Auf den Wegen zu Alexander Skrjabin lauern die Tücken, verbergen sich die Fallgruben. Und die Stücke, die Christoph Keller für sein ausnehmend gut besuchtes Gesprächskonzert ausgewählt hat, bergen besondere Gefahren. Die meisten sind ausgesprochen kurz, etliche Takte, wenige Minuten. Doch der Oldenburger Pianist hat die Hauptwege, Nebenwege und Verwinkelungen dieser Netzwerke intensiv erforscht.
So erliegt er nicht der Versuchung, alles gleich in einem Atemzug sagen zu wollen. Er geht im Alten Gymnasium eher auf Pilgerfahrt zum Jubilar (1872 – 1915), dessen hundertster Todestag sich jährt. Keller nimmt sich Zeit zum Innehalten, Meditieren und Erklären.
Immer noch verkannt ist der russische Modernisierer. Keller, der renommierte Klavierpädagoge und Komponist, durchmisst die letzten fünf Schaffensjahre Skrjabins. Die meisten der Poèmes, Préludes und Miniatures aus den Opera 58 bis 74 wiederholt er zum nachhaltigeren Erkennen. Kellers Blick reicht weit voraus, erfasst, wie eng Musik und Philosophie ineinander greifen.
Skrjabin strebte danach, die Menschen individuell und die Menschheit insgesamt besser zu machen. Sein selbst entwickeltes Tonsystem mit einer modernisierten eigenen Akkordstruktur und Funktionsharmonik legte dazu das Fundament. „In dieser Musik gibt es keine Dissonanzen“, erläutert der Pianist. Musikalisch erweist Keller sich als Skrjabin-Deuter von höchstem Rang. Die komplexen Miniaturen wirken bei ihm wie funkelnde Lichtbrechungen, weniger wie in Farben zerfließende Tuschearbeiten. Selbst bei Spielanweisungen wie “mit versteckter Sanftheit“ oder „mit unberechenbarer Grazie“ weicht die Musik nicht auf. Keller verleiht ihr, auch mit einer fein abstufenden linken Hand, eine Festigkeit, die das Schöne vor dem Verwelken bewahrt. Das aufgehellte Spiel verrät auch in übereinander geschichteten Figuren nie Willkür.
Objektiv geht Keller Skrjabin beherrscht solide an. Aber subjektiv befeuert er ihn ungemein originell und erwärmend liebevoll bis in die beredten Pausen hinein. Hier schwingt die Musik noch in der Stille anregend nach. Man kann dieser sinnlichen Musik verfallen.