„Mögen die Schwingungen der Sterne für den Rest der Ewigkeit in Harmonie bestehen bleiben und uns zu einer Einheit verbinden.“ Mit diesen im Original auf Englisch verfassten Worten verabschiedete sich am 4. August 2023 Gloria Coates von ihren Kontakten via Social Media, nachdem der ohnedies durch schwere Krankheit gezeichneten amerikanisch-deutschen Komponistin ein unheilbarer Bauchspeicheldrüsenkrebs diagnostiziert wurde. Nur fünf Tage später, am 19. August um 5:40, verstarb sie, und wurde am 28. August am Neuen Südfriedhof in München beigesetzt.
Die Schwingungen der Sterne
Allen äußeren wie inneren Widerständen zum Trotz etablierte sich Gloria Coates in den vergangenen 45 Jahren zu einer der bedeutendsten Komponistinnen. Auch wenn sie nicht den öffentlichen Ruhm manch eines männlichen Kollegen erreichte, leuchtet sie doch den Weg für eine ganze Reihe an jungen Tonsetzerinnen, denen sie Inspiration und Leitbild ist. Ihre bekennende, oft düster-expressionistische Musik bezeichnete sie als Abbild ihres Innersten, begab sich somit stets auf die Suche nach ihrer eigenen, persönlichen Wahrheit in den Tönen und Klängen.
Entgegen der Verjüngung eigener Berichte wurde Gloria Coates 1933 in Wausau (Wisconsin) geboren, wo sie früh den Drang zur Musik verspürte: Sie sang und improvisierte am Klavier. Unterricht bei Alexander Tscherepnin (Sohn von Nikolai Tscherepnin) lenkte ihre Begabung in konkrete Bahnen und veranlasste sie dazu, ihre Musik in Form zu gießen und niederzuschreiben. Vierzehnjährig gewann sie einen nationalen Kompositionswettbewerb. Auch während ihres Studiums wurde sie mehrfach ausgezeichnet, man ernannte sie zum Vorstand der Kompositionsabteilung. Als Komponistin sah sie sich jedoch noch lange Zeit nicht.
1969 entschloss Coates sich, die USA zu verlassen und nach Deutschland zu ziehen – eigentlich nach Stuttgart, um dort Liedgesang zu studieren. Mit an Bord des Frachters befand sich nicht nur ihr gesamtes Hab und Gut sowie ihr Hund, sondern auch ihre Tochter Alexandra, die sie alleine aufzog. Verschiedene Zwischenfälle bewegten sie dazu, doch München als neue Heimatstadt zu erwählen. Komplexer erwies sich der Werdegang, das Komponieren als Bestimmung zu erkennen: Als erweckende Momente dürfte einerseits ein Skiunfall angeführt werden, der sie um ein Haar an den Rollstuhl gefesselt hätte und Coates vor Augen führte, was im Leben ihr am meisten bedeutete; andererseits eine Bombenentschärfung nahe ihrer Wohnung, woraufhin sie ihre Partituren in Sicherheit brachte, selbst aber in der ansonsten evakuierten Gegend verweilte.
Sie wusste um das schwierige Leben als Komponist – vor allem als Komponistin –, die finanziellen Komplikationen, die Losgelöstheit von einem Hauptverleger, die Gebundenheit an Kompositionsaufträge, das oft zweifelhafte Ansehen, die Isolation des Schreibens. Dennoch folgte sie dem Ruf. Dabei hatte sie oft mehr Spaß am Singen, am Theater spielen und am Malen; so brachte sie eine Reihe knallbunter, lebensfroher Gemälde zur Leinwand. Diese kontrastieren regelrecht ihre abgründigen bis oftmals gar apokalyptischen Kompositionen, welche sich auf bewusste, allmähliche Bewegungen berufen.
Den großen Durchbruch erlebte Gloria Coates 1978 mit ihrer Music on Open Strings, wie sie ihre 1973/74 komponierte erste Symphonie betitelte, deren Besonderheit es ist, dass die Instrumente andere Stimmungen aufweisen. Zwei Jahre später wurde die Symphonie im Rahmen der Konzertreihe musica viva des Bayerischen Rundfunks programmiert, womit sie zum ersten Werk einer weiblichen Tonsetzerin in dieser Hochburg Neuer Musik avancierte. Der Music on Open Strings folgten 15 weitere Symphonien, daneben schrieb Coates aber auch Kammermusik, vor allem Streichquartette, weiterhin Bühnenmusik, Vokalmusik und elektronische Musik, bediente auch zahlreiche andere Genres. Krankheitsbedingt zog sich Gloria Coates in den letzten Jahren ihres Lebens zunehmend aus der Öffentlichkeit zurück, besonders seit der Coronapandemie. Ungebrochen bis zuletzt blieb allerdings ihr Schaffensdrang, der sie auch mit knapp 90 Jahren nicht verließ.
Vieles ist noch zu entdecken im gewaltigen Oeuvre von Gloria Coates. Der Verlag C. F. Peters plant die Veröffentlichung einiger Partituren, etwa mehrere der bislang unveröffentlicht gebliebenen Symphonien und Streichquartette. Auch wenn der großartige Mensch nicht mehr unter uns weilt, die Komponistin, Malerin, die Organisatorin amerikanisch-deutscher Konzerte, die Verfasserin tiefschürfender musikwissenschaftlicher Texte, die immer Aufgeschlossene, so soll doch ihre Musik weiter erklingen, in Noten gesetzt, zur Aufnahme gebracht und natürlich im Konzert ertönend, „und uns zu einer Einheit verbinden.“
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