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Jeder spielt so gut er kann, und jetzt ist der Nächste dran

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Der Blick über den Zaun: Musikunterricht für behinderte Kinder und Jugendliche
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Musikunterricht für behinderte Menschen anzubieten, ist bestimmt keine so neue Idee, dachte ich mir noch Anfang dieses Jahres, als ich mich auf die Suche nach geeigneten Angeboten machte, an denen ich mich konzeptionell und organisatorisch orientieren konnte. Schon nach kurzer Zeit musste ich aber feststellen, dass es bundesweit nicht einmal eine Hand voll etablierter Unterrichtsangebote an städtischen wie privaten Musikschulen gibt, die sich mit behinderten Kindern und Jugendlichen beschäftigen. Also doch eine neue Idee?

Musikunterricht für behinderte Menschen anzubieten, ist bestimmt keine so neue Idee, dachte ich mir noch Anfang dieses Jahres, als ich mich auf die Suche nach geeigneten Angeboten machte, an denen ich mich konzeptionell und organisatorisch orientieren konnte. Schon nach kurzer Zeit musste ich aber feststellen, dass es bundesweit nicht einmal eine Hand voll etablierter Unterrichtsangebote an städtischen wie privaten Musikschulen gibt, die sich mit behinderten Kindern und Jugendlichen beschäftigen. Also doch eine neue Idee?Nein, wohl nicht ganz, wenn man eine Statistik betrachtet, die der Verband Bayerischer Sing- und Musikschulen 1997 veröffentlicht hat. Die Ergebnisse beziehen sich auf 46,3 Prozent aller Musikschulen in Deutschland. So wurden an 452 Musikschulen 5.528 Behinderte gefördert, das entspricht ganzen 0,64 Prozent der gesamten Schülerschaft der erfassten Musikschulen (siehe Quellenhinweis am Textende). Leider existieren bis heute keine neueren Zahlen, die auch zum Beispiel die privaten Musikschulen mit einbeziehen. Aber schon anhand dieser etwas vagen Zahlen wird deutlich, dass behinderte Kinder und Jugendliche nach wie vor eine verschwindend geringe Randgruppe an Musikschulen bilden.

Auf dem Hintergrund unserer heutigen Gesellschaft, die die Leistungsfähigkeit und den Wettbewerb zur obersten Maxime ausgerufen hat, mögen diese Zahlen nicht verwundern. Unsicherheit und hohe Barrieren gegenüber der Andersartigkeit von Menschen, die geistig beziehungsweise körperlich behindert sind, kennzeichnen die wenigen Kontakte. Das gesellschaftliche Leistungsdenken macht leider auch vor den Pforten der Musikschulen nicht Halt. Die Leistungsfähigkeit des Schülers am Instrument ist meist richtungsweisend, Spaß und Kreativität müssen sich dem unterordnen. In solch ein Klima mögen behinderte Menschen so gar nicht hineinpassen.

Die Idee, einen Musikunterricht für behinderte Kinder und Jugendliche anzubieten, steht im Zusammenhang mit meiner Arbeit als Musiktherapeutin in einer heilpädagogischen Tagesstätte für geistig behinderte Kinder und Jugendliche und meiner weiteren Unterrichtstätigkeit bei der Musiklehrervereinigung e.V. in Traunreut. Meine momentane Haupttätigkeit in der Tagesstätte verstehe ich in erster Linie als heilpädagogisch orientierte Musiktherapie. Meine musikalischen Erfahrungen, die ich mit den behinderten Kindern und Jugendlichen sammeln konnte, zeigten mir deutlich, dass es auch trotz teilweise schwerster Behinderung möglich ist, Musik zu erleben und auch zu machen.

Ein Musikunterricht für behinderte Kinder und Jugendliche unterscheidet sich von einer musiktherapeutischen Arbeit im Ansatz und in der Zielsetzung. Während in der Musiktherapie der Beziehungsprozess zwischen Therapeut und Patient musikalisch thematisiert und bearbeitet wird, steht im Musikunterricht die Musik als ästhetisches Mittel im Vordergrund. Wenn ich mit behinderten Kindern und Jugendlichen musiziere, Musik höre oder tanze zeigen sich höchstwahrscheinlich auch im Unterricht entsprechende therapeutische Wirkungen, die aber nicht beabsichtigt oder gezielt hervorgerufen werden wie in einer Therapiesituation. Das Ziel des Musikunterrichts ist, wie bei „normalen“ Schülern auch, die spielerische und individuelle Heranführung an Musik und ihre musikalischen Betätigungsfelder, die eine offene, kreative und heilpädagogisch orientierte Musikdidaktik, je nach Fähigkeiten des Einzelnen, verlangt. Darüber hinaus findet natürlich eine heilpädagogische Förderung von Motorik, Ausdauer, Konzentration, sozialen Kompetenzen, Sprache und Emotionalität statt. Diese Förderbereiche lassen sich aber auch ohne weiteres auf den Musikunterricht mit „normalen“ Kindern übertragen, die in diesem Sinne durch Musik gefördert werden können.

So weit ein kurzer Abriss aus dem Konzept, das ich für dieses Projekt zusammengestellt habe. Ehrlich gesagt war das noch die leichteste Übung in dieser Vorbereitungsphase. Das schwierigere Thema ist – wie überall – der finanzielle Teil dieses Vorhabens.

Ein Kostenzuschuss für einmalige Ausgaben wie Instrumentenkauf oder Raumausstattung können über das Kultusministerium und über den Tonkünstlerverband beantragt werden, wobei der volle Zuschussbetrag (insgesamt bis zu 30 Prozent der zu erwartenden Kosten) vonseiten des Kultusministeriums nur dann gewährt werden kann, wenn keine weiteren Kostenanträge bei anderen Trägern gestellt werden! Nach meinem Wissensstand hält auch die Europäische Union finanzielle Töpfe bereit, die im Bereich Behindertenhilfe und Gesundheitshilfen aktiv werden. Bis jetzt konnte ich aber noch keine genaueren Informationen über die Antragsstellung und den Adressaten herausbekommen.

Was die Bezuschussung zu den laufenden Unterrichtsgebühren angeht, sieht die Sache noch etwas schwieriger aus. Auf Grund der individuellen und zeitintensiven Vorbereitung wie auch der fachspezifischen Durchführung der Unterrichtsstunden müssen wir die Gebühren für den Musikunterricht für behinderte Kinder und Jugendliche höher ansetzen als beim „normalen“ Unterricht. Es ist aber meiner Meinung nach nicht einzusehen, warum ausgerechnet Eltern von behinderten Kindern, die sowieso schon in vielen Bereichen größere finanzielle Belastungen hinnehmen müssen, beim Musikunterricht mehr bezahlen sollten.

Mein Ziel ist es, dass dieser Mehrbetrag zu den normalen Zuschüssen der Gemeinden vom zuständigen Sozial- beziehungsweise Jugendamt übernommen wird. Die rechtlichen Grundlagen hierzu bieten das KJHG (§ 35 und § 29) und das BSHG (§ 40 Abs. 1 Nr. 2a und Nr. 8).

In der Praxis sieht es aber noch so aus, dass dieser Zuschuss für jedes einzelne Kind beantragt werden muss und darüber hinaus vom Einkommen der Eltern abhängig gemacht wird. Zum größten Teil ist dieses Verfahren für die meisten Gemeinden neu und dementsprechend langwierig.

Mir ist dabei vollkommen bewusst, dass es heutzutage immer schwieriger wird, zusätzliche Mittel von den Gemeinden zu bekommen, aber auf der anderen Seite stehen die behinderten Kinder und Jugendlichen, deren Lebensqualität durch dieses Angebot sicherlich verbessert werden kann.

Es wäre hilfreich, wenn es Mitstreiter in Deutschland gäbe, die ähnliche Projekte vorbereiten oder schon mit behinderten Kindern und Jugendlichen arbeiten. Ein Austausch über inhaltliche und organisatorische Fragen könnte die Einzelaktionen stärken und die Auseinandersetzung um finanzielle Hilfen auf eine breitere Basis stellen. Es ist an der Zeit, die Musikschulen für den Personenkreis der behinderten Menschen zu öffnen, denn auch behinderte Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf musikalische Bildung nach dem Motto: „Jeder spielt so gut er kann, und jetzt ist der Nächste dran.“

Der DTKV sammelt Anfragen, Hinweise und Mitteilungen über eigene Aktivitäten und stellt den Kontakt zu Frau Rieser her. Anfragen bitte an die Geschäftsstelle.

Quellennachweis: Verband Bay. Sing- und Musikschulen e.V. (Hrsg.): Musik mit Behinderten an Musikschulen, Nürnberg 1999, S. 7

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