Von Ludwig Thuille sprechen heute, wenn überhaupt, nur Musiktheoretiker, wenn von der umfassenden „Harmonielehre“ des bedeutenden Hochschullehrers die Rede ist, die immerhin mehr als 50 Jahre den Analyse- und Musiklehre- Unterricht dominierte. Kaum wahrgenommen und weniger geschätzt wurden die Kompositionen des Rheinberger- und Bruckner-Schülers zu seinen Lebzeiten, galten sie doch als zu konservativ und zu wenig von individueller Ausdruckskraft geprägt.
Heute, in angemessen geschichtlichem Abstand, empfinden wir sie anders, ja geradezu als Zeugnis der Strömungen einer Zeit, die gerade in der Kammermusik zwischen klassischem Erbe und Formdiktat, romantischer Klangfülle und expressionistischem Entfremden eine Verbindung suchte.
Der Pianist Frank-Immo Zichner hat mit dieser Doppel-CD beim cpo in Kooperation mit „Deutschlandradio Kultur“ eine gute Wahl getroffen, um das Werkspektrum des bereits 1907 mit 45 Jahren verstorbenen Komponisten vorzustellen. Mit den herausragenden Musikern Mark Gothoni (Violine), Ulrich Eichenauer (Viola) und Peter Hörr (Violoncello) hat Zichner eine repräsentative Auswahl getroffen, um den sich in mehr als 20 Jahren verändernden Stil Ludwig Thuilles zu dokumentieren.
Am auffälligsten ist diese Entwicklung an der Gegenüberstellung der beiden Violinsonaten op. 1 und op. 30 zu erkennen, während die Violoncellosonate op. 22 sich mehr instrumentalspezifisch dem romantischen Cello- Klang unterwirft, das Trio für Violine, Viola und Klavier ohne Opusnummer dagegen deutlich orchestrale Klangstrukturen bedient Hier hört man am ehesten den Strauss-Verehrer heraus.
Die Interpretation der Werke zeichnet sich in erster Linie auch durch den bewusst korrespondierenden und in exakten Dialogen präsenten Pianisten Frank-Immo Zichner aus. Sie berücksichtigt in besonderer Weise die unterschiedlichen Stileinheiten, die dem Hörer beinahe analytisch, ganz im Sinne des bedeutenden Hochschullehrers Thuille, entgegengebracht werden.
Eine Neuerscheinung bei cpo, die ein Stück Musikgeschichte lebendig werden lässt. CD-Tipp Ludwig Thuille (1861–1907): Chamber Works cpo 777 967-2