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Kolumne

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Der Jazz – ein Überlebender vieler Verfolgungen
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Es ist gut 30 Jahre her, dass ein guter Freund und Kollege von mir, ein Kontrabassist, der gleichermaßen beheimatet in Klassik und Jazz war, mir anlässlich seiner Mitwirkung an einer Produktion im Studio 2 des Bayerischen Rundfunks erzählte, dass zu seinem eigenen Erstaunen für das vorgesehene Programm dieser Produktion die wesentlich höheren Honorarsätze der Kategorie E-Musik an die Musiker gezahlt werden würden.

Auf dem Programm standen Ragtimes von Scott Joplin. Auf Nachfrage bei der zuständigen Redaktion, warum denn dann für Produktionen mit wesentlich anspruchsvollerem Jazz und einem hohen Anteil an authentischer Improvisation nur die niedrigeren Honorarsätze der U-Musik angesetzt würden, folgte die Antwort, dass genau dies der Grund sei: Ragtimes von Scott Joplin seien als durchkomponierte und verlegte Werke als E-Musik zu werten, Improvisation eben nicht.

Es sei nun jedem überlassen, weitere Spekulationen und Schlussfolgerungen an diese aufschlussreiche Geschichte zu knüpfen. Ich möchte im Weiteren umreißen, warum sich die kulturelle Öffentlichkeit schwertut, den Jazz wertzuschätzen.

Der Jazz hatte von Anfang an – dies sowohl in seinem Mutterland als auch hier in Deutschland – unter rassistischen Ressentiments zu leiden. Im Dritten Reich wurde die Hetze gegen „Entartete Kunst“ – und damit auch gegen den Jazz – institutionalisiert. Die Entnazifizierung der Institutionen erfolgte bekanntermaßen auch noch nicht in der „Stunde Null“, sondern prinzipiell und allmählich durch die 68er-Generation. Andererseits übernahm auch die kommunistische Kulturpolitik viele rassistische Klischees der Nazi-Zeit (W. Ulbricht sprach sogar wörtlich von „Affenmusik“), waren es auch die Angriffe der linksintellektuellen Frankfurter Schule und hier insbesondere Theodor W. Adorno, die den Jazz mit einer reichlich absurd konstruierten Anklage diffamierten. Diese lautete vereinfacht: Die amerikanische Kulturindustrie sieht Kultur als zu vermarktendes Produkt losgelöst von seinem künstlerischen Wert. Der Wert der Musik als Produkt ergibt sich aus seiner Vermarktbarkeit etcetera. Um dann – in (naiver) Unkenntnis der Materie – den Jazz als genau dieses Produkt zu werten. Falsch! Der Jazz hat vielmehr die moderne urbane Subkultur begründet und sich aus eigener Kraft zu einem künstlerisch eigenständigen Genre entwickelt, aber Adornos verfehlte Zuordnung des Jazz haftet dem Jazz immer noch an.

Nun kann man keinem der heutigen Akteure der Kulturszene (zumindest den mir bekannten Personen) den Vorwurf machen, extremen Ideologien anzuhängen. Aber es gilt, noch immer vorhandene, überkommene Denkmus­ter bezüglich des Jazz abzulegen und diese wunderbare Musik als das anzuerkennen, was sie in den Worten des großen Dave Brubeck repräsentiert: „Jazz ist die einzige Kunstform, in der es die Freiheit des Individuums gibt, ohne den sozialen Zusammenhalt zu verlieren.“

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