Beim Musikmachen geht es ums Zusammenbringen von Menschen – diese simple und doch so weitreichende Erkenntnis stand vor zwanzig Jahren Pate, als sich zwölf Cellistinnen und Cellisten zusammenfanden, um einen gemeinsamen Klang zu kultivieren.

Foto: Heinrich Brinkmöller-Becker
Menschen und Orte verbinden
Was damals als lokale Initiative begann, sollte sich als Keimzelle für etwas viel Größeres erweisen: Die Gründung dieses Ensembles war gleichzeitig die Geburtsstunde eines Festivals, und das hat sich aus bescheidenen Anfängen in zwei Kirchen des beschaulichen Ortes Opherdicke zu einem kulturellen Organismus entwickelt, der heute die gesamte Region im östlichen Nordrhein-Westfalen durchdringt und belebt. Die 12 Hellweger Cellist*innen verkörpern dabei bis heute die Kernphilosophie des Festivals: kulturen- und nationenübergreifende Toleranz. Die aktuelle Besetzung unter der Leitung von Felicitas Stephan vereint Musikerinnen und Musiker aus Brasilien, Chile, der Ukraine, China, Griechenland, Österreich und Deutschland. Mal mehr ein Chor als ein instrumentales Orchester, dann wieder eine pulsierende Band, wenn südamerikanische Rhythmen das Publikum betören, wenn 12 Celli so vielgestaltig aufspielen, dann ist dies nicht umsonst der Publikumsmagnet des Festivals. Das Festival ist dabei in den letzten 20 Jahren immer weitergewachsen. Entlang des historischen Hellwegs, dieser uralten Handelsroute zwischen Bochum, Dortmund und Unna, entfaltet sich heute ein lebendiges Geflecht künstlerischer Interventionen.
Und ja – es zahlt sich auch aus, dass die Intendanz hier auch in den Händen ausübender Musiker liegt: Felicitas Stephan, selbst Cellistin, sowie Uli Bär, Kontrabassist an der Schnittstelle zwischen klassischer Musik und Jazz und ebenfalls bei vielen Konzerten des Celloherbstes aktiv auf der Bühne dabei. Und nicht zu vergessen der Kulturkreis der Unnaer Wirtschaft und das Land NRW, die dies alles ermöglichen.
Über 200 Cellistinnen und Cellisten, darunter Größen wie Steven Isserlis, Alban Gerhardt, Maria Kliegel und Antonio Meneses, haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten diese Vision mitgetragen und weiterentwickelt. Wenn in einer stillgelegten Fabrikhalle plötzlich Bach erklingt, in einem Autohaus Tango-Rhythmen pulsieren oder auf einem Förderturm zeitgenössische Klangexperimente den industriellen Charakter des Ruhrgebiets neu interpretieren, dann vollzieht sich genau jene Transformation des Alltäglichen, die den besonderen Geist dieses Festivals ausmacht. Regionalität und künstlerische Exzellenz auf internationalem Niveau sind dabei kein Widerspruch. Die Schirmherrschaft Daniel Müller-Schotts seit 2016 fügt dem Festival eine weitere Facette hinzu - seine Interpretation der Bach-Suiten in der Unnaer St. Martin Kirche hatte einmal mehr einen hohen Symbolwert für das Festival.
Auch Paul Gulda, Sohn des legendären Friedrich Gulda, bereicherte die jüngste Festivalausgabe mit einem exklusiven Gastspiel – was auf ein echtes kammermusikalisches Kleinod hinauslaufen sollte. Schuberts Forellenquintett und eine glanzvolle Beethoven-Sternstunde bereiteten einer besonderen Uraufführung den Weg: Die Uraufführung des „Kahlenberger Ländler“ des ICMA-Preisträgers Christoph Ehrenfellner verband viel hintergründigen Humor mit musikalischem Fortschrittsgeist von heute – zeitgenössische Musik darf und kann nämlich auch unterhaltsam sein.
Die Kooperationsfreude beim Celloherbst bringt regelmäßig neue Formate an ungewöhnlichen Spielorten hervor: Im Bochumer Planetarium verschmolz eine weitere Interpretation der „ewigen“ Bach-Solosuite durch den Chilenen Karl Figueroa mit den 360-Grad-Projektionen des Bochumer Fotokünstlers Heinrich Brinkmöller-Becker zu einem wahrhaft „kosmischen“ Gesamtkunstwerk.
Der althergebrachte Klassikbetrieb war gestern – heute trauen sich mutige Grenzgänger*innen neue Erkundungen jenseits irgendwelcher Genregrenzen: Peter Hudler nahm den Arbeitstitel seines Projektes „Cello on Fire“ im Bochumer Kunstmuseum wörtlich. Nein, das Cello brannte nicht wie damals bei Jimi Hendrix die Gitarre, aber Hudlers Improvisationen über das Hendrix-Stück „Little Wing“ feierten auch so schon genug den Moment.
Und ebenfalls im Kunstmuseum Bochum wurde der musikalische Nachwuchs aus der Region mit Pauline Stephan, Cello und Fatjona Maliqi, Klavier mit einem ungewöhnlich berührenden klassischen Sonatenabend präsentiert.
Zum Festivalabschluss brillierte das junge Confringo Klavierquartett. Die vier Musiker*innen aus Deutschland und Serbien widmeten sich dem lange Zeit vergessenen Repertoire des Komponisten Hans Gál mit einer staunenswerten Mischung aus technischer Präzision, interpretatorischer Neugier und emotionaler Tiefe. Das war ein Abschluss voll Finesse und wärmender Spiellust, was sich in einer hinreißenden Schumann-Interpretation fortsetzte.
So viel nur zu einigen Beispielen aus dem Konzertmarathon, der Ende 2024 wieder mit 35 Konzerten in 18 Städten die gesamte Region durchdrungen hat. Die kulturelle Ausstrahlung vom Celloherbst (und von Jazz am Hellweg ebenso) reicht längst über den jeweiligen Veranstaltungszeitraum hinaus. Gerade spielten die 12 Hellweger Cellist*innen schon wieder vor vollen Rängen, diesmal als Auftaktveranstaltung zu den Feierlichkeiten zu „1250 Jahre Westfalen“. Was als Vision von gemeinsamem Musizieren begann, hat hier einen Prozess in Gang gebracht, der eine Region immer wieder neu mit sich selbst bekannt macht.
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