neue musikzeitung: Herr Prof. Stenzl, seit vielen Jahren betreuen Sie als zuständiger Referatsleiter im Vorstand des Tonkünstlerverbandes Baden-Württemberg die alljährlich stattfindenden Fortbildungskurse in der Bundesakademie Trossingen. Wie haben sich die Kurse über die Jahre verändert oder weiterentwickelt?
Hans-Peter Stenzl: Früher waren die Kurse ein Angebot an pädagogisch tätige Mitglieder, die von den Anregungen der Dozenten für ihre Berufspraxis profitieren konnten: Neben Tipps zum praktischen Unterricht waren die Kurse auch ein Austauschforum für Literaturvorschläge und Repertoireempfehlungen. Da der Tonkünstlerverband traditionell einen hohen Anteil von Pianist/-innen und Klavierpädagog/-innen hatte, stand das Klavier auch fast immer im Mittelpunkt der Kursangebote. „Umrahmt“ waren die Klavierkurse mit jeweils anderen Instrumenten sowie oftmals mit einem Gesangskurs. Heute wagen wir es, auch außermusikalische Kurse anzubieten: Computerkurse, neue Medien, Social Media, Musikergesundheit, Selbstmanagement und andere. Auch Praxismodelle, die zu gemeinsamem Musizieren im Klavierbereich führen sollten, wurden bereits dreimal angeboten (Piano & Percussion). Leider wurden diese Angebote nicht so weit angenommen, dass sie wiederholt werden können.
Sehr gefragt sind Hochschullehrer, die Teilnehmer/-innen auf Aufnahmeprüfungen vorbereiten. Trossingen ist eine ideale Gelegenheit, dass sich Aufnahmeprüfungswillige und Hochschullehrer kennen lernen, um bereits im Vorfeld klären zu können, ob eine Hochschulbewerbung Erfolg versprechend ist.
Wir werden natürlich weiterhin Anregungen für Kursinhalte durch unsere Mitglieder berücksichtigen und versuchen, entsprechende Angebote zu generieren. Wir wissen aber auch, dass es einen langen Atem braucht, um ein neues Angebot dauerhaft zu etablieren.
nmz: Für jemand, der noch nicht an den Fortbildungskursen teilgenommen hat: Wie laufen die Kurse ab?
Stenzl: Traditionell finden die Kurse an einem verlängerten Wochenende (Christi Himmelfahrt oder Fronleichnam) statt, an dem der Donnerstag ein Feiertag ist. Manchmal sind da Schulferien, manchmal auch nicht. Einen großen Unterschied in der Buchung der Kurse können wir nicht feststellen.
Also: Anreise ist immer zum Mittagessen am Donnerstag. Am Donnerstagabend stellen sich die Dozenten mit ihren Korrepetitoren in einem hochkarätigen Konzert vor, das öffentlich ist und im neuen Konzertsaal der Bundesakademie stattfindet. Während der Kurszeiten, bei denen alle Teilnehmer/-innen jeweils – auch kursübergreifend – hospitieren können, werden die Beiträge bestimmt, die am Samstagabend in einem Teilnehmerkonzert präsentiert werden. Die Teilnahme ist selbstverständlich freiwillig. Am Sonntagmorgen endet der Unterricht um die Mittagszeit und mit dem gemeinsamen Mittagessen gehen die Kurse zu Ende.
nmz: Wie sehen Sie die Zukunft der Fortbildungskurse?
Stenzl: 2019 haben die Kurse zum 74. Mal stattgefunden. Die Klientel hat sich gewandelt: Waren es früher unsere Mitglieder, die – ohne die Recherchemöglichkeiten und ohne die Bezugsquellen von heute – die Kurse auch als Begegnungs- und Austauschmöglichkeit mit Kolleginnen und Kollegen genutzt haben, sind es heute oft junge Menschen am Anfang ihrer musikalischen Karriere, die ihre Entwicklungsmöglichkeiten ausloten wollen. Früher hießen die Kurse auch „Fortbildungstagung“, die fast ausschließlich von Mitgliedern besucht wurden. Heute gibt es die Voraussetzung der Mitgliedschaft nicht mehr, und jede/r Interessierte kann sich anmelden.
nmz: Was würden Sie sich von Staat und Politik wünschen, um dem Rückgang der musikalischen Bildung, die immer mehr in den Hintergrund tritt, zu begegnen?
Stenzl: Es fängt ja schon in Kindergarten und Grundschule an: Es gibt zu wenig befähigtes Betreuungs- und Lehrpersonal, das entsprechend gebildet ist, musikalische Inhalte zu vermitteln. Musikalische Bildung findet auch später immer weniger statt, da etwa Ganztagsschule und die Schulzeitverkürzung (G8) eine beständige Auseinandersetzung mit einem Musikinstrument oder der Stimme oft gar nicht mehr erlauben. Musikunterricht an der Schule fällt häufig aus oder kann mangels geeigneter Fachlehrkräfte nicht erteilt werden.
Ein ganzer Berufsstand (der Musiker und Musiklehrer) droht ins Prekariat abzurutschen, weil breite Bevölkerungsschichten mangels Bildung auf musikalischem Gebiet der Musik keine entsprechende Wertschätzung entgegenbringen.
Förderprogramme zur musikalischen Bildung, bei denen die Unterstützung direkt bei den Familien ankommt, sind überfällig. Fortbildung von selbstständigen Musiklehrkräften muss genauso vom Staat unterstützt werden, wie auch der gesamte Musikschulbereich einschließlich der Förderung seiner Lehrkräfte staatliche (beziehungsweise kommunale) Zuschüsse erhält.
nmz: Noch ein abschließendes Statement zu den Fortbildungsangeboten des Tonkünstlerverbandes Baden-Württemberg?
Stenzl: Noch einmal zurück zu den Trossinger Fortbildungskursen: Die ruhige Lage der Bundesakademie im Grünen, die schmackhafte Verpflegung und die Auszeit vom ermüdenden Alltag erlauben eine künstlerische (Rück-) Besinnung auf sich selbst.
Ich freue mich schon heute auf die „Tankstelle“ im nächsten Jahr: 11. bis 14. Juni 2020!