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Kampf um die Präsenz im Musikleben

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6. Jour fixe „Musik und Stadt“ des Landesmusikrates Berlin
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Im Rahmen der 2019 vom Landesmusikrat Berlin ins Leben gerufenen Diskussionsreihe Jour fixe „Musik und Stadt“, die regelmäßig aktuelle Aspekte des Musiklebens in Berlin in die öffentliche Debatte hebt, widmete sich am 22. Juni 2020 eine hochkarätige Expertinnenrunde unter der Leitung von Adelheid Krause-Pichler dem Thema „Komponistinnen gestern und heute“.

Ausgehend von der Frage, mit welchen Mitteln veraltete historische Muster und damit einhergehende gesellschaftliche Zwänge überwunden werden könnten, die in unserer heutigen Zeit immer noch die Gleichstellung von Komponistinnen mit ihren männlichen Kollegen behindern oder gar unmöglich machen, berichteten die Podiumsteilnehmerinnen mit großem Herzblut und fachlicher Kompetenz von ihren persönlichen Erfahrungen und ihrem jahrzehntelangen beruflichen und kulturpolitischen Engagement.

Die Live-Zuhörer*innen konnten sich an diesem Abend zudem über ein kleines musikalisches Geschenk von Violeta Dinescu freuen: Die aus Rumänien stammende, seit 1982 in Deutschland lebende und arbeitende Komponistin hatte ihr neues Stück „Litanei I.“ eigens für diesen Anlass geschrieben. Die Uraufführung durch die vielfach ausgezeichnete und durch ihre enge Zusammenarbeit mit zeitgenössischen Komponistinnen in neuester Musik versierte Cellistin Ehrengard von Gemmingen leitete die Gesprächsrunde auf besondere Weise ein. Auch die beiden an späterer Stelle dargebotenen und dramaturgisch perfekt mit dem Gesprächsverlauf abgestimmten Musikstücke „Fantasy Variations“ von Ursula Mamlok und das 2020 entstandene „Formenspiel“ von Susanne Stelzenbach trugen als lebendige Klangbeispiele zur Bestärkung der Diskussionsinhalte bei. Wie die Podiumsteilnehmerinnen feststellten, bestünde eine große Gefahr in der notorischen Unterschätzung des Publikums, dem oftmals durch Veranstalter und Programmverantwortliche keine Chance gegeben würde, etwas Neues kennenzulernen. Als Vorschläge zur Unterstützung einer derartigen Annäherung nannten sie moderierte Konzerte, eine verstärkte Kontextualisierung und sogenannte „Sandwich-Programme“, bei denen Werke von Komponistinnen als Bestandteil eines ansonsten traditionelleren Programms präsentiert werden.

Bettina Brand, Geschäftsführerin der unter anderem für ihre fundierte Nachwuchsförderung bekannten Dwight-und-Ursula-Mamlok-Stiftung, betonte in diesem Zusammenhang die immense Wichtigkeit, junge Menschen an die Neue Musik heranzuführen, wozu es auch gehörte, das Thema „Komponistinnen“ in die allgemeinen Lehrpläne zu integrieren.

Violeta Dinescu erzählte mit ansteckendem Enthusiasmus vom Erfolg des von ihr im Rahmen ihrer seit 1996 bestehenden Professur für angewandte Komposition an der Hochschule in Oldenburg gegründeten „Komponisten-Colloquiums“, bei dem fast in jedem Semester ohne absichtliche Regelung der Anteil an Frauen überwiegt. Trotz dieser positiven Entwicklung machte sie jedoch keinen Hehl aus der allgemein prekären Situation und gab zu bedenken, dass sie im Westen niemals den Berufsweg als Komponistin eingeschlagen hätte. Als Grund dafür nannte sie die ständig erwartete Rechtfertigung, wohingegen in dem kulturpolitischen Umfeld, in dem sie aufgewachsen ist, bereits in der Ausbildung ein viel größeres Selbstverständnis gegeben war.

Die Musikhistorikerin Prof. Dr. Beatrix Borchard, die sich u.a. durch ihre Publikationen über Fanny Hensel und Clara Schumann und das von ihr initiierte Internet-Archiv MUGI „Musik und Gender im Internet“ einen Namen als anerkannte Spezialistin für das Thema „Komponistinnen“ gemacht hat, bestätigte, dass sie zeitlebens „wie eine Löwin“ für die Präsenz von Komponistinnen im deutschen Hochschulkontext gekämpft und sich für die gleichberechtigte Vergabe von Professuren an Frauen eingesetzt habe. Trotz der von ihr errungenen Fortschritte sähe sie sich aber immer wieder mit dem Unverständnis und dem in der Sorge um ihre gewohnheitsmäßige Vormachtstellung begründeten Widerstand männlicher Kollegen konfrontiert.

Susanne Stelzenbach, selbst erfolgreiche Komponistin, berichtete von ihren Bemühungen als langjährige Leiterin des interdisziplinären Festivals „pyramidale“ stets eine ausgewogene Balance zwischen Komponistinnen und Komponisten im Festivalprogramm zu gewährleisten. Im Laufe der äußerst konstruktiven und mit großem gegenseitigem Respekt geführten Diskussion kristallisierte sich als größte Priorität und gemeinsames Ziel die Einführung einer Quotenregelung heraus, die die Teilhabe von Männern und Frauen im Musikbereich gleichermaßen garantiert. Alle Anwesenden hielten es für wünschenswert, die Diskussion zu einem späteren Zeitpunkt fortzuführen, wenn möglich auch unter Beteiligung von Komponisten.

Aufgrund der Corona-Situation, die, wie auch schon beim vorangegangenen Jour fixe im Mai dieses Jahres, kein Publikum vor Ort zuließ, wurde die Gesprächsrunde als Livestream aus der ALEX-Halle in Berlin-Friedrichshain übertragen. Die vollständige Videoaufzeichnung, sowie eine Transkription des 6. Jour Fixe „Musik und Stadt“: Komponistinnen gestern und heute stehen auf der Webseite des Landesmusikrates Berlin zur Verfügung unter:

https://www.landesmusikrat-berlin.de/musikpolitik/jour-fixe.

 

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