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Mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede

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Heike Schulte-Michaelis im Gespräch mit Ines Stricker
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Am 9. November 2019 wurde Heike Schulte-Michaelis, 1. Vorsitzende des Landesverbandes Hessen, in Frankfurt zur Vorsitzenden der Länderkonferenz gewählt. Üblicherweise trifft sich die Länderkonferenz einmal jährlich. Die Landesvorsitzenden berichten über ihre eigene Arbeit und die jeweils aktuellen Themen ihres Landes, beraten über Themen von überregionaler Bedeutung und formulieren gemeinsame Ziele. Heike Schulte-Michaelis, Pianistin und Musikpädagogin, hat nun das erste Jahr als Vorsitzende der Länderchefinnen und -chefs hinter sich und war in dieser Zeit – besonders seit dem März dieses Jahres – Zeugin krisenhafter Entwicklungen und entsprechender Umstrukturierungen. Im Gespräch mit der neuen musikzeitung nimmt sie Stellung zu den aktuellen Herausforderungen und zur Verbandsarbeit.

neue musikzeitung: Frau Schulte-Michaelis, was sind für Sie als Vorsitzende der Länderkonferenz die wichtigsten gemeinsame Ziele, zum einen allgemein, zum andere in Zeiten der Pandemie?
Heike Schulte-Michaelis: Es ist eher so, dass durch die Covid19-Pandemie unsere ohnehin bestehenden gemeinsamen Ziele und die länderübergreifenden Probleme erst deutlich zutage treten: Es geht uns allen zum einen um die Positionierung der Musik und ihres Werts in der Gesellschaft, zum anderen sehen und kritisieren wir die teilweise prekären Beschäftigungsverhältnisse und die unzureichende Honorierung.
Schon letztes Jahr, als ich zur Vorsitzenden der Länderkonferenz gewählt wurde und den Thementag in Hessen ausrichtete, ging es um diese Problematik. Es gab eine Podiumsdiskussion, bei der Thesen für eine Verbesserung der Verhältnisse formuliert wurden. Durch die Krise haben die Themen Beschäftigung und Honorierung seit März dieses Jahres noch deutlich an Brisanz gewonnen. Wer sich bisher noch durchwursteln konnte, steht jetzt vor massiven Problemen.

Unterschiedliche Voraussetzungen, ähnliche Bedürfnisse

nmz: Wie nehmen Sie nach Ihrem ersten Jahr die Ziele oder Bedürfnisse der 16 einzelnen Landesverbände im DTKV wahr?
Schulte-Michaelis: Es war auch schon vor meiner Zeit klar, dass es die großen Landesverbände mit hauptamtlichen Geschäftsstellen gibt, die viel besser aufgestellt sind und mit Herausforderungen anders umgehen können als die kleinen, die wenige Mitglieder haben und durch die ehrenamtlichen Aufgaben viel stärker gefordert sind. Und es gibt Verbände, in denen die Mitglieder aktiver sind als in anderen; vielleicht steht das aber auch in Wechselwirkung mit der Größe.
Eines meiner großen Anliegen ist, auch diesen kleineren und/oder nicht so gut aufgestellten Landesverbänden eine Stimme zu geben. Es ist mir wichtig, dass auch sie erfahren, was sich auf Bundesebene und in den anderen Landesverbänden abspielt, da sie zum Teil auch aufgrund der räumlichen Distanz weniger Möglichkeiten haben, an Konferenzen teilzunehmen. Durch Transparenz und Vernetzung will ich die Möglichkeiten zu gegenseitiger Hilfe unter den Landesverbänden unterstützen. Mit anderen Worten: Ich sehe statt unterschiedlicher Bedürfnisse eher die Gemeinsamkeiten.
Ein Beispiel aus der Krise: Vor kurzem blieben in drei Bundesländern – Hessen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen – die Musikschulen aufgrund des Teil-Lockdowns geschlossen. Und dann hat unter anderem der DTKV mit Verweis auf die anderen Länder darauf hingewirkt, dass zumindest in Hessen und Nordrhein-Westfalen Schülerinnen und Schüler die Musikschulen unter den entsprechenden Hygienevorschriften wieder besuchen konnten.
Hier profitieren wir von einem gemeinsamen Vorgehen, aber auch dann zum Beispiel, wenn es um den Austausch über die Kulturförderprogramme und -förderrichtlinien in den einzelnen Bundesländern geht. Allein durch die Berichte aus den Ländern kann ich mir überlegen, welche Idee oder Maßnahme auch für meinen eigenen Landesverband von Vorteil sein könnte.

Austausch trotz eingeschränkter Kontakte

nmz: Wie bleiben Sie außerhalb der Konferenzen mit den Landesverbänden in Kontakt und wie funktioniert der Austausch untereinander?
Schulte-Michaelis: Es ist schwierig, mit allen Landesverbänden gleichermaßen regelmäßig in Kontakt zu bleiben. Sogar die Bundesdelegiertenkonferenz 2020 musste im April ja leider abgesagt bzw. auf 2021 verschoben werden. Ich hatte aber das große Bedürfnis nach einem Gespräch mit den anderen Landesverbänden. So richteten die stellvertretende Vorsitzende Friederike Leithner und ich im Mai und Juli zwei Videokonferenzen aus, die dankbar angenommen wurden.
Die Vertreterinnen und Vertreter einzelnen Landesverbände konnten ihre jeweilige Situation schildern und sich austauschen. Auch die Länderkonferenz hat in diesem Jahr über Video stattgefunden, und für Ende November ist eine vierte digitale Sitzung geplant. Diese Sitzungen wurden von den meisten Landesverbänden auch wahrgenommen, das finde ich sehr erfreulich, auch wegen des regen Austauschs.
Ich hoffe, dass auf diese Weise auch mehr Entwicklungen angestoßen werden können. Es ist ja im Grunde nichts Neues, was wir besprechen, die Probleme sind schon lange bekannt. Ich wünsche mir auch, dass sich durch den intensiveren Kontakt mehr Leute für den DTKV engagieren.
Seit unserer ersten Videokonferenz arbeiten wir an einem Positionspapier zur Zukunft freier Musikberufe während und nach der Coronakrise. Der Landesverband Sachsen hat ein entsprechendes Papier entworfen, und die anderen Landesverbände arbeiten daran.
Es gibt bereits ein Positionspapier des DTKV, aber in dem neuen Papier wollen wir uns auf zwei entscheidende Punkte fokussieren, die derzeit zur Abstimmung stehen: die Anerkennung der kulturellen Leistung in der Gesellschaft und dass freie und öffentlich geförderte Bildungsträger gleichwertig behandelt werden sollen. Damit verbunden sind Themen wie Vertragsgrundlagen und Rahmenbedingungen von Musikunterricht oder auch Scheinselbstständigkeit. Diese Themen wollen wir konkreter angehen, und sie sollten in allen Landesverbänden eine Rolle spielen, auch wenn die Rahmenbedingungen in den einzelnen Ländern unterschiedlich sind.
nmz: Wie bringen Sie Ihre Arbeitsergebnisse in den DTKV als Verband ein?
Schulte-Michaelis: Ich nehme an den Präsidiumssitzungen teil und trage dort die Ergebnisse der Länderkonferenz und unserer sonstigen Konferenzen vor. Und es gibt parallel Bemühungen aus dem Präsidium und aus den Landesverbänden, auch Fragen der Verbandsstruktur anzugehen. Mir persönlich ist es bei diesem Austausch beispielsweise wichtig, den Einfluss der Länder zu stärken, so dass beispielsweise nicht nur in der jährlichen Bundesdelegiertenversammlung Entscheidungen getroffen werden können. Die Landesverbände sollten auch unter dem Jahr zu ihren Bedürfnissen gehört und in Entscheidungen miteinbezogen werden.
Inhaltlich kann ich mir vorstellen, dass wir uns noch stärker auf die bereits genannten Themen, also gesellschaftliche Positionierung und verbesserte Arbeits- und Einkommensbedingungen fokussieren. Landes- und Bundesverbände im DTKV sind ja auch in verschiedenen Gremien der Kulturarbeit auf regionaler und Bundesebene vertreten. Diese Vertreterinnen und Vertreter sollten sich untereinander stärker vernetzen, um an den gemeinsamen Zielen zu arbeiten.
Außerdem dürfen wir die sich verändernde Berufslandschaft – ich denke an niederschwellige Angebote wie Musikvermittlung, Digitalisierung und ähnliches – nicht aus dem Blick verlieren, auch wenn das Bereiche sind, die nicht originär mit dem DTKV in seiner traditionellen Ausrichtung als Vertreter der Hochkultur in Verbindung stehen. Aber auch in diesem erweiterten Berufsfeld sehe ich künftige Vernetzungsmöglichkeiten.

Professionalisierung der Verbandsarbeit

nmz:Wie schätzen Sie die Rolle der Länderkonferenz für den DTKV ein?
Schulte-Michaelis: Ich schätze ihre Rolle als wichtig ein, und ich würde die Bedeutung der Länderkonferenz gern stärken. Hier treffen sich die Landesvorsitzenden, die besonders aktiven Verbandsmitglieder. Die Bundesdelegiertenversammlung ist natürlich ein wichtiges Organ, dessen Bedeutung ich bejahe. Aber die Landesvorsitzenden sind oftmals näher an den Themen und Problemen dran als andere.
Insgesamt müssen wir darauf achten, dass wir in Sachen Verbandsarbeit eine breitere Basis bekommen. Viele Landesverbände gehen auf dem Zahnfleisch, weil sich zu wenige Leute engagieren wollen. Hier tun sich Vorstände und Gremien schwer damit, Unterstützung zu finden. Wenn die Last auf mehrere Schultern verteilt ist, gibt es auch eher die Chance, mögliche Nachfolgerinnen und Nachfolger zu interessieren. Allerdings müssen die dann auch die Möglichkeit erhalten, einzusteigen, sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene.
Ganz allgemein aber ist für den Deutschen Tonkünstlerverband mit seinen knapp 9.000 Mitgliedern eine Professionalisierung der Verbandsarbeit unbedingt notwendig, vor allem auf Bundesebene, denn die anfallenden Ämter und Aufgaben erfordern Expertise, Arbeits- und Zeitaufwand. Das heißt, es braucht personelle Aufstockung, beispielsweise auch für die Geschäftsstelle in Berlin. Denn Lobbyarbeit erfordert Präsenz und Einsatz und den ständigen Austausch mit großen Musikverbänden, etwa dem Verband deutscher Musikschulen (VdM) oder der Deutschen Orchestervereinigung (DOV).
Das kostet natürlich Geld. Ich denke da zum einen an die Mitgliedsbeiträge, zum anderen an mögliche Fördermittel für Projekte, wie sie etwa die Landesarbeitsgemeinschaft kulturelle Bildung in Hessen bezieht. Zwar muss man sich in das Thema Förderung inhaltlich und organisatorisch erst einarbeiten, und höhere Mitgliedsbeiträge sind vor allem in diesen Zeiten denkbar unpopulär, aber ohne finanzielle Investition ist eine Professionalisierung nicht zu leisten.

 

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