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Eine Violinistin mit schwarzen Haaren in einem langen schwarzen Kleid steht leicht versetzt vor einer Pianistin. Beide auf einer leicht erhöhten hölzernen Bühne unter einer niedrigen Decke.

Anna Kakutia und Masha Dimitrieva, ein Traumduett. Foto: Nicolas Zanner

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Verwandte Seelen

Untertitel
Zu einem Konzert mit Anna Kakutia und Masha Dimitrieva
Vorspann / Teaser

Ein beeindruckendes Programm mit modernen und zeitgenössischen Komponisten bieten die Violinistin Anna Kakutia und die Pianistin Masha Dimitrieva am 30. September 2024 im Münchner Rubinsteinsaal: Peter Kiesewetter, Oliver Fraenzke, Dan Turcanu, Enjott Schneider, Philipp Jarnach, Gordon Sherwood und Igor Loboda.

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Seelenverwandte“ lautete der Titel dieses mitreißenden Kammermusikabends im Musik-Forum des Tonkünstlerverbandes München und lässt erahnen, dass jeder heute gespielte Komponist in ganz besonderer Verbindung zu den beiden Interpretinnen des Abends steht. Die tiefe Zuneigung zu den Komponisten und auch ihrer Musik erhebt das Konzert zum Herzensprojekt und verleiht eine ganz persönliche Note, die in jedem Ton mitschwingt.

Es begann mit Fünf Bagatellen op. 77/3 von Peter Kiesewetter, mit dem Anna Kakutia vor dessen Tod 2012 eng zusammenarbeitete und nun mit seiner Witwe musiziert. Bei den Bagatellen handelt es sich um kurze, teils ernste, teils verschmitzte Karikaturen voller energischer Wechsel und gekonnter Effekte, die trotz der aphoristischen Kürze ein aufmerksames Hören verlangen, um ihren Kern zu erfassen – doch diese Mühe wird entlohnt durch geballte musikalische Substanz.

Es folgen zwei Werke von Oliver Fraenzke, welcher die Zusammenarbeit zwischen Anna Kakutia und Masha Dimitrieva vorschlug und initiierte. Beide Kompositionen wurden den Musikerinnen des Abends auf die Hände geschrieben und 2023 in Eichstätt von ihnen uraufgeführt. Die frappierende Bildlichkeit der „Märchenbilder“ für Vio­line solo beeindruckt ebenso wie die gelungenen Wechsel zwischen ganz unterschiedlichen musikalischen Metiers: zwischen neoklassizistischer Frische im ouvertürenhaften „Es war einmal“ zu gespenstisch mäandernder Freitonalität „Im verwunschenen Wald“, von volkstümlicher Bitterkeit zu chromatisch geladenem Witz. Besonders aufhorchen ließ, als plötzlich die Bilder begannen, sich ineinander zu verweben und eine ganze Geschichte emporschweben zu lassen, welche mit doppelbödiger Gewitztheit die stereotypen Charaktere der Märchenwelt verdreht. Ein wahrhaft gekonntes, dabei hoch virtuoses Werk, das hoffentlich bald in seiner Gesamtheit aufgeführt wird.

Laufradrennen

Ebenso von Oliver Fraenzke kommt das Duett „Laufradrennen”, welches in impressionistischer Perligkeit spielende Kinder darstellt, die sich mit ihren Laufrädern immer wieder überholen, auslachen und übertölpeln. Dabei ist es eine virtuose Etüde des Zusammenspiels und wurde phänomenal präzise und mitempfunden umgesetzt.

Die Sonatine von Dan Turcanu wurde ebenfalls 2023 in Eichstätt uraufgeführt und besticht wie zuvor die beiden Werke Fraenzkes durch die Vermengung kindlicher Themen und ernsten musikalischen Anspruchs: Musik für Kinderohren, nicht für Kinderhände. Die Themen, so natürlich der Violine entschwebend, und die eigentümliche, dabei sehr angenehm zu hörende Klavieruntermalung fesseln in jeder Phrase. Mitreißend vor allem das Enescu’eske Finale, ein wilder Volkstanz mit eingängigem Groove und vollendeter Formgestaltung.

Segenssprüche vermittelt „Baraka“ von Enjott Schneider, welches für die beiden Musikerinnen komponiert und an diesem Abend uraufgeführt wurde. Diese Segenssprüche verlas Masha Dimitrieva Überschriften gleich vor den jeweiligen Teilen. Baraka erscheint als vielschichtige und meisterlich ausgeführte Komposition, die durch die sparsamen Harmonien und zarten Melodien zu keiner Zeit Schneiders Herkunft aus der Filmmusik verleugnen: im positivsten Sinne, denn die Musik folgt keinem Film, sondern lässt selbst eine imaginäre Leinwand hinunter und vermittelt jedem Zuhörer die individuell passenden Bilder zu diesen Tönen.

Nach der Pause folgt die Uraufführung der Violinsonate op. 2 Gordon Sherwood, mit dem Masha Dimitrieva bis zu dessen Tod 2013 eng befreundet war. Davor noch die düster aufbegehrende Ballade von Sherwoods Lehrer Philipp Jarnach. Das Werk Sherwoods ist eine voll ausgewachsene, moderne Violinsonate in seinem frühen Stil, trotz gewisser erkennbarer Reverenzen ein bereits durch und durch eigenständiges Werk, das den großen Meister nicht nur erahnen, sondern vollkommen durchscheinen lässt. Dieses komplexe Werk ganz zu durchdringen, bedarf definitiv eines zweiten Hörens: Bitte aufführen und einspielen!

Tiefschürfend

Kompositionen von Igor Loboda beendeten den Konzertabend: Die drei Charakterstücke „Telefongespräch“, „Heiße Hinkali“ und „Don’t worry“ erwiesen sich als lustige Miniaturen voller virtuoser Instrumentalakrobatik, gut als Zugabe geeignet. Tiefschürfend begehrt die Sonata-Fantasia Nr. 2 auf, welche gerade zu Beginn durch den verflochtenen Spannungsaufbau aufhorchen ließ. Hier scheint große melodiöse Erfindungsgabe gepaart mit Gespür für Aufbau und Timing. Die Komponisten dürfen sich glücklich schätzen angesichts zweier solch filigran musizierender, aufeinander eingeschworener und verblüffend inspirierter Musiker­innen wie Anna Kakutia und Masha Dimitrieva – geballte technische Perfektion trifft auf musikalisches Erlebnis. So sehr Superlative mit Vorsicht zu genießen sind, so lässt sich felsenfest vertreten, dass dieses Konzert ein absolutes Highlight im Kalender war.

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