Maxi de Buhr-Möllmann macht aus der Not eine Tugend und unterrichtet ihre Schüler während der Ausgangsbeschränkungen nun virtuell. Eine Anleitung zum Aufbau der Medien und Vorteile des digitalen Unterrichts, die für Dozent*innen und Schüler*innen genauso wie für deren Eltern interessant sein dürften, bietet de Buhr-Möllmann auf ihrer Homepage an (www.familienmusik.com). Theresa Henkel (nmz) führte – ebenfalls ganz virtuell – das Interview.
neue musikzeitung: Welche Erfahrungen haben Sie selbst als Dozentin und Teilnehmende an Online-Kursen zu Musik?
Maxi de Buhr-Möllmann: Ich nutze das Internet beruflich eher „konservativ“ zum Schalten von Online-Werbung, zur Veröffentlichung meiner Internetseite und für die E-Mail-Korrespondenz mit meinen Schülern. Da ich den Betreibern von sozialen Netzwerken und so weiter bezüglich Datenschutz nicht ganz über den Weg traue, habe ich bisher soziale Netzwerke wie Facebook, WhatsApp und Co nicht genutzt. Dementsprechend habe ich auch noch nie gezielt nach Online-Angeboten im musikpädagogischen Bereich gesucht und habe deshalb auch keine Erfahrungen damit vorzuweisen, weder als Dozentin noch als Teilnehmerin. Meine Hemmungen bezüglich der Nutzung von Videotelefonie-Tools habe ich allerdings von einem Tag auf den anderen über den Haufen geworfen, als die Ausgangsbeschränkungen in Kraft traten. Mir war klar, dass ich ohne diese meine Schüler für Wochen nicht wiedersehen würde. Ich habe deshalb keine Sekunde gezögert, mir WhatsApp, Skype und zoom auf iPad und Handy zu laden und war glücklich, meine Schüler zu den gewohnten Zeiten treffen zu können, wenn auch nur virtuell. Ich sehe die aktuelle Situation deshalb auch als Gelegenheit, Neues auszuprobieren und die Vorteile der neuen Kommunikationsmöglichkeiten zu entdecken und nutzbar zu machen. Ohne zwingenden Anlass hätte ich mich wahrscheinlich weiterhin davor gedrückt...
Ich kann mich an eine Anfrage erinnern, bei der eine Familie keine Suzuki-Lehrerin der Nähe ihres zirka 100 Kilometer entfernten Wohnorts finden konnte und mich bat, die Kinder online zu unterrichten. Ich habe das damals abgelehnt, da mir völlig uneinschätzbar schien, wie beiden damals Siebenjährigen mit der Bildschirm-Konstellation zurechtkommen würden. Die Familie entschloss sich, die langen Autofahrten auf sich zu nehmen, doch wurde die wöchentliche Fahrerei auf Dauer zu belastend. Angesichts meiner neuesten Erfahrungen hätte ich damals vielleicht doch auf Online-Unterricht umschalten können...
nmz: Welche Stunden bieten Sie online an? Einzel- und Gruppenstunden? Klavier- und Familienmusik?
Buhr-Möllmann: Ich habe lange überlegt, ob es eine Möglichkeit gibt, die Familienmusik-Kurse online weiterzuführen. Der Kurs richtet sich an Kleinkinder von null bis vier Jahre und beinhaltet Elemente wie Bewegung zur Musik, das Spielen von Orff-Instrumenten, Lieder, Reime, Klatschspiele etc. Die Kinder kommen während der Stunde häufig zu mir, sitzen auf meinem Schoß und lassen sich beim Spielen der Instrumente die Hand führen. Da die Jüngsten zum Teil noch nicht sprechen können, läuft ein Großteil der Kommunikation nonverbal anhand von Blicken und Gesten ab. Trotz vielen Hin- und Herüberlegens ist mir keine Möglichkeit eingefallen, wie ich diese komplexe Kommunikation über den Bildschirm hätte bringen sollen. Deshalb pausiert die Familienmusik für die Zeit der Kontaktbeschränkungen. Als kleine Kompensation habe ich den Eltern eine lange Liste mit empfehlenswerten CDs und Downloads geschickt, damit sie die Kinder mit einer altersgemäßen Auswahl an klassischen Musikstücken, Hörspielen, Reimen etc. versorgen können. Außerdem habe ich empfohlen, die zum Kurs gehörende CD anzuhören und mit den Kindern die Gesten und Bewegungen zu machen, die sie aus dem Kurs kennen. Ich denke auch darüber nach, den Eltern Videos zur Verfügung zu stellen, anhand derer sie die Lieder und Gesten mitmachen können.
Den Klavierunterricht biete ich ausschließlich als Einzelunterricht an. Es wäre zwar theoretisch möglich, per Konferenzschaltung mehrere Schüler in einen virtuellen Raum zu bringen. In der Praxis wären aber die eigentlichen Vorteile des Gruppenunterrichts, nämlich das gemeinsame Spiel, aufgrund der Latenz von Onlinekonferenzen nicht nutzbar.
nmz: Wie muss man sich die Stimmung während einer Ihrer Unterrichtsstunden konkret vorstellen?
Buhr-Möllmann: Wir mussten uns alle ein wenig daran gewöhnen, wirklich nur dann zu sprechen und zu spielen, wenn der andere ausgeredet beziehungsweise -gespielt hatte, aber das klappt inzwischen sehr gut. So langsam bemerke ich bei einigen Schülern, dass die Konzentrationsfähigkeit geringer wird, ich vermute, das ist eine Folge von Bewegungsmangel und einer wachsenden Unausgeglichenheit. Ich passe den Unterricht dann dementsprechend an, reite nicht auf Details herum, sondern wechsle häufiger die Aktivität. Ich biete den Schülern zusätzlich zu ihren üblichen Unterrichtsterminen Zusatzstunden an, die zum gemeinsamen Üben nutzen können. Im Moment kommt es mir weniger auf schnelle Fortschritte an als darauf, dass die Kinder am Ball bleiben und eine Abwechslung zum gleichförmigen Tagesablauf haben.
Ein Element des Suzuki-Unterrichts macht sich beim Unterricht am Bildschirm vorteilhaft bemerkbar: Den Schülern kommt zugute, dass sie mit dem Nachahmungsprinzip aufgewachsen sind. Dieses zeichnet sich dadurch aus, dass nonverbale Informationen sehr effizient und ohne den „Umweg“ über das gesprochene Wort vermittelt werden können. Ich kann weitestgehend über verbale Erklärungen verzichten und Aspekte von Handhaltung, Klang, Rhythmus et cetera sehr kompakt vermitteln. Da ich stets an zwei Instrumenten unterrichte, entspricht der „Bildausschnitt“, den ich auf dem Bildschirm sehe, ziemlich exakt dem gewohnten Bild beim Analog-Unterricht. Auch die Schüler sehen mich wie gewohnt von der Seite und aus einer gewissen räumlichen Distanz, genau wie auch im Unterrichtsstudio. Deshalb haben sie unseren neuen gemeinsamen Modus sofort adaptiert, Kinder sind ja geradezu prädestiniert dafür, sich schnell an neue Gegebenheiten anzupassen.
nmz: Welche Rückmeldungen haben Sie bisher von Schülern und Eltern bekommen?
Buhr-Möllmann: Die Familien sind fast ausnahmslos froh, dass der Unterricht weitergehen kann. Alle Eltern geben sich Mühe, den Kindern den Laptop oder das Handy pünktlich aufzubauen, obwohl sie die Geräte zum Teil selbst für das Homeoffice brauchen. Einige haben sich auch schon explizit bedankt, was ich noch nicht einmal erwarten würde, da sie ja einen vertraglichen Anspruch auf die Unterrichtsstunde haben. Mich freut es, dass ich die Eltern ein wenig dabei unterstützen kann den anstrengenden Alltag zu strukturieren. Nur eine Familie fand die Idee eines Online-Unterrichts abwegig und hat das Angebot abgelehnt. In Zeiten, wo alles anders ist, finde ich Konstanten im Leben der Kinder sehr wichtig. Damit alle das Bewusstsein für das Glück im Unglück nicht verlieren, werde ich den Schülern als Ferienbeschäftigung aufgeben, Aufnahmen ihrer besten Stücke zu machen. Damit stellen wir am Ende der Kontaktsperre ein kleines Album zusammen. Beim Hören werden dann alle einen Anlass haben, sich auch an die positiven Seiten der Corona-bedingten Zwangspause zu erinnern!
nmz: Was ist der wichtigste Tipp, den Sie anderen Lehrern zum online Unterrichten geben wollen?
Buhr-Möllmann: Habt lieber kleine als zu große Erwartungen, dann werdet Ihr überrascht sein, wie viel man auch über einen Bildschirm erreichen kann! Passt Eure Prioritäten an und nutzt die Gelegenheit, an Dingen zu arbeiten, die sonst zu kurz kommen. Tonleitern, Kadenzen, Akkorde und andere technischen Elemente lassen sich jetzt hervorragend üben, Musiktheorie und Gehörbildung zu trainieren ist sehr gut möglich. Neue Stücke beizubringen funktioniert besonders effizient mit dem Nachahmungsprinzip: Der Lehrer spielt kleine Abschnitte vor, der Schüler spielt sie nach und lernt sie so gleich auswendig.
Ein Tipp zum Thema Unterrichtsnotizen: Ich mache während der Stunde Notizen, die ich direkt im Anschluss an die Unterrichtsstunde abfotografiere und dann per Mail oder SMS an die Eltern oder den Schüler schicke. Außerdem empfehle ich, per E-Mail ein wenig Kontakt zu den Eltern zu halten, ab und zu eine Empfehlung für einen Konzertmitschnitt auf Youtube oder eine Hörempfehlung zu senden. Eine gute Einstellung ist bestimmt: Ignoriere vorübergehend die Nachteile und freue Dich an den Vorteilen!
nmz: Können Sie sich vorstellen, dieses Konzept des Unterrichtens auch nach den Ausgangsbeschränkungen weiterzuführen? Wenn ja, weshalb?
Buhr-Möllmann: Als Dauerlösung für den regelmäßigen Instrumentalunterricht kann ich mir Online-Unterricht nicht gut vorstellen. Ich würde viele wesentliche Aspekte schmerzlich vermissen, vor allem beim Unterrichten der jüngeren Schüler. Ich unterrichte nach der Suzuki-Methode, meine jüngsten Schüler fangen zum Teil als Vierjährige bei mir an. Bis sie 6 oder 7 Jahre alt sind, ist es häufig notwendig, während der Unterrichtsstunde öfter mal die Position und Aktivität zu wechseln, da die Kleinen nicht 30 Minuten am Stück ruhig auf der Klavierbank sitzen können und sollen. Ich spiele oft kleine Spiele mit den Kindern, um gewisse Fähigkeiten wie Gleichgewicht etcetera zu trainieren. Dabei fungiere ich als Spielpartner oder korrigiere Hand- oder Armhaltung, indem ich das Kind beispielsweise am Arm berühre. Grundsätzlich läuft die Kommunikation mit sehr jungen Kindern sehr stark über nonverbale Kanäle, und die Kinder sind darauf angewiesen, mein Gesicht genau zu sehen und Stimmnuancen wahrzunehmen. Dieses sind die Schwachpunkte der Videokommunikation, zumal, wenn die Kameraposition nicht wechselt und immer nur der gleiche Bildausschnitt zu sehen ist. Dieses sind für mich Gründe, die gegen einen häufigen Einsatz von Videounterricht sprechen. Zudem bin ich grundsätzlich dafür, Vorschulkinder so lange wie möglich vom Bildschirm fernzuhalten und sie stattdessen unmittelbares menschliches Miteinander zu lehren. Das Berufsfeld des Instrumentallehrern bietet die rar gewordene Möglichkeit, Kinder im persönlichen Kontakt grundlegende motorische, musikalische und menschliche Fähigkeiten beizubringen. Das alles wäre beim digitalen Unterricht nur eingeschränkt möglich.
Bei älteren Kindern finde ich den gelegentlichen Einsatz von Teleunterricht weniger bedenklich, solange er die Ausnahme bleibt. Die unmittelbare physische Nähe ist bei älteren Schülern nicht mehr so existenziell wichtig wie bei kleinen. Sobald die Tastennamen bekannt sind und die Konzentrationsfähigkeit ausreicht, sind die Schüler nicht mehr so stark auf meine physische Präsenz angewiesen. Sie finden die richtigen Tasten selber, ihr Körpergefühl und die räumliche Wahrnehmung ist soweit entwickelt, dass sie die Lage sind und Haltung von Armen, Rücken, Kopf selbständig korrigieren können, und sie sind ausreichend fokussiert, um auch komplexe Bewegungsabläufe erfassen und ausführen zu können. Insofern sind ältere Schüler eine Zeitlang mit Online-Unterricht gut bedient. Da uns das Coronavirus aller Voraussicht nach noch lange erhalten bleiben wird, könnte ich mit vorstellen, die Eltern zu bitten, erkältete Kinder in den nächsten Monaten anstatt in meine Unterrichtsstudio lieber vor den Bildschirm zu setzen, damit die Ansteckungsgefahr möglichst gering bleibt. Der Präsenzunterricht ist aber meiner Meinung nach durch nichts zu ersetzen und sollte immer die Hauptunterrichtsform bleiben!