In der Reihe „Komponisten in Bayern“ erschien im Auftrag des Tonkünstlerverbandes Bayern e.V. im September 2021 Band 65, der sich auf 248 Seiten Carl Orff (1895–1982) widmet. Neben dem obligatorischeqn wissenschaftlichen Apparat, einem kurzen Vorwort von Herausgeber Franzpeter Messmer und einer zweiseitigen, übersichtlichen Chronik wird Leben und Werk des bayerischen Erfolgskomponisten in elf Aufsätzen von acht verschiedenen Autoren konzentriert beleuchtet.
Der Band entstand in enger Zusammenarbeit mit dem Orff Zentrum München, und so übernimmt auch dessen Direktor, Thomas Rösch, den für die Reihe üblichen, biographischen Teil. Angesichts des langen, aktiven Lebens von Orff ist der Überblick mit 35 Seiten immer noch äußerst kompakt, gleichzeitig enorm informativ. Dabei fällt auf, dass die NS-Zeit – durchaus beabsichtigt und durch neuestes Forschungsmaterial untermauert – einen vielfach breiteren Raum einnimmt als etwa die gesamten Nachkriegsjahre. Da sich die vor ca. 20 Jahren aufgekommenen Fragen um eine – angebliche – Äußerung des Komponisten zur Weißen Rose gegenüber den Entnazifizierungsbehörden im Kontext der Zusammenarbeit mit Kurt Huber aber letztlich dennoch nicht klären lassen, erscheint dieser Abschnitt etwas ermüdend. Als Ergänzung zu den biographischen Notizen dient das hier erneut abgedruckte Interview von Wolfgang Seifert mit Orff aus dem Jahr 1970.
Die übrigen Kapitel befassen sich, der Bedeutung der einzelnen Werkgruppen entsprechend, – von Gattungen kann bei Orff ja wegen der klaren Dominanz des Musiktheaters kaum die Rede sein – mit dem kompositorischen Schaffen. Als dankbar erweist sich – besonders angesichts der gelungenen Wiederbelebung des Opernerstlings Gisei 2010 (!) – Oliver Fraenzkes Beitrag zu den frühen Bühnenwerken und deren musikhistorischen Wurzeln. Gerade Gisei zeigt ja Orffs enorme Begabung lange vor seiner eigentlichen Selbstfindung. Ebenso interessant Bernd Edelmanns fundierter Aufsatz zur Vokalmusik abseits der Bühne: Anhand weniger, umso aufschlussreicherer Notenbeispiele wird der Leser an Orffs Lied- und Chorschaffen bis hin zu den späten Sprechstücken herangeführt; ein viel zu wenig beachtetes Segment. Orffs nur vier Werke umfassende Instrumentalmusik nimmt Theresa Henkel unter die Lupe. So macht die Monografie besonders Lust auch aufs Hören dieser noch wenig bekannten Seiten von Orffs Schaffen – leider vermisst man hier eine Diskographie, denn – abgesehen natürlich von Carmina Burana – ist die keineswegs üppig.
Im Zentrum des Buches stehen selbstverständlich auch hier die Bühnenwerke: mit den Trionfi – zu denen die Carmina Burana gehören – beschäftigen sich Rösch und Tobias Grill. Neben angemessenen Werkbeschreibungen findet sich alles Wichtige über Entstehung und Rezeption. Mit derselben Sorgfalt setzen sich Grill mit dem Baierischen Welttheater (Die Bernauerin, Astutuli …) und Rösch mit den griechischen Tragödien auseinander. Großartig schließlich Röschs Plädoyer für Orffs letztes, abendfüllendes Werk: De temporum fine comoedia. Aus der Sicht des Schauspielers und Theaterwissenschaftlers Johannes Schindlbeck erfährt man Erhellendes über Stilmerkmale des Volksmärchens (Der Mond, Die Kluge).
Manuela Widmer berichtet über die sich wandelnde Konzeption und Verbreitung des Orff-Schulwerks und dessen nicht nachlassendes Potenzial. Leider fehlt hier neben der tiefgehenden pädagogischen Rezeption dieses wichtigen Nährbodens auch für Orffs Kunstmusik eine Beschreibung, um was es eigentlich konkret musikalisch geht. Wenn man nicht mit dem orffschen Schulwerk in Berührung gekommen ist, bleibt dieses dann nach der Lektüre von Widmers Ausführungen weiterhin rätselhaft.
Insgesamt leistet der Band, was intendiert ist: Umfassende Informationen über das Schaffen des Komponisten auf aktuellem Stand, ohne auf Orffs mehrbändige Dokumentation oder die daraus exzerpierten, autobiographischen Erinnerungen zurückgreifen zu müssen. Layout und Lesbarkeit sind exzellent; dazu gibt es jede Menge hochwertiges Bildmaterial.
Buch-Tipp
„Carl Orff“ (Komponisten in Bayern, Band 65). Herausgegeben i. A. des Tonkünstlerverbandes Bayern e.V. im DTKV von Theresa Henkel und Franzpeter Messmer., Allitera Verlag, München 2021 – ISBN 978-3-96233-296-9