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Im Spiegel – Hommage an Gustav Scheck

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Eine neue CD des Duo Poetico Musicale aus Bremen
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Das Duo Poetico Musicale widmet diese Einspielung Wolfgang Smitmans, der am 27. Mai 2015 verstorben ist. Er war Initiator und Förderer dieses Projektes. Wir hätten uns gewünscht, dass er den Produktionsabschluss noch erlebt. Wir danken ihm für seine Anregungen, seinen Enthusiasmus, sein Vertrauen in uns.

Als Wolfgang Smitmans, Herausgeber der Hastedt Musikedition Bremen, mit der Idee an mich herantrat, mit unserem Duo Poetico Musicale bisher nicht veröffentlichte Werke für Flöte und Klavier aus der frühen Moderne einzuspielen, war ich zunächst skeptisch, ob sich im Zeitalter der musikalischen Massenproduktion und der Internetportale noch Ungehörtes finden ließe.

Die daraufhin einsetzende Recherche ergab, dass sich in den Bibliotheken nach wie vor Werke befinden, die – von der Musikwelt nicht beachtet – vergessen oder bewusst ausgesondert auch heute hörenswert sind oder Teil des Konzertrepertoires sein könnten. In der „Alten Musik“ sorgen Neu- oder Wiederentdeckungen von Kompositionen des 16. bis 19. Jahrhunderts immer wieder für Aufsehen – warum sollte das nicht ebenso für die Moderne zutreffen. Der Schwerpunkt unserer Suche lag dabei auf der Mitte des 20. Jahrhunderts.

Aus einer Auflistung von Stücken für unsere Besetzung mussten wir eine Auswahl treffen. Dabei standen nicht inhaltliche Aspekte im Vordergrund. Wir gingen vielmehr intuitiv vor, wählten mit dem Ohr des Musikers Werke aus, die uns ansprachen, zu uns sprachen und uns neugierig darauf machten, sich tiefer mit ihnen zu beschäftigen. Der rote Faden dabei war der Flötist Gustav Scheck, zu jener Zeit in Deutschland einer der Wichtigsten seines Fachs, dem mehrere Kompositionen gewidmet sind. Scheck war unter anderem Soloflötist an der Hamburger Staatsoper und später Mitbegründer der Freiburger Musikhochschule, die seit ihrer Gründung ein Zentrum für das Flötenspiel in Deutschland werden sollte. Aurèle Nicolet, Hans-Martin Linde oder Hans-Peter Schmitz sind Namen, die eng mit Freiburg verbunden und auch heute noch jedem Flötisten vertraut sind.

Komponisten wie Kurt Hessenberg oder Julius Weismann dürften heute nur noch wenigen geläufig sein. Beide komponierten vergleichsweise hörerfreundliche Musik im Sinne einer eher traditionellen beziehungsweise gemäßigten Moderne. Diese Richtung wurde im Nachkriegsdeutschland zunehmend von der – an Schönberg und Webern anknüpfenden – atonalen Avantgarde verdrängt. Dass Hessenberg und Weismann zuvor in der NS-Zeit gefördert worden waren, machte ihre Wiederentdeckung in den letzten Jahren freilich nicht einfacher. Weismann war beispielsweise 1935 von der NSKulturgemeinde beauftragt worden, eine „Ersatzmusik“ für Mendelssohns Sommernachtstraummusik zu komponieren.

1936 erhielt er eine Ernennung zum Professor. Hessenberg wurde 1942 Mitglied der NSDAP und 1944 von Hitler auf die „Gottbegnadeten-Liste“ der Komponisten gesetzt, was ihn vor dem Kriegseinsatz bewahrte. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Widmung der hier eingespielten Sonaten an Gustav Scheck, von dessen künstlerischer Persönlichkeit sowohl Weismann als auch Hessenberg zutiefst überzeugt waren. Scheck verweigerte mehrfach den Eid auf Hitler und verlor dadurch seine Professur. Endre Szervánszky hatte wiederum in den 40er Jahren in seiner ungarischen Heimat Juden vor der Deportation bewahrt und wurde deshalb postum 1998 von Yad Vashem als „Gerechter unter den Völkern“ ausgezeichnet.

Weismanns Sonate, Op. 135 aus dem Jahre 1942 ist kontrapunktisch angelegt. Ein gewichtiges Werk voll Dramatik und Spannungsdichte in den ersten beiden Sätzen, während im Schlusssatz tänzerische Eleganz und feines Artikulationsspiel dominieren.

Die Sonatine für Flöte und Klavier des ungarischen Komponisten Endre Szervánszky, geschrieben 1952, bildet dazu einen vollkommenen Gegensatz. Die einzelnen Sätze sind kurz und prägnant. Mit spielerischer Leichtigkeit umrahmen die beiden Ecksätze, aus denen volkstümliche Einfachheit sprechen, den von ungarischer Melancholie geprägten Mittelsatz.

Klaus-Peter Schneegass führt in Esquisses oubliées (vergessene Skizzen), entstanden 1990, den kontrapunktischen Kompositionsstil – typisch für Weismann und Hessenberg – fort. Entscheidender Unterschied ist die nicht mehr gebundene Tonalität. Als kleinen Ausblick in die freitonale Sprache der heute aktuellen Musik haben wir dieses Stück mit ins Programm genommen. Flüchtig huschen die Klänge vorüber, so wie die Augenblicke, die ihr, nach den Worten des Komponisten, zugrunde liegen.

Die Sonate in B, Op. 38 Kurt Hessenbergs, wie Szervánszkys Sonatine 1952 komponiert, ist wieder Gustav Scheck gewidmet. Die einzelnen Sätze daraus könnten für sich stehen. Mystisch verhalten eröffnet sich die Nachtwelt des Notturnos. Es wird kontrastiert von einem rhythmisch pulsierenden Rondo, erneut in kontrapunktischer Form, um schließlich in einer Fantasia zu enden, bei der die Flöte die mächtigen, an eine Orgel erinnernden Akkorde quasi im Rezitativ melismatisch kommentiert.

Elégie et Burlesque von 1959 sind geprägt von impressionistischer, fast französischer Klangfarbe, was nicht verwundert, da sie Hessenberg im Auftrag des französischen Verlags Leduc geschrieben hatte. Dem geheimnisvollen Klagegesang der Flöte in der Elégie steht eine virtuose Burlesque voll Aberwitz und groteskem Humor gegenüber.

An das Ende des Programms haben wir die Komposition Spiegel im Spiegel des estnischen Komponisten Arvo Pärt gesetzt. Das Stück, fast 20 Jahre später (1978) geschrieben, im Original für Violine und Klavier, erklingt hier in einer Fassung für Flöte und Klavier.

Musik ist der Spiegel einer Zeit, eines Menschseins mit all seinen Widersprüchlichkeiten, in dem wir uns als Zuhörer letztendlich widerspiegeln. Im Spiegel, in der Schlichtheit und Langsamkeit des Stückes, im Klang des einzelnen Tones, der durch die gebrochenen Akkorde des Klaviers hindurch schimmert, scheint die Zeit still zu stehen – das beanspruchte Ohr des Hörers, seine Seele kann zur Ruhe kommen.

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