Der 72-jährige Ungar András Hamary hat früh den Weg nach Deutschland gefunden. Nach Studien bei Hans Leygraf (Klavier) und Thomas Ungar (Dirigieren), widmete er sich ab den späten 1970ern zunehmend der Komposition. In Berlin, wo Hamary seit der Emeritierung von der Musikhochschule Würzburg lebt, entstanden 2021/22 seine Markus Bellheim gewidmeten Préludes für Klavier, die dieser nun am 5. Mai 2023 auch im Münchner „schwere reiter“ live zu Gehör brachte.
Mit 24 Klavierpréludes begibt man sich unweigerlich in eine Reihe historischer Vorbilder: Im Falle Hamarys sind dies unter anderem Chopin, Skrjabin, Rachmaninoff, Debussy und Schostakowitsch. Nicht, dass der Komponist im gut 70-minütigen Werk aus 2 x 12 Stücken wörtlich daraus zitierte; jedoch gibt es zahlreiche Allusionen, die an konkrete musikalische Situationen bei jenen Komponisten anknüpfen. Das besondere Problem, bei relativ wenig Zeit – hier zwischen 1‘20“ und knapp 5 Minuten – ohne Umschweife sofort zum Punkt kommen zu müssen, erfordert große Klarheit des musikalischen Materials und eine fast schon plastische Vorstellung der damit erzeugten Klangwelten. Hamary scheut in einigen der Miniaturen keineswegs tonale Anklänge: Bereits im ersten Prélude haut er die Hörer quasi übers Ohr, indem er deren Erwartungen bezüglich angedeuteter Dominantseptakkorde und der Leittonwirkung des Tritonus zum Mäandern durch den gesamten Quintenzirkel irreführt.
Ihre erstaunliche Überzeugungskraft gewinnt Hamarys Musik allerdings auffällig durch extrem durchdachte und konsequente Einbeziehung von Resonanzen und Obertoneffekten mit virtuoser Nutzung aller Möglichkeiten des Sostenuto-Pedals. Immer wieder überraschen stimmige Klangmodifikationen sogar während des Verklingens. Dies öffnet in einer Reihe von Préludes, die dann sozusagen als Vorboten des Totenreichs fungieren, eine schon erschütternde musikalische Tiefe. Im zweiten Heft unterstreichen zudem wiederkehrende Fragmente des anfänglichen Chorals (Nr. 13) die zyklische Anlage. Daneben finden sich selbstverständlich auch etliche faszinierende Stimmungsbilder sowie heitere, „helle“ Stücke mit einer gehörigen Prise Humors: Zum Beispiel Nr. 22 „Paganini met Gershwin on 5th Avenue“, das Paganinis Caprice Nr. 9 („La caccia“) pianistisch höchst wirkungsvoll paraphrasiert.
Markus Bellheim spielt diese Tour de Force absolut kongenial. Der hochanspruchsvolle Klaviersatz wirkt unter seinen Händen – und Füßen! – dabei nie angestrengt. Bellheims Konzentration und hochdifferenzierte Anschlagskunst überträgt sich hörbar auf den Steinway wie emotional aufs Publikum. Die rasanten Nummern (etwa Nr. 10 „Wunderkerzen“ oder die zunächst an Ligeti erinnernde, später hemmungslos tonale Nr. 12 „Mandolin“), aber genauso die perfekt dargebotenen, oft wie eine Fata Morgana erscheinenden besagten Oberton-Kunststücke gelingen ihm staunenswert. Hamarys Préludes erweisen sich so, nicht zuletzt als ergreifendes Dokument der Corona-Einsamkeit, offenkundig als echte Meisterwerke mit Repertoirefähigkeit – ungeteilter Applaus.