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Ein weichgezeichnetes Proträt eines Mannes in Anzug und Krawatte mit kurzen Haaren und ohne Bart.

Zeichnung Wladimir Vogel: EL

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Im Zauber von zwölf Tönen

Untertitel
Zum 40. Todestag von Wladimir Vogel
Vorspann / Teaser

Dem Parameter der Klangfarbe war der Pianist Martin Lennartz auf der Spur. Im wöchentlich stattfindenden „Lunchkonzert“ in der Kunst-Station Sankt Peter in Köln gab der ausgewiesene Spezialist für Klaviermusik der zweiten Hälfte des letzten Saekulums ein beeindruckendes Rezital mit Werken von Wladimir Vogel, Hans Erich Apostel und Wolfgang Rihm.

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Zwar entsprach der Konzertbeginn zur Mittagszeit den Gepflogenheiten eines „lunch“, aber inhaltlich wurde einem schon ein äußerst kräftiger Imbiss gereicht, der zur Sättigung des auditiven Hungers mehr als genug zu bieten hatte. Der vor 40 Jahren verstorbene Schweizer Komponist Wladimir Vogel stand im Zentrum des Konzertes, dem das Motto „Klavierklang – Kontraste“ gegeben war. Um einige von Vogels  letzten Klavierkompositionen hatte Martin Lennartz ein kluges und ansprechendes Programm gestaltet.

Den Rahmen bildeten „Zwei kleine Schwingungen“ – kurze Klavierstücke des im vergangenen Juli verstorbenen Wolfgang Rihm: aus dissonanten Akkorden steigen einzelne dreitönige Melodielinien auf. Mit seinem fesselnden Spiel demonstrierte uns Lennartz aber die Banalität und Unbrauchbarkeit des Begriffes der Dissonanz, denn statt Dissonanzen hören wir faszinierende Klänge, die in das Kirchenschiff der eindrucksvollen romanischen Kirche St. Peter aufsteigen. Lennartz versteht es hervorragend die Akustik dieses einzigartigen „Konzertsaales“ zu nutzen, indem er stets den Klängen konzentriert nachhört, seine differenzierten  Anschlagsmöglichkeiten immer kontrolliert einsetzt und das Pedal regelrecht als zusätzliches Klangregister zu nutzen versteht.  

Bild
Ein Mann in höherem mittleren Alter in zweifarbig grünem Pullover sitzt auf einem Klavierhocker,

Martin Lennartz. Foto: Matthias Heidweiler

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Durch sein „erklärendes“ Spiel formen sich vor dem inneren Auge des Hörers wie von selbst die Zeichnungen von Alfred Kubin zur „Kubiniana“, einem zehnteiligen Klavierzyklus von Hans Erich Apostel, den Lennartz dem Eingangsstück von Rihm übergangslos folgen ließ. Kontraste der verschiedensten musikalischen Parameter fesseln und führen den Hörer zu den verschiedenen Bildvorlagen:  massive, vollgriffige Forte-Akkorde wechseln mit verspielten Figuren im Diskant, klare polyphone Linien stehen gegen einzeln fließende Töne in einem Pedalnebel, rhythmisch schärfer strukturierte Passagen wechseln mit scheinbar metrisch losgelösten Abschnitten, mächtige Basstöne konkurrieren mit hohen sprunghaften Blöcken in höchsten Lagen und ein überdimensional lange ausklingender Schlusston lässt, wie in einer Art Rückblende, das gerade Gehörte noch einmal vorbeiziehen.

„Zu meinen letzten Klavierkompositionen“ betitelte Wladimir Vogel einen kurzen Text, den Daniela Werth als kurze Einführung in das zentrale Stück des Konzertes vortrug.

Gegenüber dem Orchesterinstrumentarium sei das Klavier natürlich in Bezug auf Klangfarben unterlegen. Daher wünsche sich Vogel einen Zugang zu den Stücken aus dem Phänomen Klavier heraus. Das Klavier sei ein „Resonanzinstrument“, bei dem immer alle Saiten mehr oder weniger stark mitschwängen und so einerseits gewollte, andererseits ungewollte Dissonanzen entstünden.

In „Vier Versionen einer Zwölfton-Folge“ von Wladimir Vogel bewies Lennartz, wie sehr er diese Gedanken Vogels nicht nur verstanden und verinnerlicht hatte, sondern dass er sie in der Rolle des  Interpreten dem Zuhörer nachvollziehbar und regelrecht begreifbar machen kann. Das viertönige Eröffnungsmotiv des ersten Stückes etwa zieht einen sofort in seinen Bann. Den sich im Kirchenraum ausbreitenden Klängen stets kritisch nachhorchend lässt Lennartz Triller- und Tremoloketten aufsteigen oder meißelt wuchtige vollgriffige Akkorde in den Raum, aus denen sich filigrane Einzelstimmen in das Rund der Kirche erheben. Hier entsteht nie die Assoziation des Trockenen oder schwer Verständlichen, wie sie häufig bei der Kompositionstechnik mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen aufblitzt, sondern Len­nartz malt Klänge und Klangfarben in den Raum, die einen eigenartigen und bannenden Zauber ausstrahlen.

Aber man muss dem  Pianisten nicht nur dafür ein hohes Lob zollen, dass er seine hervorragenden pianistischen und analytischen Fähigkeiten bei der Interpretation des Werkes von Vogel einsetzt, sondern in besonderem Maße auch dafür, dass er die Musik Vogels überhaupt spielt. Während der Nazizeit als entartet gebrandmarkt, hatte Vogel nur selten das Glück zu erleben, dass seinen Kompositionen die ihnen gebührende Aufmerksamkeit geschenkt wurde. 40 Jahre nach seinem Tod vermag es Martin Lennartz in mehr als überzeugender Art an diesen Komponisten zu erinnern.

Einen ruhigen, fast nachdenklichen Ausklang gestaltete Lennartz mit dem zweiten Stück der beiden „Kleinen Schwingungen“ von Wolfgang Rihm, eine ruhige, an archaische Choräle gemahnende Musik, die den anfangs geöffneten Kreis wieder schloss.

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