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„Jeder, der wirklich gut ist, hat eine Chance“

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Die Violinistin Christiane Edinger im Gespräch mit der nmz
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neue musikzeitung: Sie sind eine der prominentesten Solo-Violinistinnen … Ihre Auftritte seit Ihrem 19. Lebensjahr, zunächst mit den Berliner Philharmonikern sowie alsbald mit renommierten Orchestern in den USA, der Sowjetunion, Südamerika, China und Japan lassen auf eine brillante Karriere blicken. Schöpften Sie die Kraft und das Talent aus der Musikerfamilie?

Christiane Edinger: Ja natürlich – meine Eltern haben mich von Anfang an sehr unterstützt, mit viel Lob, aber auch konstruktiver Kritik. Ich konnte ja miterleben, wie mein Vater täglich lange übte und auch hier gab es Gespräche über die Musik, die mich inspirierten. Meine Mutter war ebenfalls Pianistin, durfte aber bald ihr Studium aufgrund ihrer halbjüdischen Herkunft nicht fortsetzen. Zudem gab es bei uns Hauskonzerte und Ensemble-Proben, die mein Verlangen, Musikerin zu werden, befördert haben.

nmz: Ihr Vater war der bekannte Klavierpädagoge Prof. Gerhard Puchelt, der viele große Pianisten ausgebildet hat. Wie kam es zu der Instrumentenwahl Violine?

Edinger: Bereits mit fünf Jahren, so heißt es, bin ich mit zwei Stöcken (Vio­line und Bogen) durch den Garten getanzt und habe Violinistin ge­spielt. Ich habe solange meine Umgebung genervt, bis ich eine Geige bekam und bald auch Unterricht. Mit acht Jahren war mir klar, dass ich Geigerin werden möchte. Vorbilder gab es in der Umgebung meiner Kindheit genug – zusätzliche Konzertbesuche regten mich weiter an. Jedoch, neben Übungs- und Unterrichtsstunden hatte ich eine ganz normale, unbeschwerte Kindheit.

nmz: In dem letztjährigen Austauschkonzert des DTKV Berlin mit dem LV München haben Sie das „Studio Neue Musik Berlin“ in Bayern repräsentiert. Wie kam es dazu und welche Uraufführungen standen auf dem Programm?

Edinger: Dr. Iranyi, der Leiter des „Studio Neue Musik Berlin“, hatte mich angesprochen und mir ein interessantes Konzertprogramm für das Austauschkonzert in der Münchner Versicherungskammer vorgeschlagen. Auch die Münchner Veranstalter stimmten diesem Vorschlag zu, und so hatten wir eine beachtete Veranstaltung mit Werken von Berliner und Münchner Komponisten*innen: Stefan Lienenkämper (UA), Susanne Stelzenbach, Gloria Coates, Gabriel Iranyi, Nikolaus Brass und Minas Borboudakis. Als Pianist war Björn Lehmann engagiert.

nmz: Sie waren viele Jahre Professorin an der Musikhochschule Lübeck. Haben Sie dort auch viel zeitgenössische Kompositionen mit den Studenten arbeiten können oder ist doch eher das traditionelle virtuose Prüfungsrepertoir gefragt?

Edinger: Da die Hochschule Berufsmusiker ausbildet und Violinisten üblicherweise eine Orchesterstelle anstreben, wird selbstverständlich das Repertoire für die Probevorspiele einstudiert, aber immer auch neue Kompositionen des 20. und 21. Jahrhunderts – Konzerte, Sonaten und Solowerke. In den regelmäßig stattfindenden Klassenvorspielen wurden beide Varianten vorgestellt. Zusätzlich hatten wir Konzerte mit ausschließlich Neuer Musik, die von den Studenten mit Begeisterung aufgenommen wurden. Egal, was favorisiert wird: „Jeder, der wirklich gut ist, hat eine Chance“, war der Wahlspruch meines Lehrers Vittorio Brero.

nmz: Sie galten jahrelang als ausgesprochene Bach-Interpretin. Hat Sie die Auseinandersetzung mit Bach’­schen Werken auch zu anderen Stücken und Interpretationen inspiriert ?

Edinger: Johann Sebastian Bach ist für mein Musikerleben wahnsinnig wichtig! Schon früh bin ich durch meine Arbeit mit Nathan Milstein mit der den Kompositionen Bachs inneliegenden Logik bekannt gemacht worden, die ich in anderen Werken bis zur heutigen Zeit immer wieder erkennen kann. Ich habe sämtliche Violinsonaten von Bach sogar zweimal einge­spielt – über die Plattenfirma Orion und bei Naxos als CD.

nmz: Krzysztof Penderecki ist vor wenigen Wochen verstorben. Sie haben mehrere bedeutende Werke von ihm, auch unter seiner Leitung, ur- und erstaufgeführt und hatten ein freundschaftliches Verhältnis zu diesem für die Neue Musik vorbildhaften Komponisten. Wie kam diese Beziehung zustande?

Edinger: Ich spielte Anfang der 70er-Jahre in Stuttgart mit großem Erfolg Arnold Schönbergs Violinkonzert. Darauf gab es einen Sturm von fulminanten Kritiken landesweit. Einer der begeisterten Kritiker war der Musiker und spätere Operndirektor Wolfram Schwinger, der mit dem Ehepaar Penderecki befreundet war. Er vermittelte nicht nur ein jahrelanges freundschaftliches Verhältnis zu dem Komponisten, sondern sorgte ebenfalls für die deutsche Erstaufführung von Pendereckis Violinkonzert, das ich mit großem Erfolg aufführen durfte. In der Folge spielte ich hier auch seine frühe Violinsonate mit Christoph Eschenbach, seine Solokomposition für Bratsche habe ich mit Befürwortung des Komponisten transkripiert. Das Stück wurde als „Cadenca“ für Violine solo bekannt.

nmz: Wir befinden uns zurzeit in einer großen Krise durch den Ausfall von Unterricht an Hochschulen und Musikschulen, Absagen von Konzerten bis Ende des Jahres und Unsicherheiten in den Orchesterpositionen. Ist aus Ihrer Sicht die Zukunft der klassischen Szene in Gefahr?

Edinger: Es ist bitter für die Kulturszene, vor allem für Lehrende und Lernende. Anderseits, neben allen Unbilden, ist es auch Chance, diese Zeit der erzwungenen Entschleunigung. Zeit neues Repertoire zu erarbeiten, neue Techniken und intensivere Übungsstrategien zu entwickeln, Aufnahmen vorzubereiten und sich musikgeschichtlich zu informieren, Dinge, die für den Beruf wichtig sind, im Alltag aber oft zu kurz kommen. Aber natürlich hoffen wir alle auf baldige Normalität.

nmz: In diesem Jahr hat der Landesmusikrat die Violine zum „Instrument des Jahres“ ausgewählt. Viele der geplanten Konzerte und Events mit und um die Violine werden nicht stattfinden. Wie könnte man das Instrument, die Violinisten*innen und die Instrumentenbauer noch deutlicher in den Vordergrund bringen?

Edinger: Ich denke an Violinen-Recitals mit solistischen Programmen, zum Beispiel in Kirchenräumen, solange andere Konzertsäle geschlossen sind. Hier könnte gut eine Moderation mit Erläuterungen über Instrument, Spielart und Bauweise informativ sein.

nmz: Sie wurden durch bedeutende Preise ausgezeichnet …

Edinger: Den Berliner Musikpreis für junge Künstler erhielt ich bereits 1969, nachdem ich schon verschiedene Konzerte mit den Berliner Philharmonikern gemacht hatte. Der Kritikerpreis, der vom Deutschen Journalistenverband vergeben wird, wurde mir 1975 nach der spektakulären Wiederaufführung des lange unbeachteten Violinen-Konzerts von Robert Schumann verliehen. 

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