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Das CD-Cover zeigt ein Schwarz-Weiß-Bild einer kleinen Inseldüne.
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Verdienter Weg ins Repertoire

Untertitel
Fantastische Wiederentdeckungen für Violoncello solo von Julius Berger
Vorspann / Teaser

Der Augsburger Cellist Julius Berger widmet sich auf seiner neuen CD einer Reihe von Werken für Solocello, die sämtlich zwischen 1910 und 1922 entstanden – darunter drei gewichtige Ersteinspielungen. Nach bald 200 Jahren hatten die hier vorgestellten Komponisten überhaupt erst wieder damit begonnen, umfangreichere konzerttaugliche Stücke für Violoncello alleine zu erschaffen, nachdem zuvor hauptsächlich Etüdenliteratur für unbegleitete Streicher vorherrschte. Bei Bergers Stückauswahl ist selbstverständlich die Reverenz vor Bachs Solosuiten deutlich spürbar, doch sind diese Bezüge in eine jeweils höchstindividuelle Klangsprache integriert, welche die unterschiedlichen Persönlichkeiten charakteristisch widerspiegelt.

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Am bekanntesten davon dürfte sicherlich Max Regers Suite Nr. 2 d-Moll op. 131c sein, das düsterste der drei Werke unter dieser Opuszahl. Nicht nur der unter der Oberfläche als Allusion gut versteckte Bach-Choral „Wenn ich einmal soll scheiden“ ist ein Dokument höchster Verunsicherung, eingebettet in bekannte Formen. Berger spielt dies mit Empathie, klanglich – insbesondere dynamisch – enorm differenziert, mit überragender Intonation und stets atmender, natürlicher Phrasierung, jedoch ebenso dramatisch zupackend, wo nötig.

Donald Francis Tovey (1875-1940) ist heute mehr ein Begriff für Musikwissenschaftler als fürs Konzertpublikum. Casals’ Bewunderung für den Komponisten versteht man sofort, wenn man die gewaltige, allein 20-minütige Passacaglia aus seiner Solosonate D-Dur op. 30 anhört. Das über weite Strecken konsequent zweistimmige Stück wirkt teilweise wie ein echtes Duo; den satz- und spieltechnisch immensen Anforderungen wird Berger absolut gerecht und bleibt trotz ruhigeren Tempos ungleich spannender als etwa Alice Neary (eingespielt bei Toccata Classics).

Die eigentlichen Überraschungen der randvollen CD folgen mit drei Wiederentdeckungen, denen Berger mit diesen sogleich maßstabsetzenden Darbietungen hoffentlich bald den verdienten Weg ins Repertoire ebnen wird: Adolf Buschs (1891-1952) Suite op. 8a von 1914 ist ein Musterbeispiel für dessen hochentwickelte Kammermusik, deren Bedeutung bislang weit unterschätzt wird. Die klar ausgerichtete Emotionalität und Formvollendung zeigt sich vor allem in den Sätzen II und IV (Scherzo; Tarantelle), ebenso bei „Präludium & Fuge d-moll op. 8b“ – nicht nur handwerklich großartig. Höhepunkt der Veröffentlichung dürfte aber die 7-sätzige Suite h-Moll op. 32, Nr. 2 (1921) des Schweizers Walter Courvoisier (1875-1931) sein, der nach dem Medizinstudium Schüler von Ludwig Thuille in München, später selbst dort erfolgreicher Lehrer wurde.

Berger hat das vergessene, wirklich in jeder Sekunde hinreißende Werk erst Ende 2022 öffentlich uraufgeführt; die Aufnahme entstand schon im März. Man spürt seine Begeisterung für diese intelligente, abwechslungsreiche und ehrliche Musik, die sich unmittelbar auf den Hörer überträgt: was für eine Entdeckung und willkommene Bereicherung der Celloliteratur! Aufnahmetechnisch ist das Ganze erstklassig, Bergers über 20-seitiger Booklettext mehr als vorbildlich.

Martin Blaumeiser

„Soldanella“ – Solomusik für Violoncello (Reger, Tovey, A. Busch, Courvoisier);

Julius Berger, Violoncello

Wergo WER 7409 2 (2023)

EAN 4 010228 740929

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