Als Meisterin in der Spielart dieses Instrumentes überzeugte Sigrun Stephan in diesem Konzert allemal. Auf ihrem gerade neu erstandenen Clavichord (ungebunden), Kopie nach Johann Heinrich Silbermann von 1775, gebaut von Matthias Griewisch, fühlte sie sich im Verlaufe des Konzertes stets heimischer und spielte und gestaltete die Werke von J. S. Bach, J. Pachelbel, E. Jacquet de la Guerre, Anna Bon di Venezia, F. Hensel und J. G. Müthel höchst souverän durch ihre magische Interpretation der Stücke, der unglaublichen Vielfalt der Anschlagsmöglichkeiten und der technischen und musikalischen Ausführung der Werke.
Nach alter Sitte begann sie das Konzert mit einem Präludium, welches nicht auf dem Programm stand. Dies diente auch dazu, den Zuhörern die Möglichkeit zu geben, sich mit dem neuen Klang des Instrumentes vertraut zu machen und sich geistig für das Kommende zu sammeln. Danach spielte sie von Johann Sebastian Bach die Toccata in e-Moll. Den ruhigen, fast meditativ zu nennende Beginn spielte Stephan mit größter tonlicher Differenziertheit sowie im weiteren Verlauf des Stückes mit einer hervorragenden musikalische Ausgestaltung, formal verständlich und für den Zuhörer nachvollziehbar strukturiert. Dabei stand immer der musikalisch-klangliche Umgang im Vordergrund, den sie durch die Vielfalt der Anschlagsmöglichkeiten erkennen ließ. Dies zog sich in hoher Qualität durch das gesamte Konzertprogramm hindurch. Mit der Choralpartita „Herzlich tut mich verlangen“ von Johann Pachelbel zeigte sie in faszinierender Weise in den Variationen die dynamischen Möglichkeiten auf diesem Instrument, dabei immer den sehr feinsinnig und musikalischen Ausdruck beizubehalten. Mit Alessandro Scarlatti, der in Italien ein katholischer Opernkomponist war, entführte sie den Zuhörer mit dem Preludio der Toccata VII in die Welt der Oper. Akkorde und Läufe im Wechsel mit hoher Dramatik beherrschen das Stück. Danach ein Adaggio welches eine große formale Zerrissenheit den Satz charakterisiert. Die Folia mit dem eingängigen und bekannten Thema aus dieser Zeit sowie deren Variationen spielte Stephan technisch und musikalisch souverän und mit großer Spielfreude, was auch die Zuhörerschaft mitriss. Im weiteren Verlauf des Konzertes sorgten einige Komponistinnen für ein großes Staunen im Publikum. Gab es wirklich Komponistinnen im Barock oder in der Romantik, die qualitativ vergleichbar gut komponierten, wie ihre „berühmten“ Kollegen? Das Ergebnis präsentierte Stephan sofort und muss mit einem „Ja“ beantwortet werden. Wer kennt schon Elisabeth-Claude Jacquet de la Guerre oder Anna Bon di Venezia? Und doch sind sie zwei sehr berühmte Komponistinnen ihrer Zeit, die von ihrem Beruf als Komponistinnen in ihrer Zeit auch leben konnten. Die eine wirkte in Frankreich und die andere in Italien. Von Jacquet de la Guerre spielte Stephan eine wunderschöne Tocade in F. Jeder gespielte Ton wurde zum Hochgenuss. Eine wunderbare Tongebung in den Läufen, sehr frei interpretiert in der Klanglichkeit und der Ausgestaltung der Tocade. Hier und auch in anderen Stücken brachte sie auch das sogenannte „Beben“ auf der Tastatur zu Gehör. Die beiden weiteren Stücke von Anna Bon di Venezia, das Menuett in F und das Allegro in C betörten durch die Leichtigkeit und schöne Erzählart (des Menuetts) bzw. der gut durchdachten Gliederung (des Allegros) im Vortrag. Das sehr differenzierte Spiel der rechten und linken Hand und der hohen Kunst der Artikulation. Die nächsten beiden Komponistinnen hätte man eher auf einem Klavier erwartet, aber Stephan hatte die Auswahl der Stücke so getroffen, dass es auch möglich war, diese Werke auf dem Clavichord aufzuführen, und so hörte man ein Menuetto von Marie Szymanowska (1789–1831), die auch schon zu ihrer Zeit eine große Berufspianistin war. Ein Stück aus der Romantik, das aber doch ganz anders in den Kompositionsstil dieser Zeit hinein passte. Fanny Hensel komponierte 1821 das Andante in E-Dur, welches ein sehr ausdruckstarkes Stück ist. Anfang und Schluss umringen einen aufregenden und leidenschaftlichen Mittelteil, der dann wieder zur Ruhe kommt und den Zuhörer total in seinen Bann nimmt. Ergreifend und mit allen Ausdrucksmöglichkeiten, die ein Clavichord zur Verfügung hat, wunderschön gespielt.
Sigrun Stephan nahm sich auch die Zeit und unterhielt das Publikum mit vielen Anekdoten über die Komponisten und ihr Leben und versetzte damit die Zuhörer gleich geistig in die Epoche der Komponistinnen und Komponisten.
Zum Abschluss des Konzertes waren noch von Wilhelm Friedemann Bach eine Fantasie a-Moll und eine Polonaise e-Moll zu hören. Die Fantasie ist kompositorisch ein sehr zerrissenes Stück, sei es in der ständig wechselnden Rhythmik oder mit ruhigen oder sehr virtuosen Passagen. Durch den gut strukturierten und klaren Vortrag und die sorgfältig herausgearbeitete und gut hörbare Dynamik konnte jeder Zuhörer der Kompositionsstruktur immer gut folgen und die Stücke wurden zu einem wunderbaren Erlebnis. Die Sonate in F-Dur von Johann Gottfried Müthel bildete der Abschluss des Konzertes. Auch hier konnte Stephan wieder mit ihrer Spielart brillieren. Grundsätzlich behält sie immer die Gesamtstruktur eines Stückes im Auge und kann durch das „Fein-Tuning“ der Finger, auch touché genannt, immer überzeugen. Ein glanzvolles Konzert, was mit viel Beifall vom Publikum belohnt wurde!
Eine Besonderheit konnten die Zuhörer auch noch zum Ende erleben, als die Musikerin bereitwillig den vielen wissbegierigen Zuhörern das Instrument erklärte und auch ausprobieren ließ. Ein einmaliges Erlebnis!