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Musikalisches Identitätsmerkmal unter der Lupe

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Erstes Baglama Symposium in Deutschland
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„Inter- und transkulturelle Praxis im Schnittpunkt Türkei – Berlin – Europa” war das Thema des Ersten Baglama Symposiums in Deutschland, das als 2. Internationales Baglama Symposium veranstaltet wurde, zu dem der Landesmusikrat Berlin e.V. am 14. und 15. September 2013 internationale Gäste an die Universität der Künste Berlin eingeladen hatte. Virtuose Baglama-Spieler, Komponisten, Musikwissenschaftler, Ethnomusikologen und Instrumentallehrer boten einen fundierten Einstieg in einen musiktheoretischen und -praktischen Themenkomplex zum Musikinstrument Baglama.

Das zweitägige Symposium an der UdK, gefördert von der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin, bildete einen Höhepunkt im Jahr des Instrumentes Baglama 2013. Umfassende Präsentationen des Instruments sind zudem eingebettet in das Berliner Kulturleben mit einem über das ganze Jahr 2013 verteilten Rahmenprogramm von Konzerten, Workshops, Meisterkursen, Ausstellungen, universitären und schulischen Aktivitäten zum Dialog der Kulturen. Der Präsident des Landesmusikrates Berlin, Dr. Hubert Kolland, eröffnete das Symposium, begrüßte die zahlreichen Teilnehmer und drückte seine Freude über die große Resonanz dieses Symposiums aus. Sein besonderer Dank galt den Unterstützern und Stiftern, ohne deren Hilfe das ganze Projekt nicht hätte durchgeführt werden können. Weitere Grußworte überbrachten der Präsident der Berliner Universität der Künste, Prof. Martin Rennert, in seiner Eigenschaft als Schirmherr für das Projekt „Baglama – Instrument des Jahres 2013“; der Generalkonsul der Türkei in Berlin, Ahmet Basar Sen; Prof. Adnan Koç vom Staatlichen Konservatorium für Türkische Musik (TMDK) der Technischen Universität Istanbul (ITÜ), einem der Kooperationspartner des Symposiums, sowie Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrates und Vizepräsident des Europäischen Musikrates.

Im Mittelpunkt des ersten Tages stand ganz das Instrument, die „neue und alte Baglama“. In der ersten Sektion führten Doç. Cihangir Terzi & Ögr. Gör. Deniz Günes (ITÜ), in die Klassifikationen der Baglama innerhalb der anatolischen Saz-Familie der Langhalslauten ein, nicht ohne auf die Gefahr von Vereinheitlichungstendenzen hinzuweisen. Sie informierten ausführlich in Tabellenübersichten über Ordnungsprinzipien und mögliche Klassifizierungskategorien – wie Bezeichnungen Längen, Tonumfang oder Stimmungen und bezogen verschiedene Richtungen von Spieltechniken, auch im Zusammenhang mit einzelnen Baglama-Virtuosen mit ein. Ihre Ausführungen veranschaulichten sie an verschiedenen Instrumentenexponaten und durch praktische Hörbeispiele. Die in der Diskussion angemerkte Kritik, es sei zu wenig auf historische Zusammenhänge eingegangen worden, wurde mit der schwierigen Quellensituation begründet. Ögr. Gör. Okan Murat Öztürk, Baskent Universität Ankara, untersuchte den Prozess, den die traditionelle türkische Volksmusik türk halk müzigi und die Baglama aus historisch-politischer Sicht bei der Gründung eines türkischen Nationalstaates einnahm und zeigte mögliche Entstehungen von Ideologien und Identitätsbildungen auf. Mit ihrem Vortrag über die Rolle von Frauen als Baglama-Spielerinnnen bot Ars. Gör. Seval Eroglu (ITÜ) einen Einstieg in einen gender-spezifisch orientierten Forschungszweig unserer Disziplin und in ein generell bisher wenig behandeltes Thema, deren Bearbeitung die Referentin auf eigenen Beobachtungen als Baglama-Spielerin sowie auf handschriftlichen und druckschriftlichen Quellen aufbaute. Der Baglama- Virtuose, Feldforscher und Universitätslehrer Doç. Dr. Erol Parlak (ITÜ ) setzte sich mit verschiedenen Rezeptionsformen von Musik und Transkriptionsmodalitäten von melodischen Strukturen, speziell der Notation von Verzierungen und Nuancen, auseinander und stellte einige seiner Vorschläge zur Diskussion.

Den zweiten Teil des ersten Tages leitete Süleyman Aslan, Instrumentenbauer aus Istanbul, mit seinem Beitrag zu Vergleichen von verschiedenen Bauweisen der Baglama ein. Taner Akyol, Baglama-Virtuose und Komponist aus Berlin, thematisierte unterschiedliche Auffassungen zu Komposition und Komponieren in Bezug auf den Vergleich von europäischer klassischer Musik in verschiedenen Epochen und der Baglama. Ein Workshop beschloss den ersten Tag des Symposiums. Sinan Cem Eroglu & Doç. Dr. Tolgahan Çogulu, beide von der ITÜ, stellten ganz unterschiedliche Neuentwicklungen von Gitarren sowie eine altıtelli (=sechsaitige) baglama vor. Der eine Guitarrentyp, eine bundlose Guitarre, war in dieser Art in der Türkei 1976 von Erkan Ogur eingeführt worden. Der zweite Typ wurde von Tolgahan Çogulu an der ITÜ entwickelt, mit durch einfache Handgriffe verschiebbaren Bünden, sodass damit mikrotonale Werke musiziert werden können. Die Instrumentalisten präsentierten Lieder der traditionellen türkischen Volksmusik und eröffneten mit ihren Bearbeitungen neue faszinierende Klangwelten.

Der Konzertsaal der Berliner Universität der Künste wurde am Abend zur Bühne für die Baglama- und Gitarren- Virtuosen aus Istanbul, begeisternd gefeiert vom Berliner Publikum. Der zweite Tag des Symposiums begann mit einem spontanen Live-Beitrag: Ein in Berlin lebender Sänger aus der Türkei trug sein selbst verfasstes Lied „Bewahre die Schönheit in Dir…“ zur Baglama vor, ein Beispiel transkultureller Praxis mit Bezug zum Tagungsthema.

Die erste Sektion stellte mit drei Vorträgen die Baglama im europäischen Kontext in das Zentrum und brachte Ergebnisse neuester Forschungen. Mit seinem Beitrag zur Geschichte der Baglama in Europa betrat Nevzat Çiftçi M.A., Koordinator des Projektes „Baglama – Instrument des Jahres 2013” beim Landesmusikrat Berlin, mit seinen bis in das 13. Jahrhunderts zurückreichenden umfangreichen Quellenstudien ethnomusikologisches Neuland. Es folgten Beiträge von Hande Saglam, M.A., Universität für Musik und darstellende Kunst Wien und Liselotte Sels, M.A., University College Ghent; sie beleuchteten in zwei Fallbeispielen Musikkulturen von Immigranten- Communites aus der Türkei, in Österreich und Belgien. mit Fragestellungen zur Rolle der Baglama als musikalisches Identitätsmerkmal diverser in Wien lebender türkischer Generationen sowie zur Bedeutung der Baglama im Kontext von Aufführungen türkischer Volksmusik der türkischen Communities im gegenwärtigen Gent. Erfahrungen mit der Baglama an einer deutschen Musikschule brachte Kurt Rudolf Sodemann, Leiter der Musikschule Hürth (NRW) den Teilnehmern näher, schilderte Projekte zur Schaffung von Ausbildungsgängen für die Baglama, berichtete über Aufbauarbeit von Ensembles, die das Baglama-Spiel integrieren. Martin Greve vom Orient-Institut Istanbul und einer der Hauptinitiatoren dieses Symposiums zog einerseits Bilanz über das schon Erreichte, etwa der Stand der Baglama an Musikschulen, zeigte andererseits noch zu bearbeitende Felder für die Baglama auf, wie musikalische Früherziehung, Ausbildung von Musiklehrern. Die weiteren Sektionen widmeten sich dem Baglama-Studium. Prof. Adnan Koç (ITÜ) referierte zum Baglama-Studium am Staatlichen Konservatorium für Türkische Musik an der ITÜ, das sowohl Spiel-Traditionen wiederentdeckt und vermittelt wie auch Innovationen entwickelt. Ali Kazım Akdag, Istanbul, ging in seinem Referat in einer Darstellung des Gesamtbildes auf das Bildungssystem in der Türkei ein. Kemal Dinç, Rotterdam, Baglama-Spieler, -lehrer und Komponist eines Concerto für Baglama, wies auf die große Rolle der traditionellen Musik für die Baglama hin, auf das Repertoire des Archivs des Türkischen Rundfunks (TRT) als Quelle für die Ausbildung an der World Music Academy Codarts, Rotterdam. Joël Betton, Professor für Gitarre an der UdK, und Projektbeauftragter für „Baglama – Instrument des Jahres 2013“, gestaltete seine Ausführungen als Plädoyer, wenn auch mit einigen kritischen Anmerkungen, für die Aufnahme der Baglama in die Ausbildung an Musikhochschulen. Dr. Dorit Klebe (UdK), gab einen Überblick über die Rolle der Baglama und ihre Spielpraxis in Deutschland seit der Einwanderung von Menschen aus der Türkei, im interkulturellen Musikunterricht, in der Lehrerbildung und Überlegungen zur Problematik der Kompatibilität von Transmissionsformen und Methodiken für curriculare Entwürfe im akademischen Bereich, aus pädagogischen und ethnomusikologischen Positionen. Das Symposium hat alle Erwartungen übertroffen, so die einschätzenden Worte von Dr. Hubert Kolland. Hierzu beigetragen hatten differenzierte und hoch qualitative Vorträge, engagierte Diskussionen, die hohe Anzahl von etwa 90 Teilnehmern.

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