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Kokett tänzerischer Charakter

Untertitel
Ingolf Turban begeistert mit Karl Amadeus Hartmann
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Auf welch überragendem Niveau bereits der 21-jährige Karl Amadeus Hartmann komponierte, bewies Ingolf Turban am 12. Oktober 2022 in München. Die Einladung, im Hartmann-Center eines der vier Werke für Solovioline von 1926 – zwei Suiten und zwei Sonaten – zu spielen, brachte Turban auf die Idee, Bachs Partita Nr. 3 E-Dur, BWV 1006 satzweise mit Hartmanns erster Suite zu verschränken. Dieses Konzept der Kombination eines Bach-Werks für Solostreichinstrument mit einem oder mehreren modernen Stücken haben zuletzt einige Künstler auf diversen CDs aufgegriffen: nicht immer überzeugend. Meist geht dies auf Kosten des modernen Repertoires, das der direkten Gegenüberstellung mit Bach teils nicht recht standhält; oder eines der beteiligten Stücke wird durch die „fremden“ Einschübe in seiner Konsistenz aufgeweicht.

Die Verschränkung – mit überraschenden Seiten- bzw. Einblicken auf das jeweils andere Werk – klappte hier vor allem, weil die französische Satzfolge von Bachs E-Dur-Partita keine kontrapunktischen Schwergewichte wie das d-Moll Schwesterstück oder die C-Dur-Sonate enthält. So schrien Hartmanns Sätze eben nicht nach einem Vergleich, sondern ergänzten Bachs keineswegs nur unbeschwerte Musik – bereits das Preludio klang bei Turban in der Tiefe seufzend – sinnvoll. Umso erstaunlicher, weil ja die kombinierten 11 Sätze wahrlich eine geigerische „tour de force“ von knapp 40 Minuten darstellten. Turban, der vor 27 Jahren die CD-Ersteinspielung von Hartmanns halsbrecherisch schwierigen Stücken (nach wie vor auf „claves“ erhältlich) gestemmt hat, aber damit wohl kaum je Gelegenheiten für Aufführungen vor Publikum gehabt haben dürfte, erreichte hierbei in puncto Intonation nicht ganz die Perfektion wie bei Bach, wo jahrzehntelange Erfahrung für absolute Sicherheit sorgte.

Dafür kam Hartmanns Wille, das Vorbild in Hinblick auf die staunenswerte Umsetzung polyphoner Strukturen – die ja auf einer Violine zum Teil „virtueller“ Ergänzungen in den Köpfen der Zuhörer bedarf – zu erreichen, voll zur Geltung: Der Kanon, die Fuge und die Ciaccona gelangen Turban phänomenal. Die Mehrstimmigkeit blieb jederzeit durchschaubar, klarer als auf seiner CD. Auch der kokett tänzerische Charakter der Fuge ließ sofort aufhorchen. Zum Höhepunkt der Darbietung wurden jedoch Hartmanns vielschichtiges Rondo sowie die „Dreiteilige Liedform“: differenziert, mit natürlich atmender Agogik wie in allen Bach-Sätzen, dabei ausdrucksvoll bis an die Grenze zum Grotesken. Die abschließende E-Dur-Gigue dann völlig gelöst und klanglich nahezu „choreographisch“ ausgestaltet: große Begeisterung in den ausverkauften Räumlichkeiten. Für junge Violinisten kann das nur bedeuten: Noten kaufen und Hartmanns schon für sich alleine dankbare Musik üben. Die gehört eindeutig ins Repertoire!

Auf das hochinteressante Künstlergespräch, das Andreas Hérm Baumgartner, Vorstand der K.A.-Hartmann-Gesellschaft, anschließend mit dem Geiger führte, folgte Schumanns d-Moll Sonate op. 121; eine Parade­nummer von Turban und seine Lebensgefährtin Tomoko Sawallisch, die auf dem eher schwachbrüstigen Bechstein-Flügel allerdings fast etwas zu zurückhaltend begleitete.

Schumanns emotional komplexe Musik wird nur im dritten, langsamen Satz mit seinen charakteristischen Pizzicati ein wenig schlichter. Das Finale geht das Duo abseits vom Gewohnten stets mit etwas gebremster Energie an, die sich an diesem Abend dann ein wenig zu spät entfaltete als vielleicht nötig – nichtsdestotrotz eine hochrangige Interpretation.  

 

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