„Zwischen Reichtum und Prekarität. Welchen Wohlfahrtsstaat benötigen Künstler/-innen?“ Diese Frage stellten die Universität Kassel und der Friedrich Ebert-Stiftung im Rahmen der documenta Ende Juni in Kassel. Zu Vorträgen und Podiumsdiskussionen über die soziale Lage insbesondere Bildender Künstler/-innen und Musiker/-innen kam ein kleines, aber gut informiertes Publikum.
Unsichere Jobs und schlechte Bezahlung sind Alltag für Künstler“: So ungefähr lautet das (keinesfalls neue) Fazit der Veranstaltung in den Räumen der Universität und der Evangelischen Studentengemeinde Kassel. Nur dass diese Feststellung gleich zu Beginn des Vortrags von Eckhard Priller vom Maecenata Institut für Philanthropie und Zivilgesellschaft fiel, dem Autor einer 2016 veröffentlichten Studie zur wirtschaftlichen und sozialen Situation Bildender Künstlerinnen und Künstler.
Stellenweise prekär
Die Vorträge, Kommentare und Diskussionen kreisten um die Rahmenbedingungen, unter denen Bildende Kunst und Musik entstehen und vermarktet werden. Und auch wenn je nach Sparte der Anteil an Männern und Frauen, an ausschließlich freiberuflich Tätigen und ganz oder partiell Angestellten schwankt – der Bruttoverdienst des überwiegenden Teils von künstlerisch Tätigen ist „ein Witz“ im Vergleich mit dem anderer Selbständiger, so charakterisierte Usa Beer von ver.di die Einkommenssituation in der Branche. Darüber hinaus herrsche nach wie vor die Ansicht, dass Künstler selbst schuld seien an ihrer oft angespannten bis prekären Lage. Die werde aber vor allem verursacht durch das Abschließen von finanziell wenig ergiebigen Einzelverträgen anstelle von Tarifverhandlungen. Und außerdem wirkt sich langjährige finanzielle Not ausgesprochen demotivierend aus. Beer sprach sich für eine verbesserte Informationen künstlerisch Tätiger hinsichtlich ihrer Honorierung sowie Unterstützungsmaßnahmen in Bezug auf Verkauf und Vermarktung aus.
Rolf Bolwin, Vorsitzender des Beirats der Künstlersozialkasse für die Verwerterseite und ehemaliger geschäftsführender Direktor des Deutschen Bühnenvereins, stellte fest, dass in der Kulturwirtschaft das Interesse an der Lage der Künstlerinnen und Künstler sehr gering sei. Stattdessen gibt es hier die Tendenz, soziale Absicherung durch die Künstlersozialkasse immer wieder infrage zu stellen. Die Zahl der unständig Beschäftigten im Bereich der Bühnen sei stark gestiegen, so Bolwin, der als Beleg die Zahl der kurzfristigen Beschäftigungsverhältnisse anführte: Diese haben sich in den letzten 20 Jahren verdreifacht.
Wie unterschiedlich sich das Kunstverständnis in Ost und West entwickelt hat, wurde in der folgenden Podiumsdiskussion klar: In der ehemaligen DDR kamen in der ursprünglich sehr traditionsorientierten Kunstszene im Dienst des Staates alternative Strömungen auf. Nach 1989 dann konnten sich die jüngeren Künstler besser an die Gegebenheiten des marktorientierten Kunstbetriebs anpassen konnten und wurden nachgefragt; die Werke älterer Künstler der ehemaligen DDR dagegen werden heute auf dem internationalen Kunstmarkt eher abgelehnt.
Möglichkeiten, Ansätze, Ideen
So weit die Bestandsaufnahme. Welche Maßnahmen es zur Sicherung von Künstlerinnen und Künstlern im zunehmend ökonomisierten Kulturbetrieb bereits gibt und welche außerdem sinnvoll sein könnten, war Thema des Nachmittags. Sarah Leona Simon, Leiterin der Abteilung Versicherung und Eingriffsverwaltung der Künstlersozialkasse, sprach über die ständig wachsende Zahl an Versicherten, also hauptsächlich freiberuflichen Künstlern, die wie Angestellte die Hälfte der Sozialversicherungsbeiträge entrichten; die andere Hälfte wird aus der Künstlersozialabgabe auf Honorare freiberuflicher Künstler und dem Bundeszuschuss finanziert.
Simon stellte dabei klar: Auch wenn die ausgeweitete Prüftätigkeit auf Künstlersozialabgabe eine wesentlich höhere Zahl an abgabepflichtigen Unternehmen zum Ergebnis hat – und damit neben mehr Einnahmen auch mehr Abgabegerechtigkeit –, sei die Finanzierung der Künstlersozialversicherung künftig möglicherweise nicht mehr in der bisherigen Form gewährleistet. Eine Möglichkeit, den Abgabesatz nicht zu stark steigen zu lassen, könnte beispielsweise die Erhöhung des Bundeszuschusses sein. Die Parteien, dies dieses Jahr zur Wahl stehen, meiden dieses Thema allerdings weitgehend, auch wenn sie sich überwiegend für den Erhalt und die Stärkung der Künstlersozialkasse aussprechen, so Simon.
Hinzu kommt, wie die Politikwissenschaftlerin Carroll Haak kritisierte, dass aus niedrigen Beiträgen keine ausreichenden Rentenanwartschaften entstehen. Urs Johnen von der Union Deutscher Jazzmusiker legte neben einer Studie zum Einkommen von Jazzmusiker/-innen auch einen Forderungskatalog der Allianz der Freien Künste vor: etwa Ausbau und Förderung von Spielstätten, die Reduzierung prekärer Arbeitsverhältnisse in der Lehre oder die Verbesserung der Arbeitsmarktkompetenz von Absolvent/-innen der Musikhochschulen.
In die gleiche Richtung gingen die Vorschläge von Andreas Lübbers, der in der abschließenden Podiumsdiskussion für die Initiative art but fair sprach: Lübbers setzte sich vor allem Mindesthonorare für Musiker/-innen ein und insgesamt – angesichts allgemein relativ niedriger Löhne und Gehälter – für eine stärkere Umverteilung des Einkommens; dies sei auch im Sinn der Wirtschaft. Der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen, wie sie Enno Schmidt erhob, Mitbegründer der gleichnamigen Schweizer Initiative, mochte sich Lübbers nicht anschließen; das sei hierzulande nicht realistisch. Auch Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, plädierte stattdessen für eine umfassendere soziale Sicherung, die nicht vom jeweiligen Einkommen abhängen dürfe. Und Eckhard Prill sprach sich für eine stärkere Lobbyarbeit aus, durch die Künstlerinnen und Künstler ihre bildungspolitischen Interessen vertreten und durchsetzen könnten; dies gelte insbesondere im Bereich der Schulbildung, also der künstlerischen Unterrichtsfächer.
Klar wurde: Sollten sich Künstlerinnen und Künstler jemals im Elfenbeinturm befunden haben, der ihnen als Aufenthaltsort immer noch gern nachgesagt wird – den es aber ohnehin immer nur für einen kleinen Kreis gab –, haben sie ihn längst verlassen und sind in der Realität der Kultur- und Kreativwirtschaft und des Marktes angekommen, in der praktischen Ausübung wie in der Lehre. Die Kunstszene braucht aber auch künftig verstärkt (Nach-)Schulung in Sachen Platzierung auf dem Arbeitsmarkt sowie Lobby- und Verbandsarbeit, in den Ländern, aber auch beim Bund. Nur so können realistische neue Ideen wie die in Kassel zum Teil angedachten verbreitet und umgesetzt werden. Denn von der brotlosen Kunst redet eher gern, wer sich damit schmückt, nicht unbedingt, wer sie schafft.