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„Seien Sie offen für Neues und halten Sie die Ohren steif!“

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Wolfgang Fischer im Interview über Chancen des online Unterrichtens
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Wolfgang Fischer leitet den Musikpunkt Nürnberg, eine Musikschule mit 20 Lehrkräften und etwa 300 Schülern. Das Angebot ist groß und reicht von klassischen Streichinstrumenten über Schlagzeug hin zu Gesang, Klavier (klassisch und Jazz) und E-Gitarre, aber auch historischen Instrumenten. Hintergedanke der Gründung im Jahr 2015 war ein ganzheitliches Musikinstitut, und Fischer bezeichnet es auch als eine sehr junge und vielversprechende Schule. Die nmz sprach mit Wolfgang Fischer aufgrund der aktuellen Ausgangsbeschränkungen über Chancen und Konzepte des online Unterrichtens. Das Interview führte Theresa Henkel.

neue musikzeitung: Welche Erfahrungen haben Sie selbst als Dozent und Teilnehmender an Online-Kursen zu Musik?

Wolfgang Fischer: Apps und Tutorials beziehen wir instrumentalbedingt am Musikpunkt Nürnberg schon seit Längerem in unserem Unterricht mit ein. Zum Beispiel gibt es gute Apps zur Gehörbildung, Metronome und Stimmgeräte, die in meinem Unterricht eine sehr wichtige Rolle spielen. Für manche Instrumente gibt es auch gute Tutorials. Was mich persönlich als Teilnehmer betrifft, habe ich wenig Erfahrung mit Tutorials.
Wir wurden alle in diesen Ausnahmezustand hineingeworfen und müssen uns deshalb spätestens jetzt mit der Thematik befassen. Dass die klassische Musik in gewisser Weise eher konservativ eingestellt und besagten Tutorials gegenüber, die es online zu finden gibt, eher skeptisch eingestellt ist, bewahrheitet sich jetzt. Wir hatten zum Beispiel gestern ein Meeting über zoom mit Schlagzeugern, das auch weiterhin wöchentlich (überregional, deutschlandweit) stattfindet, nun aber rein virtuell. Der Tenor dahinter bleibt immer der gleiche: Wir befinden uns derzeit in einer Notfallsituation, aber wir sind sehr erfinderisch und gehen sehr kreativ mit der Situation um.
Für mich ist besonders hervorzuheben, dass der Realunterricht nicht besser und nicht schlechter ist als der online angebotene face-to-face-Unterricht. Das sollte im Hintergrund immer mitschwingen. Beide Formate, Real- und Onlineunterricht, sind anders, aber qualitativ kann man das nicht ersetzen oder gegeneinander aufwiegen. Zum Beispiel fallen bewusste oder unbewusste Soft Skills (Körperwahrnehmung, allgemein soziale Wahrnehmung, Reaktionsvermögen) beim Onlineunterricht völlig weg, machen in meinem Realunterricht aber etwa die Hälfte aus. Außerdem ist gemeinsames Musizieren nicht mehr möglich, da die Latenz einem da ständig in die Quere kommt. Dennoch hat der digitale Unterricht natürlich auch seine Vorteile.

nmz: Welche Unterrichtstypen bietet ihre Musikschule derzeit online an?

Fischer: Unsere 20 Lehrer an der Musikschule gehen alle ihre eigenen Wege und machen ihre eigenen Erfahrungen. Liana Pereira, meine Frau und Dozentin für Violoncello/Viola da Gamba im Musikpunkt Nürnberg, sammelt im Zuge ihrer Dissertation viele Erfahrungen mit Pädagogik. Für sie war grundsätzlich klar, dass dieser face-to-face-Unterricht eine Möglichkeit ist. Aber das kann nicht alles sein, sondern es muss ein Konzept entwickelt werden, das logisch, realisierbar und bewusst ist. Natürlich war uns das auch vor der Pandemie klar.
Beispielsweise arbeitet Pereira ganz neu mit einer Hybridvariante, die so funktioniert: Man hat als Grundlage einen face-to-face-Unterricht, dazu kommen Lehrvideos für ihre Schüler, die sie an ihre Schüler schickt. Sie bekommt dann wiederum Videos von ihren Schülern zurück und korrigiert diese. Als letztes Element dieser Variante bietet sie bei YouTube Livestreams an, die einer offenen Unterrichtsstunde nahekommen.
Vorteil des letzten Moduls ist zum Beispiel, dass die teilnehmenden Schüler mit dem Lehrer zusammenspielen können – ganz unabhängig von der Latenz. Und auch wenn der Lehrer den einzelnen Schüler dabei nicht überprüfen kann, ist dieser Aspekt für uns sehr wertvoll. Das hat uns einige technische Vorbereitung gekostet, aber seit letzter Woche können wir das endlich anbieten. Man kann damit wunderbar Technikübungen vermitteln oder Play alongs machen. Das ist zum Beispiel etwas, das ich selbst auch als etwas enorm Positives aus der ganzen Sache mitnehme und ich kann mir vorstellen, dass das unseren Unterricht grundsätzlich bereichern wird.
Leider geht dabei natürlich die ganze Interaktion zwischen Lehrer und Schüler verloren, aber immerhin können die Schüler über den dazugehörigen Chat ständig Fragen stellen. Übrigens war der letzte Livestream höchst spannend, denn meine Frau hatte ihn öffentlich zugänglich gemacht, so dass plötzlich Zuschauer aus Brasilien, ihrem Heimatland, dabei waren und Fragen stellten. Das ist doch eine wahnsinnige Reichweite, die nur so möglich ist.
In meinem Unterrichtskonzept muss beispielsweise jeder Schüler irgendwann einmal eine kleine Trommel komplett auseinanderbauen und wieder zusammenbauen. Das kann man als Einzel- oder als Gruppenunterricht anbieten, ich stelle mir das aber noch viel schöner über den Livestream-Unterricht vor. Und in diesem Livestream kann man sehr gut auf Detailfragen zum Beispiel zu Schlagzeugspezifika eingehen, die im Realunterricht normalerweise so unterschwellig mitschwingen, aber dann häufig doch nicht explizit behandelt werden.

nmz: Arbeiten Sie nach bestimmten Vorbildern?

Fischer: Da lehne ich mich jetzt mal aus dem Fenster. Für die aktuelle Situation gibt es keine Vorbilder. Beide Formate unterscheiden sich so markant voneinander, dass man verschiedene Arten von Hybrid-Unterricht machen muss.

nmz: Wie schätzen Sie Ihre Schüler vor der Kamera ein? Sind sie dort nervöser oder aufgeregter?

Fischer: Nervös ganz und gar nicht. Ich denke in der heutigen Zeit mit WhatsApp, Snapchat oder facetime sind die Schüler sehr stark daran gewöhnt und es ist für sie einfach so selbstverständlich, sich selbst auf einem Bildschirm zu sehen. Diese Art von Nervosität ist überhaupt nicht da.
Was ich aber festgestellt habe: der digitale Unterricht ist sowohl für Schüler als auch für Lehrer extrem anstrengend. Vom Unterrichtsstoff her bekommt man in 30 Minuten das durch, was man im Realunterricht in 10 Minuten vermitteln könnte, weshalb er von der Kraftverzehrung her wesentlich intensiver ist. Das liegt vor allem daran, dass ich nicht mechanisch eingreifen kann. Jegliche Korrektur muss – mit der entsprechenden Latenz – angesagt werden und der Schüler muss von selbst korrigieren. Das kann zwei, drei oder vier Anläufe dauern, bis die Korrektur gemacht ist. Man spricht auch wesentlich mehr als im Realunterricht, dagegen fällt die Körpersprache komplett weg.

nmz: Welche Rückmeldungen haben Sie bisher von Schülern und Eltern bekommen?

Fischer: Die Reaktionen und Rückmeldungen der Eltern und Schüler sind vor allem mit Dankbarkeit zu bezeichnen. Wir waren erst einmal etwas verdutzt, weil wir ja gar nicht so viel anders machen als vorher.
Unsere Musikschule ist über mehrere, verschiedene Kanäle sehr gut vernetzt und wir stehen in einem starken Austausch, weil immer ein oder zwei von uns direkt am Informationsfluss teilnehmen. Deshalb konnten wir innerhalb weniger Minuten nach Bekanntmachung der Ausgangsbeschränkungen mit unseren Schülern und deren Eltern in Kontakt treten. Das hat die Sache natürlich etwas abgefedert.
nmz: Seit wann bieten Sie das erweiterte Online-Angebot an?
Fischer: Wir haben uns bereits eine Woche vor den Ausgangsbeschränkungen dazu entschieden. Deshalb haben meine Schlagzeugkollegen und ich dann zwei Tage lang Videoaufnahmen gemacht, die wir sukzessive auf YouTube hochladen und häppchenweise an unsere Schüler schicken. Ein besonderer Mehraufwand entstand bei Webcams, E-Schlagzeug und einigen anderen Ausgaben. Das zieht die ganze Sache nun einmal mit sich.

nmz: Was ist der wichtigste Tipp, den Sie anderen Lehrern geben wollen, die online unterrichten möchten?

Fischer: Versucht alles an Onlinemöglichkeiten auszunutzen und auszuprobieren, denn möglicherweise bereichert die ein oder andere Möglichkeit euren Unterricht auch nach der Pandemie. Livestreams beziehe ich persönlich mit Sicherheit auch nach der Pandemie in meinen Unterricht mit ein, weshalb ich diese allen ans Herz legen möchte.
Vor kurzem habe ich bei Facebook sogar gelesen, dass ein Lehrer so begeistert vom online Unterrichten sei, dass er vielleicht komplett darauf umsteigen würde. Ich persönlich kann das nicht teilen, aber das sei ihm vergönnt. Wenn es für ihn funktioniert, dann ist das ja toll. Er hat für sich offenbar etwas Positives herausgezogen und das ist ja das Wichtigste.
Der zweite Tipp, den ich an alle Lehrer geben will: Gebt euren Schülern das Gefühl, dass ihr für sie da seid und dass ihr euch bemüht, mit der Situation umzugehen. Es ist derzeit keinesfalls leicht, und ich selbst habe auch schon drei Kündigungen bekommen. Zwar waren das vorher auch schon wackelige Schüler, aber nachdem diese kurz vor der Privatinsolvenz stehen, setzen wir bis September erst einmal aus – auch wenn die Kündigung in solchen Umständen normalerweise nicht möglich wäre. Insgesamt gab es nur ganz wenige Beschwerden, denn die meisten sind verständnisvoll und solidarisch. Das liegt in unserem Fall vielleicht auch daran, dass wir unsere Onlineangebote bereits eine Woche vor Beginn der Ausgangsbeschränkungen gestartet haben.
In unserer Musikschule sind alle im Sinne einer Dachorganisation selbstständig tätig. Das heißt jeder Lehrer ist bei uns für seinen Schülerstamm selbst verantwortlich. Wir alle mit unseren unterschiedlichen Schülerkonstellationen können jedoch die Erfahrung weitergeben, dass man Unterricht so machen kann. Es funktioniert einfach! Das möchte ich allen Lehrkräften und Dozenten mitgeben. Die Schüler danken es einem.

nmz: Welchen Anbieter würden Sie besonders empfehlen?

Fischer: Über zoom beispielsweise gibt es die Möglichkeit der Aufnahme, oder wenn man technisch etwas versiert ist, kann man einerseits sein Instrument filmen und daneben ein Notenblatt. Die Teilnehmer können dann die Aufnahme starten und dabei simultan das Notenblatt und den Lehrer mit Instrument sehen. Das geht im Realunterricht auch, ist aber wesentlich komplizierter.
Zoom ist für mich überhaupt, da es auch ohne Anmeldung funktioniert, die ganz große Empfehlung für On­lineunterricht. Prinzipiell ist die Sache mit dem Datenschutz bei zoom an sich allerdings etwas schwierig, da deren Server in den USA stehen.
Bezüglich des Datenschutzgesetzes hat der VdM an manchen Musikschulen von seinen Eltern/Schülern per Unterschrift die Erlaubnisse für den Online-Unterricht mit den Schülern eingeholt.

nmz: Welche Hürden bzgl. Datenschutz und AGB sind denn zu erwarten?

Fischer: Als Dozent kann man bei Skype ganz schnell in Zugzwang geraten, indem man seine Schüler dazu überredet, sich Skype (oder eine andere Strea­mingsoftware) – privat oder nicht spielt hier keine Rolle – herunterzuladen. Da man selbst der Dienstleister ist, muss man nach Ende des digitalen Unterrichts beim Anbieter dafür Sorge tragen, dass alle Daten des Schülers wieder gelöscht werden. Ganz zu schweigen davon, dass die AGB von Skype verbieten, dass Dienstleistungsangebote von gewerblichen Dienstleistern über ihr System laufen dürfen – das betrifft ja etwa 80 Prozent der Musiklehrer.
Gleichzeitig lautet die Empfehlung von einigen Informatikinstituten bay­erischer Hochschulen hinsichtlich Datenschutzgesetze allerdings auch, dass man möglichst alle Kanäle nutzen soll. Vorrangig muss in der Krise die Lehre sichergestellt werden. Datenschutzbedenken sind in dieser Ausnahmesituation nachrangig. Ich habe mich mit einigen Professor*innen unterhalten, und alle sind der Meinung, dass man mit allem irgendwie weitermachen sollte, was funktioniert.
Außerdem ist es sinnvoll, mehrere – mindestens drei – Streamingdienste gleichzeitig verfügbar zu haben, falls einer überlastungsbedingt einmal zusammenbrechen sollte. Das ist beispielsweise bei Skype gar nicht so unwahrscheinlich, da diese ihre Serverkapazitäten in naher Zukunft offenbar nicht hochstocken werden. Deshalb leidet jetzt schon massiv die Videoqualität darunter.
Das ist für uns alle eine schwere Zeit, ganz klar. Alles in allem erscheint mir aber am Wichtigsten: Seien Sie offen für Neues und halten Sie die Ohren steif!

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