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Kunst gleich unfair?

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Der Verein „art but fair“ ist in der Kulturpolitik angekommen
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„Das müsste man mal alles aufschreiben, das würde uns kein Mensch glauben.“: Diesen Stoßseufzer von Künstlern über miserable Honorarund Arbeitsbedingungen auf dem freien Markt macht Musicalproduzent Johannes Maria Schatz im Februar 2013 zum Ausgangspunkt für sein soziales und politisches Engagement. Der Verein „art but fair“, den er in Deutschland als Vorsitzender vertritt, verlangt nicht nur angemessene Entlohnung für Künstler, sondern auch Selbstverpflichtungserklärungen von Agenten und Kulturanbietern.

Dumping-Honorare für Musiker

Für Schatz ist das Ende der Geduld erreicht, als seine Frau, eine Musicaldarstellerin und Schauspielerin, folgendes Beschäftigungsangebot von einem Theater erhält: Für eine Spielzeit mit 300 Vorstellungen soll sie gerade einmal 1.200 Euro brutto pro Monat erhalten. Schatz schaltet spontan eine Facebookseite über die „traurigsten & unverschämtesten Künstlergagen“ (https://www.facebook.com/Kuenstlergagen) auf – und stellt fest, dass die Seite innerhalb weniger Stunden geradezu vor Likes explodiert.

Neben Schauspielern und Musicalkünstlern melden sich auch freiberufliche Tänzer, Sänger und Instrumentalisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz und berichten über Dumping-Honorare und Existenzsorgen. Schon bald setzt sich auch die österreichische Mezzosopranistin Elisabeth Kulman mit Schatz in Verbindung und steuert ihre eigenen Erfahrungen von den Salzburger Festspielen bei: Dort sollen nur noch Aufführungen, aber nicht mehr die dafür notwendigen Proben bezahlt werden. Fallen die Sänger in einer Vorstellung aus, etwa wegen Krankheit, erhalten sie kein Geld – ein unabsehbares finanzielles Risiko. Elisabeth Kulman ruft zur „Revolution der Künstler“ auf und gilt bald als Jeanne d’Arc der Freiberuflichen, Johannes Maria Schatz als deren Robin Hood. Im Austausch mit anderen Interessierten reift die Idee, je einen deutschen, österreichischen und schweizerischen gemeinnützigen Verein unter dem Namen „art but fair“ zu gründen und ein Gütesiegel für faire Kunst zu entwickeln.

In Zeiten von Künstlerüberfluss auf der einen und ständiger Ökonomisierung auf der anderen Seite offensichtlich eine Notwendigkeit, denn auch heute noch lesen sich die Geschichten auf der Facebookseite krude: Eine Band reist 600 Kilometer zu einem Konzert an, das dann wegen unprofessioneller Organisation durch den Veranstalter ausfällt – damit ist auch die Gage perdu, die sich aus einem Anteil an den Karteneinnahmen ergeben hätte. Eine andere Band wird angefragt, ob sie für eine Fernsehshow ein Stück inklusive Text schreiben, mit Showkandidaten einstudieren und live aufführen kann – für 500 Euro, von denen noch die Gagen für Kameramann, Beleuchtung und Cutter abgehen. Klassische Musiker wiederum akzeptieren für eine Stelle in einem ausländischen Festivalorchester Gagen, die bis zu 50 Prozent niedriger ausfallen als der dort übliche Mindestlohn.

Sängern und Schauspielern ergeht es nicht besser: Manche Agenturen verlangen beim Vorsingen Gebühren, etwa für Korrepetition, Strom, Raumnutzung und -reinigung. Im Musicalbereich werden Darstellerinnen und Darsteller eingeladen, ohne dass es tatsächlich eine Stelle oder ein Engagement gibt – eine solche „blind audition“ dient einfach dazu, den Markt zu sondieren, ohne Rücksicht auf die Ausgaben der Künstler für Anreise und Übernachtung. Solche Praktiken seien mittlerweile bei Weitem keine Ausnahme mehr, betont Johannes Maria Schatz.

Selbstverpflichtung für faire Musikerverträge

Er sieht den Grund für die Misere der Freiberuflichen in den schwindenden öffentlichen Mitteln. Dabei widerspricht Schatz der immer wieder vorgetragenen Begründung leerer Kassen und fehlender Gelder: „Das Bruttoinlandsprodukt hat sich in Deutschland, der Schweiz und in Österreich in der Nachkriegszeit – mit Ausnahme von 2008 nach dem Börseneinbruch– stetig vergrößert. Das heißt, innerhalb eines Landes wird immer mehr Geld eingenommen. Es wird nur falsch verteilt.“ Städte, Kommunen und Länder müssten zwar aufgrund hoher Verschuldungen sparen, aber im Kultursektor mit seinen eins bis drei Prozent am Gesamtbudget lasse sich nicht mehr viel kürzen. Auch dass das Angebot in Theatern, Konzertsälen und auf Bühnen in seiner Bedeutung als Standortfaktor ständig unterschätzt wird, wurmt ihn außerordentlich.

Mittlerweile hat „art but fair“ aber nicht nur viele Likes auf seiner Facebookseite (derzeit sind es über 17.000), sondern stellt auf seiner Website auch Texte für eine Selbstverpflichtung zur Verfügung. Verpflichten können und sollen sich dabei nicht nur Kunstschaffende – etwa dazu, sich für bessere Arbeitsbedingungen einzusetzen –, sondern vor allem deren Auftraggeber und kulturpolitische Akteure. Hochschulen etwa sollen sich verpflichten, „dass ausschließlich Bewerber aufgenommen werden können, die eine außerordentliche künstlerische Begabung mitbringen und somit später eine reelle Chance auf dem Arbeitsmarkt haben.“ Theater und Produzenten sollen dafür sorgen, dass „sowohl für Proben als auch für Auftritte angemessene Vergütungen und Spesen“ gezahlt werden. Im Fall der freien Theater muss man wohl hinzufügen: je nach Möglichkeit.

Diese rechtlich nicht verbindlichen Selbstverpflichtungen erscheinen auf den ersten Blick wolkig, doch es gibt dafür zwei Vorbilder: Zum einen das Projekt „global compact“ der Vereinten Nationen, bei dem der „art but fair“-engagierte Maximilan Norz mitarbeitet. Darin verpflichten sich Unternehmen der freien Wirtschaft, zehn ethische Mindeststandards einzuhalten. Zum anderen das Gütesiegel, wie es aus der Lebensmittel- und Bekleidungsindustrie bekannt ist. Umgesetzt auf die künstlerische Sparte heißt das: Künftig sollen Kunstanbieter oder -verwerter eine Selbstverpflichtung unterzeichnen und dafür ein Gütesiegel erhalten. Der Betrieb kann von Beschäftigten, Journalisten oder der Öffentlichkeit an dieser Selbstverpflichtung und einem obligatorischen Jahresbericht gemessen werden. Um die Selbstverpflichtungen auch in der Praxis umsetzbar zu machen, hat „art but fair“ eine Studie der Kulturpolitischen Gesellschaft in Bonn und der DGB-nahen Hans-Böckler-Stiftung angeregt. In wenigen Jahren, hofft Schatz, wird das Gütesiegel nicht nur eingeführt sein, sondern auch als Kriterium dafür dienen, ob ein Projekt oder eine Institution mit öffentlichen oder privaten Geldern gefördert wird.

Doch bereits in der Gegenwart wird dank medialer Aufmerksamkeit der über Mitgliedsbeiträge und Spenden finanzierte Verein „art but fair“ auch von der Kulturpolitik wahrgenommen. Mittlerweile, berichtet Schatz, seien bei den Gewerkschaften wie der GDBA (der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger) neben den Tarifen für die Festangestellten auch die Gagen der freiberuflichen Künstler Gegenstand von Gesprächen. Der größte und unmittelbarste Erfolg sei aber, dass auch die freiberuflichen Künstler selbst nun endlich wagten, über bislang verpönte Tabuthemen wie Geld oder die Probleme mit Engagements zu sprechen, nach dem Motto: „Endlich weiß ich, dass es nicht nur mir so geht“. Angesichts prekärer Einkommens- und Beschäftigungsverhältnisse, wie sie gerade im Musikbereich gang und gäbe sind (man denke nur an die der Künstlersozialkasse gemeldeten Jahreseinkommen von Musikern von durchschnittlich rund 12.600 Euro), war dieser Sinneswandel längst überfällig.

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