennoch: Angst davor, dass diese jungen Menschenkinder den Leistungsdruck (die ewige Quälerei zwischen Prüfungen, Vorspielen und Konzerten) nicht aushalten; Angst, dass sie womöglich nicht genug Zeit zum Lesen und Fußballspielen haben; Angst aber vor allem davor, wo die immer zahlreicher und immer besser ausgebildeten jungen Leute später arbeiten sollen. Im sparwütigen Berlin, wo ein hochrangiger Politiker neulich die Integration der staatlichen Musikschulen in die Gesamtschulen forderte und meinte, Blockflötenunterricht bei der Grundschul-Musiklehrerin würde vollkommen genügen, werden sie wohl keine Stelle finden.
Leistungsqualität versus Kulturpessimismus
Doch Kulturpessimismus sei an dieser Stelle verdrängt. Denn die jungen Leute waren zu gut, zu perfekt und sie konnten ihr Publikum verzaubern. Zwar sind Wettbewerbe immer ein bisschen ungerecht – viele haben einen Preis verdient, manche scheitern wegen weniger Punkte, und nur wenige stehen am Ende nach drei Durchgängen ganz oben. Dazu kommen die Unterschiede der Instrumente und des Repertoires. Gegen ein auf Brillanz und Beifallsstürme konzipiertes Klavier-Donnerstück würde sich eine Barocksonate auf der Blockflöte zum Beispiel eher karg ausnehmen. Die Teilnehmer aber überspielten diese kleinen Start-Unterschiede souverän. Teils im edlen Konzertkostüm, teils in Alltagsjeans stellten sie sich vor, jeder auf seine Weise bravourös. Interessant war vor allem, dass die jugendlichen Teilnehmer keinerlei Scheu vor den Oldies der Jury hatten, viele von ihnen körperlich locker und unbefangen ihren Bühnenraum belebten und eine natürliche Musikalität abstrahlten.
Erstaunlich sind die geringen Teilnehmerzahlen im Instrumentalbereich der Wertungsgruppe Pop instrumental. In einer Vier-Millionen-Stadt wie Berlin, aber auch in den Flächenländern Brandenburg und Mecklenburg müsste es Talente ohne Zahl geben. Die nehmen aber offenbar nicht am Wettbewerb teil, weil sie nicht erreicht werden. Ein Großteil der Jugendlichen in diesem Bereich kommt nicht über die “klassische” Musikschule, sondern über Arbeitsgemeinschaften, freie Träger, Vereine, Schularbeit, Stadtteilarbeit oder von freien Lehrern. Es könnte sein, dass der Wettbewerb in diesen Kreisen noch zu wenig bekannt ist. Auch die Kategorie Band leistet nicht das, was sie vom gesellschaftlichen Stellenwert dieser Musik her leisten müsste oder könnte. Es wäre aber verfrüht, über die Gründe ein Urteil abzugeben.
Entwicklungsgebiet Pop
Im Gegensatz dazu dominieren die singenden Mädchen beim Pop-Gesang und diese Leistungen sind absolut hörenswert. Nur, dass dieses sensible Gebiet schwer zu bewerten und noch schwerer zu vergleichen ist, aber jeder denkt, darüber problemlos mitreden zu können. Man hat ja Bohlen-Training. Und auch die Auswertungen sind komplizierter, denn es hängen da mitunter ganz unrealistische Blütenträume dran, deren Vorbilder medial weit verbreitet werden. Sehr zu empfehlen ist das Berliner Modell einer Arbeitsgruppe Pop-Musik bei “Jugend musiziert”, welche die Entwicklungen des Teilwettbewerbs Popularmusik analysiert, Schlüsse daraus zieht und Initiativen entwickelt, um die Entwicklung voranzutreiben. Ebenso sinnvoll ist es, den Wettbewerb zu öffnen, z.B. Richtung Baglama, wie es dieses Jahr wieder geschehen ist. Der Autor träumt ja schon lange von einer Kategorie “Weltmusik”. Doch der altgediente Schreiber dieser Zeilen, langjähriges Jury-Mitglied in drei Bundesländern erfuhr neulich tatsächlich auch einen Moment der Rührung und fühlte sich in seinem Tun verstanden. Denn in Neubrandenburg sang ein junges Mädchen ein Lied an die Jury. Und da “Jugend musiziert” 50 Jahre alt wird, gehört dieses Lied hier abgedruckt, stellvertretend für alle Jurymitglieder der letzten Jahrzehnte, die sich ihre Freizeit um die Ohren schlagen um die Sache der Nachwuchsförderung:
Meine liebe Jury
Irgendwann / Hab ich angefangen / Schöne Lieder zu singen / Worte zum Klingen zu bringen
Irgendwie / Ist ´ne schöne Melodie / Für mich / Wie warmes Sonnenlicht
Irgendwann / Hab ich angefangen / Dieses Lied hier zu schreiben / Ließ mich einfach nur treiben
Und irgendwann / Hab ich angefangen, ja irgendwann
Und jetzt steh ich hier / Und sing dieses Lieder
Und ich hoffe so, / dass ihr es Liebt
Dieses kleine Lied / Ist mein erster Schritt
Was soll ich sagen? / Mit meinen 14 Jahren!
Irgendwann / Ja, ich glaube fest daran
Werd ich Lieder schreiben / Mit ganz großen Zeilen, mit ganz großen
Zeilen
Und jetzt steh ich hier / Und sing dieses Lieder
Und ich hoffe so, / Dass ihr es Liebt
Und irgendwann / Schreib ich einen Song / Für die ganze Nation /
Irgendwann / Ich glaube fest daran, ich glaube fest daran
Und jetzt steh ich hier / Und sing dieses Lieder
Und ich hoffe so, / dass ihr es Liebt
Irgendwie / Hab ich das Gefühl
Dass es euch gefiel / Meine liebe Jury!
(Hanna Kuhn, Neubrandenburg, 14 Jahre alt).
Auf der unteren und mittleren Ebene fällt die Inflation hoher Punktierungen auf. Setzt man aber das durchschnittliche Niveau eines Musikschulvorspiels dagegen, dann kann man gerechterweise gegen die hohen Punktzahlen nichts mehr sagen. Nahezu alle “Jugend musiziert”-Punktierungen sind unter diesem Aspekt gerechtfertigt und eher zu karg. Auch fällt eine problematische Altersdifferenzierung auf. Früher waren die Altersstufen 1 und 2 unbedeutend und gering besetzt, heute explodieren die Teilnehmerzahlen gerade in den unteren Altersstufen. Riesige Teilnehmerfelder zum Beispiel in der Wertungs-Gruppe Violine 1A sind mittlerweile eher die Regel, denn die Ausnahme.
Ganztagsschul- und G8-Knick
Die besten Leistungen – soweit überhaupt vergleichbar – erzielt mittlerweile die Altersgruppe 4; Die Altersgruppe 5 fällt von der Menge der Bewerber und den Leistungen in der Regel eher mager aus, das heisst, der Fortschritt ist nicht mehr ganz so groß, wie er gegenüber Altersgruppe 4 vom Lebensalter her sein müsste. Altersgruppe 6 steckt im Abitur oder hat die Musik schon aufgegeben.
Kritisch angemerkt werden muss, das das Turbo-Abitur und die zunehmende Ganztagsschule auf die ernsthafte Musikausübung in Kindheit und Jugend sich insgesamt sehr negativ auswirkt. Und noch ein drittes Problemfeld sollte erwähnt werden: die vertretenen Instrumente. Klavier und Streicher sind immer stark in Menge und Leistung, auch Klassik-Gesang, alle möglichen Kammermusik-Kombinationen mit Klavier, Gitarre, Harfe, Schlagzeug, Saxophon sind seriös vertreten. Fagott und Oboe dagegen sind auf dem Rückzug; Hörner, Posaunen und Tuba scheinen vom Aussterben bedroht, der Kontrabass erholt sich langsam. Aber generell scheint es in den Großstädten ein Problem mit dem tiefen Blech zu geben. Das liegt meines Erachtens am Fehlen oder Wegsterben von Blasmusik-Ensembles. Und die Yamaha-Bläserklasse – so verdienstvoll sie sein mag – führt eben nicht auf den Olymp zur Teilnahme an „Jugend musiziert”.
Dennoch gibt es gute Gründe, optimistisch nach vorn zu blicken. Denn der eine oder die andere von den jungen Talenten von heute wird in einigen Jahren auch bei internationalen Wettbewerben erfolgreich bestehen können. Dazu gehört ein bisschen Glück, vor allem aber langjährige harte Arbeit. Diese wird offenbar in hoher Qualität geleistet – immer noch und immer wieder. Frau Musica wird’s danken.