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Vertrauensschutz für die Zeit vor Herrenberg?

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Das Bundessozialgericht hat entschieden
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Am 5. November 2024 hat das Bundessozialgericht (B 12 BA 3/23 R) in einem Statusverfahren bezüglich einer Lehrkraft an einer Volkshochschule auch zu der Frage Stellung genommen, ob die Rechtsprechung zu abhängiger Beschäftigung beziehungsweise freiberuflicher Tätigkeit vor dem Herrenberg-Urteil vom 28.06.2022 dazu führt, dass Vertrauensschutz dahingehend besteht, dass Nachforderungen von Sozialversicherungsbeiträgen für die Zeit vor Verkündung des Urteils ausgeschlossen sind.

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Darauf hatten sicherlich viele Musikschulen gehofft, da klar sein dürfte, dass viele, vor allem private, schließen müssen, wenn Betriebsprüfungen flächendeckend für die Vergangenheit nach den Kriterien aus dem Herrenberg-Urteil durchgeführt werden und sich daraus immense Nachforderungen von Sozialversicherungsbeiträgen ergeben. Das würde einen kaum wieder gut zu machenden Schaden für die Kultur in Deutschland bedeuten.

Andererseits ist aber auch klar, dass die Honorartätigkeit an Musikschulen nicht etwa wegen damit verbundener größerer Freiheiten der Lehrkraft, sondern in allererster Linie wegen niedrigerer Honorare so überhandgenommen hatte. Davor und vor der damit verbundenen Armutsfalle gilt es in erster Linie, Lehrkräfte zu bewahren.

Das Bundessozialgericht hat mit Urteil vom 5. November 2024 entschieden, dass der klagenden Musikschule kein Vertrauensschutz zusteht, wobei zu berücksichtigen ist, dass es im Streitfall nicht um eine Betriebsprüfung, sondern ein Statusfeststellungsverfahren bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund ging.

Zwar liegen die schriftlichen Urteilsgründe noch nicht vor, dem Terminbericht des Bundessozialgerichts lassen sich aber bereits die entscheidenden Aspekte entnehmen.

So betont das Bundessozialgericht, dass gerade keine gefestigte und langjährige Rechtsprechung bestehe, wonach eine Lehrtätigkeit bei entsprechender Vereinbarung stets als selbständig anzusehen sei. Dem stehe auch bereits entgegen, dass es sich bei Statusentscheidungen stets um Einzelfall­entscheidungen handle. Ferner schließe der Schutzzweck der Sozialversicherung es aus, über die rechtliche Einordnung eines Vertragsverhältnisses allein nach dem Willen der Vertragsparteien zu entscheiden. Soweit sich in unterschiedlichen Entscheidungen des Bundessozialgerichts (hier stehen sicherlich vor allem Ahaus und Herrenberg im Mittelpunkt) teils unterschiedliche Betrachtungsweisen und Bewertungen finden, handele es sich nicht etwa „um eine grundlegende Neuorientierung, sondern um eine dynamische Fortentwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Typusbegriff der Beschäftigung“.

Die Ausführungen des Bundessozialgerichts dürften entsprechend auch gegenüber Nachforderungen aus etwaigen Betriebsprüfungen gelten. Zwar können hier im Einzelfall Anträge der betroffenen Musikschule auf Stundung oder Niederschlagung der Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen in Betracht kommen (§ 86b SGG bzw. § 76 Abs. 2 SGB IV), wenn sonst die Insolvenz droht. Flächendeckend kann indessen nur die Politik helfen, und zwar nicht etwa, um die Lehrkräfte zu schützen, die durch abhängige Beschäftigungen sicherlich besser geschützt sind, sondern um Musikschulen flächendeckend vor einer Insolvenz zu bewahren.

Freilich: Wenn Honorarverträge nach dem Herrenberg-Urteil, also nach Juni 2022, die darin aufgestellten Kriterien nicht berücksichtigen, besteht, abgesehen von einer festzulegenden Übergangsfrist, auch aus politischer Sicht kein Schutzbedürfnis für Auftraggeber.  

Was aber – entgegen vieler Unkenrufe – immer noch möglich ist, ist eine selbständige Lehrtätigkeit bei entsprechenden unternehmerischen Chancen und Risiken und wenn die Kriterien für Weisungsgebundenheit und Eingliederung nicht vorliegen. Hier ist nach wie vor der Einzelfall entscheidend.

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