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Streichquartett-Abend im Berliner Konzerthaus

Untertitel
Studio Neue Musik im Werner-Otto-Saal
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Mit Streichquartettwerken der Berliner Komponisten Susanne Stelzenbach, Charlotte Seither und Gabriel Iranyi , sowie dem Streichquintett des seit 1981 in der Pfalz lebenden Prof. Peter Michael Braun, gestaltete sich im neuen Kammersaal des Konzerthauses Berlin vor fachkundigem Publikum ein äußerst interessanter Abend mit zeitgenössischer Musik.

Mit Biliana Voutchkova (Violine), Ayumi Paul (Violine), Yodfat Miron (Viola), Andreas Voss (Violoncello) haben sich renommierte Musiker zum „Studio NM Quartett“ zusammengefunden, die qualitativ kaum Wünsche offen lassen.

Biliana Voutchkova interpretiert, komponiert und improvisiert vor allem im Bereich der Neuen Musik und in experimentellen Klang- und BewegungsProjekten. Sie war bereits weltweit auf zahlreichen Festivals zu hören.

Ayumi Paul arbeitet mit Komponisten, bildenden Künstlern und Musikern unterschiedlichster Genres zusammen. Sie ist klassisch ausgebildete Violinistin und konzertiert auf Festivals vieler Länder.

Die Bratschistin Yodfat Miron entstammt einer israelisch- jemenitischen Musikerfamilie. Sie studierte Bratsche in Tel Aviv und Berlin und war Stipendiatin der America-Israel Foundation. Mit dem 2003 von ihr gegründeten Miron Quartett gastiert sie regelmäßig bei internationalen Festivals.

Andreas Voss studierte Violoncello in Berlin und Boston. Als Cellist im Abraxas Streichquartett arbeitete er mit Prof. Eberhard Feltz und in Meisterkursen etwa mit Thomas Kakuska, Hariolf Schlichtig und Mitgliedern des Vogler Quartetts. Susanne Stelzenbachs Quartett „Haut“ (2007) zeigt auch im frühesten Streichquartett der Komponistin die offene und ebenfalls kritische Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten des Klanges. Schroffe und weiche Töne wechseln mit Bogengeräuschen, Klopfen und Zischen. Weitere dramaturgische Gestaltung: am Ende des Stückes schreiben die Spieler je einen Buchstaben des Wortes „Haut“ mit dem Bogen in die Luft. Im- Programmheft wird erläutert (Dr. Taggatz ): „Im Zentrum des Interesses des über weite Teile homophonen Werks stehen Klangaufspaltungen, Klangerweiterungen und unscharfe Überlagerungen von Klangschichten. Erreicht wird die von der Idee einer ‚musique concrète instrumentale‘ beeinflussten Klangwelt durch besondere Spieltechniken wie etwa col legno battuto auf dem Saitenhalter, Bartók-Pizzicati, perkussive Aktionen auf dem Korpus, durch hohen Bogendruck erzeugte Knirschgeräusche, Anstreichen der Zarge, Pizzicati hinter dem Steg, (zusammen) mit der Stimme hervorgebrachte Zischlaute. In diesen Abschnitten kommt das Werk der Klangwelt der elektroakustischen Kompositionen Susanne Stelzenbachs sehr nahe. Motivische Arbeit im herkömmlichen Sinne findet kaum statt. Abschnitte mit unisono repetierten Staccato-Tönen werden immer wieder unterbrochen von Glissandi in einzelnen Stimmen oder von Zweiunddreißigstel-Arpeggien. Der Versuch motivischen Aufbaus bleibt Versuch, die Gestalten werden durch Einbrüche des Geräuschhaften unterbrochen, Gestaltung damit verhindert. Kommunikation – meines Erachtens ein zentrales Thema in der Arbeit Susanne Stelzenbachs – kommt letztlich doch auch in diesem Werk zur Geltung: Die Darstellung von Kommunikation als gescheiterer. Nach dem (absichtsvollen) Fehlschlag klanglicher Interaktion bleibt – als Sinnbild der Vereinzelung – die gestische Aktion…“

Die Komposition „Corps Croisé“ von Carlotte Seither für Streichquartett (2002) entstand als Auftragswerk der Biennale Hannover für eine Reihe der späten Beethoven-Streichquartette, deren Opus 130 mit Großer Fuge ein Uraufführungswerk gegenübergestellt werden sollte. Hierzu schreibt die Komponistin: „Die Last, der maßlose ‚Überschatten‘ dieses Werkes, war so erdrückend, dass ich mich ganz von dem Stück zu lösen versuchte und mich der übergeordneten Aufspaltung des Materials widmete. Indem Übergänge von einem Grad zum andern hergestellt (oder vermieden) werden, indem verschiedene Grade zur selben Zeit anwesend, im Entstehen oder Sich-Auflösen sind, setzte sich die Form in Fluss und findet im Vorgang des Dissoziierens selbst ihr Thema. Der Titel bedeutet ‚in sich verschlungener/verkreuzter Körper‘ und bezieht sich auf die unterschiedlichen Ebenen der vier Stimmen, auf denen die vier Stimmen miteinander kommunizieren.“ Ein für den Zuhörer sehr spannendes Stück, dass im nahezu fortwährenden pp zum genauen Zuhören zwingt, um die „Kreuzungen“ der diversen Klänge zu deuten.

Gabriel Iranyis Streichquartett No. 4 ist, wie die meisten Werke des promovierten Komponisten streng und komplex angelegt. Es erklingt eine scheinbar neue Form kontrapunktischer Strukturen, die jedoch jederzeit aufbrechen können und sich ebenso nahtlos wieder schließen.

Iranyi selbst sagt zu seinem fünfsätzigen Quartett: „Ich habe das Streichquartett No. 4 „...Innenräume, Verwebungen...“ 2012 im Auftrag des renommierten Hugo Wolf Quartetts Wien komponiert. Der Untertitel dieses fünfsätzigen, komplexen Werkes bezieht sich einerseits auf die subjektiven, emotionalen ‚Innenräume‘ und deren nach Innen gekehrten Expressivität, während die ‚Verwebungen‘ die changierenden Texturen beleuchten. Die fünf Sätze reihen sich nach Umwandlung- und Kontrast-Kriterien, wobei die Wachstumsprozesse und das Multiplizieren von kleinsten Strukturelementen eine sehr wichtige Rolle spielen. Die heutige Aufführung ist die deutsche Erstaufführung dieses Werkes.“

Im Mittelpunkt des Konzertabends stand die Uraufführung zweier Sätze des Streich-Quintetts von Peter Michael Braun (geb. 1936), der als Gast- Komponist im Berliner Konzerthaus zu seinem 80. Geburtstag mit der Interpretation seines 2006 bis 2008 komponierten Werkes geehrt wurde. Prof. Braun war Stipendiat der Studienstiftung des Deutschen Volkes. Seine Werke wurden mehrfach bei Festivals in Darmstadt, Donaueschingen und Warschau aufgeführt. Er erhielt mehrere Kompositionspreise, das Jahresstipendium der Stadt Köln sowie Studienaufenthalte in der Villa Massimo Rom und der Cité Internationale des Arts Paris. 1978 bis 2001 wirkte er als Professor für Komposition und Musiktheorie an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Heidelberg-Mannheim.

Aus dem Werk „Evolution“ spielte das Studio NM Quartett mit dem Kontrabassisten Matthias Bauer die Sätze I. Largo und V. Grazioso. Zur Ethik und Ästhetik schreibt der Komponist: „Anarchie, Chaotik und Terror haben einigen historischen Niederschlag in der Kunst des 20. Jahrhunderts gefunden. Zweifellos sind die Tendenzen einer allzu musealen oder primitiven Kultur zu überwinden. Das ist möglich mit einer Musik, die neuartig ist und doch ihre natürlichen Grundlagen kennt. Diese hängen eng mit dem Phänomen der ‚Naturtöne‘ (harmonics) oder Naturtonreihen zusammen. Ein harmonikaler Zugang führt wieder zur genauen Bestimmung von Tönen und ihren Wechselbeziehungen, die in der „atonalen“ Musik vernachlässigt wurden, aber nachweislich im menschlichen (Er-)Leben verankert sind. So ist Melodik und Harmonik von neuer Aussagekraft möglich, lassen sich rhythmische Formung und Form in analoge sinnvolle Bahnen lenken, was auch zur Überwindung von Problemen der Rezeption beitragen kann.“

„Mit ‚Evolution‘ ist eine positive Weiterentwicklung gemeint im Gegensatz zu einer nivellierenden Entropie. Es geht um eine mehr spirituelle als materielle Orientierung. Die Verwendung von Ober- und Untertönen basiert auf Zahlen in ihrer seit langem bekannten geistigen Bedeutung. Damit diese nacherlebt werden kann, werden im ersten Satz und im Finale Achtel- und Vierteltöne verwendet.“ Mit dieser kaleidoskopische Klangwelt sowie dem Anklang an verschiedene Stilformen sowie harmonischen und dissonanten Strömungen entstand überzeugende Ruhe in Bewegung. Eine große Bereicherung war die Anwesenheit nahezu aller Komponisten und die authentischen Kommentare im Programmheft, die wesentlich zum Verständnis der unterschiedlichen zeitgenössischen Ausdrucksformen beitrugen. Ein erlebnisreicher Abend mit viel Qualität und interessanten Neuheiten aus der Welt des Streicherklanges.

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