Im Musikverlag Burkhard Muth kürzlich erschienen, stellt die Publikation von Claudia Kopitzki „Lampenfieber bei Musikern – Umgangs- und Präventionsmöglichkeiten“ einen wichtigen Beitrag zu dieser alltäglichen und doch zu wenig ernstgenommenen Problematik dar.
Auf über 140 Seiten werden alle positiven und negativen Aspekte der Künstlerproblematik untersucht und ein ausführliches Literaturverzeichnis sowie ein Anhang mit Internetquellen komplettieren die umfassende Studie.
Claudia Kopitzki: „Ausgangspunkt der Überlegungen war die Doppelbödigkeit des Begriffes Lampenfieber als einer Erscheinung, die sowohl inspirierend als auch blockierend wirken kann. Nach einer Darstellung von Indikatoren von Lampenfieber (körperliches Ausdrucksverhalten, vegetative Erscheinung, Depersonalisierung, kognitive Erscheinungsbilder, externe Variablen) wurde dieses in einen allgemein-biologischen Zusammenhang gestellt. Dabei ging es neben einer Abgrenzung zur Furcht auch um Angst in ihren verschiedenen Spielarten, um die lebenserhaltende Funktion als uralte Alarmbereitschaft bis hin zu deren Entgleisung in Form einer Angststörung. Bei der Prüfung der physiologischen Aspekte des Lampenfiebers wurde durch die Unterscheidung zwischen physiologischen und dysfunktionalem Lampenfieber die begriffliche Analyse bestätigt.“ (Kopitzki S. 128)
Die weiteren Ausführungen zeigen die körperlichen Auswirkungen von Lampenfieber auf, an die sich aufgrund der schwer zu ziehenden Trennung zu psychologischen Reaktionen eine Betrachtung dieser Aspekte anschließt. Im den ersten Teil abschließenden Kapitel „Soziokulturelle und pädagogische Faktoren“ stehen grundlegende Überlegungen zur Persönlichkeit des Musikers in seinen verschiedenen Facetten von seiner Biographie über die berufliche Entwicklung bis zur Beziehung zur Kultur seiner Zeit. Für eine weitere Analyse, wie sich persönlichkeitsimmanente Eigenschaften auf das Problem auswirken, ist der Zusammenhang von Lampenfieber und Narzissmus interessant.
Im zweiten Kapitel geht es um verschiedene Untersuchungen zum Thema Lampenfieber. Kopitzki fand heraus, dass etliche in der Literatur zu findende Aspekte durch empirische Untersuchungen bestätigt werden konnten. Als wesentliches Ergebnis ist hier die herausragende Rolle all der Gesichtspunkte festzuhalten, die die Vorbereitung betreffen, während den situativen Faktoren des Lampenfiebers eher die Rolle zukommt, Mängel zu katalysieren.
Hieraus ergibt sich die im 3. Kapitel dargestellte Maßnahme für die Bewältigung dysfunktionalen Lampenfiebers fast zwangsläufig. Ausgehend von grundsätzlichen Überlegungen zu einer verbesserten Übemethodik, in der Gedächtnisleistung und -struktur eine besondere Rolle spielt, führt diese Thematik zum Kapitel „Umgang mit Fehlern“. Überlegungen zum antizipierenden Umgang mit der Konzertsituation und die Methode des mentalen Trainings runden als imaginative Vorgehensweise den musikimmanent-inhaltlichen Teil ab.
Für die Problembewältigung werden mit dem autogenen Training, der Alexandertechnik sowie der Feldenkrais-Methode exemplarisch die derzeit wohl bekanntesten Entspannungstechniken vorgestellt. Außer der Bewältigung des Lampenfiebers bieten sie Abhilfe bei vielerlei Verspannungen und Beschwerden und führen zu einer höheren Körperwahrnehmung. Dies kann den Umgang des Musikers mit sich selbst und mit seinem Instrument positiv fördern.
Zu den bekannten Entspannungstechniken gehört auch die „progressive Muskelentspannung“ nach Jacobsen, die hier in den Kontext verhaltenstherapeutischer Maßnahmen gestellt wird. Abschließend wird deutlich auf die Verantwortung der Musiklehrer hingewiesen, die im Umgang mit Vorspielsituationen eine besondere Rolle spielt. Auch eine stärkere Einbindung der Musikphysiologie in die Musikausbildung wird vorgeschlagen, da ein unzureichender Umgang mit den Instrumenten und dem eigenen Körper beim Üben und Musizieren zu Schäden führen kann und damit auch bis zur Berufsunfähigkeit eines Musikers.
Die kognitiven Erscheinungsbilder sind im Alltag des Musikers am bekanntesten:
Negative Gedanken wie „ich versage“, „das schaffe ich nicht“, „ich werde alles vergessen“ kennt jeder Prüfling. Diese kognitiven Erscheinungsbilder lösen ein Gefühl aus: „als seien alle sorgfältig geprobten Stellen ausgelöscht und als sei die Kontrolle über die eigenen gestalterischen Fähigkeiten, einschließlich des Gedächtnisses, der Wahrnehmung und der Bewegung nicht mehr voll verfügbar.“ (Kopitzki S. 17)
Dass diese Angststörung keine neue Erscheinung unseres schnelllebigen Stressalltags ist, zeigt ein Text der Dichterin Sappho aus dem Jahr 600 vor Chr.: ... Das hat mir starr gemacht das Herz in der Brust vor Schrecken, Schon ein Blick auf dich, und es kommt kein Laut mehr aus meiner Kehle, Ach, die Zunge ist mir gelähmt, ein zartes Feuer rieselt unter der Haut mir plötzlich, Nichts vermag mein Auge zu sehen, ein Rauschen braust in meinen Ohren. Und der Schweiß rinnt nieder an mir, das Zittern packt mich ganz, Noch fahler als Gras des Feldes bin ich; wenig fehlt und in tiefer Ohnmacht schein’ ich gestorben.“ (Kopitzki S. 21)
Interessant ist zuzsätzlich ein Kapitel des Verlegers Burkhard Muth (Musikpädagoge und M.A.) über die Herleitung des Begriffs Lampenfieber.
„ Aus etymologischer Sicht dürfte für den deutschen Sprachraum das Kanonenfieber im Sinne von Aufregung vor der Schlacht als Vorläufer anzusehen sein, wobei das französische „fiévre de la rampe“ (Rampenfieber) möglicherweise mit hineinspielte. Demnach „fieberte“ schon der Soldat der Schlacht entgegen, ähnlich wie heute der Musiker seinem Auftritt oder der Bühne (Rampe) entgegenfiebert. Der Wortbestandteil „Lampen“ ist im Sinne der Bühnenbeleuchtung zu verstehen, stammt also aus der Welt des Theaters. Aus etymologischer Sicht ist der Begriff also eher mit einer Art Vorfreude oder Erwartungsspannung verbunden – mehr nicht. Erst später also wandelt sich der Begriff zum negativen Angstzustand.
Dieses Buch von Claudia Kopitzki ist sehr umfassend und umsichtig geschrieben, indem es tatsächlich alle Bereiche rund um das Thema „Lampenfieber“ abdeckt. Eine Publikation, die für Musiker und Musiklehrer von höchstem Interesse sein dürfte.
Claudia Kopitzki: „Lampenfieber bei Musikern. Musikpädagogische Impulse“, hrsg. von P. Ackermann und U. Mazurowicz, Musikverlag Burkhard Muth, ISBN 978-3-929379-14-3
www.muth-verlag.de