Das Auseinanderdriften der bürgerlichen Gesellschaft und die immer schlechter werdenden Rahmenbedingungen, denen sich unsere Mitglieder in ihren Berufsfeldern der musikalischen Bildung gegenüber sehen, haben den Tonkünstlerverband veranlasst, sich mit dem Thema des bedingungslosen Grundeinkommens zu beschäftigen.
Die Digitalisierung und Automatisierung von Produktionsprozessen (Arbeit 4.0) lässt das Modell, Entlohnung an den Faktor Arbeit zu koppeln, immer fragwürdiger erscheinen. Wenn die Lebensleistung der Menschen ausschließlich über die Arbeit definiert ist, die ihrerseits wieder die existenzielle Überlebensvoraussetzung darstellt und Nicht-Arbeit sogleich eine Stigmatisierung und den vollständigen Verlust an Motivation bedeutet, muss man sich mit Modellen beschäftigen, die diese Spirale der Unzufriedenheit durchbrechen können. Im Falle der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens würde eine extrem kostenintensive Organisation staatlicher Transferleistungen wegfallen; hiermit wäre das Modell bereits zu großen Teilen finanziert.
Freizeit sinnstiftend verbringen
Die zunehmende Automatisierung wird dafür sorgen, dass immer weniger Menschen Arbeit haben werden. Dadurch vergrößert sich der Anteil der Menschen, die nicht arbeiten. Der Bedarf, Freizeit sinnstiftend zu verbringen, wird zunehmend größer werden. Hier ergeben sich auch Chancen für die musisch-kreativen Berufe, sinnstiftende Angebote zu machen. Wenn Entlohnung nicht an Arbeit gekoppelt ist, bringt das die Chance mit sich, sich motiviert zu engagieren, um Dinge zu tun, nicht weil man sie tun muss, sondern weil man sie gerne tut, weil sie nicht dem Broterwerb zu dienen haben.
Den entscheidenden Schritt tun
An verschiedenen Stellen in der Gesellschaft zeigt sich, dass die Zeit für den entscheidenden Schritt, Arbeit von Einkommen zu entkoppeln, reif ist: In der Schweiz erzielte eine Volksabstimmung zum bedingungslosen Grundeinkommen einen hohen Achtungserfolg. Ermutigende Studien zum bedingungslosen Grundeinkommen kommen aus Finnland, Bangladesh und Kenia.
Die Deutsche Rentenversicherung bezieht in der Ausgabe 1/2017 ihrer Zeitschrift „Zukunft jetzt“ auf Seite 5 Stellung: „Das rückt auch neue Formen der sozialen Sicherung wie ein Grundeinkommen ins Zentrum der Diskussion“.
In der Gesellschaft gewinnt der Gedanke an ein bedingungsloses Grundeinkommen an Fahrt, da sich die Kräfte verstärken, die soziale Gerechtigkeit wollen und entschieden gegen die weltweit zunehmende Konzentration des Reichtums in wenigen Händen sind.
Wie man es schaffen kann, dass das Modell auch unter den Rahmenbedingungen einer global vernetzten Wirtschafts- und Finanzwelt keine Schlupflöcher für eine „Macht- und Geldlobby“ lässt, wird zu diskutieren sein.
Der Tonkünstlerverband wird sich weiter mit dem Thema beschäftigen, seine Mitglieder informieren und ihnen zu gegebenem Zeitpunkt Empfehlungen aussprechen. Schreiben Sie uns Ihre Meinung, diskutieren Sie mit: info [at] dtkv-bw.de (info[at]dtkv-bw[dot]de)
Helfen Sie mit, dem Thema die Relevanz zu verleihen, die es verdient - als Gegenentwurf zu einer Entwicklung, die Kultur, menschenwürdiges Dasein und Lebensglück für immer weniger Menschen bereithält.
Gesellschaft mitformen
„Eine wirklich gute Idee erkennt man daran, dass ihre Verwirklichung von vorneherein ausgeschlossen erscheint“, soll einmal Albert Einstein gesagt haben. Mit der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens ist das so eine Sache – im ersten Moment scheint die Verwirklichung auch ausgeschlossen: In was für einer Welt würden wir denn leben, wenn jeder bedingungslos ein Einkommen erhalten würde, so dass er bescheiden, aber menschenwürdig leben kann? Würde dann überhaupt noch jemand arbeiten?
Unsere Gesellschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten rapide verändert, unser Bewusstsein und unser Denken orientieren sich noch immer an der Selbstversorgermentalität einer Agrargesellschaft. Längst sind wir in einer Zukunft angekommen, in der Wirtschaftskrisen keine Produktionskrisen mehr sind. Wir leben im ständigen Produktionsüberschuss. Warum trennen wir dann nicht Produktion, also Erwerbsarbeit, und Existenzgrundlage, also Einkommen? Hat nicht jeder Mensch, unabhängig ob er etwas produziert oder nicht, das Recht auf Teilhabe an der Kulturgesellschaft?
Wie wollen wir leben?
Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens ist ein Kulturimpuls: Sie wirft die Frage auf, in welcher Gesellschaft wir künftig leben wollen. Der aktuelle Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung zeigt, wie dringend es ist, dass wir uns von dieser Frage leiten lassen. Wenn uns die Bundesregierung zahlreiche soziale Probleme und Schieflagen vor Augen führt und vor einer zu starken Spaltung der Gesellschaft warnt, ist dann nicht offensichtlich, dass wir nicht so weitermachen können? Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde niemanden reich machen, aber es würde die Grundbedürfnisse sichern und uns ermöglichen und verpflichten, uns in eine Kulturgesellschaft einzubringen. Wir wären frei von grundlegenden Existenzsorgen und könnten die Arbeit erledigen, die sinnvoll erscheint. Arbeit als ein Füreinander-Leisten in sozialer Sicherheit, in Würde und nach eigener Wahl.
Jede sinnvolle Tätigkeit ist Arbeit
Die Idee wird sofort klar, wenn wir einsehen, dass jede sinnvolle Tätigkeit für andere Menschen Arbeit ist – ungeachtet dessen, ob und wie sie entlohnt wird. Es braucht auch die Einsicht, dass Einkommen nicht die Bezahlung von Arbeit ist, sondern die Ermöglichung von Arbeit. Und ein Verständnis dafür, dass in einer Konsumgesellschaft jeder Mensch zunächst einmal Einkommen benötigt, um leben zu können, um anschließend seinen Beitrag für die Gemeinschaft erbringen zu können. Erst wenn wir uns diese Dinge bewusstmachen, sie mit dem Kopf und dem Herzen durchdringen, dann sind wir bereit für den Wandel und dann erst kommen wir zur Umsetzung. Haben wir Bürger uns vielleicht daran gewöhnt, einfach zuzuschauen, wie sich die Gesellschaft entwickelt? Jede Veränderung beginnt mit Nachdenken. Bücher können dabei helfen. Deshalb haben wir auch wesentliche, aktuelle Publikationen zum Thema bedingungsloses Grundeinkommen aufgelistet und stellen sie kurz vor (Liste per E-Mail erhältlich: gf [at] dtkv-bw.de (gf[at]dtkv-bw[dot]de)).
Wir möchten Sie einladen, sich mit dem Thema zu beschäftigen, lassen Sie die zunächst so abwegig erscheinende Idee auf sich wirken. Und dann diskutieren Sie bitte mit Ihren Kollegen und Mitmenschen. Wenn wir etwas verändern wollen, dann liegt es an uns.