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Was ist eigentlich eine „Karriere“?

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Ein „Lauf ins Ungewisse“ – oder welchem Wandel der Begriff unterliegt
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Die Verwirklichung der Karriere als Begriff unterliegt einem historischen Wandel. Hatte man bis zum frühen 19. Jahrhundert ohne eine Anstellung an Kirche oder Hof keine Möglichkeit als Musiker zu leben, so änderten sich diese Bedingungen im Laufe des 19. Jahrhunderts hin zur freien und selbständigen Berufsausübung. In der Tradition dieser Anstellungsverhältnisse galt auch im 19. Jahrhundert ein umfassendes Verständnis des Musizierens: Man konnte immer „alles“. Man komponierte, unterrichtete, managte, dirigierte und spielte solistisch verschiedene Instrumente. Basis für diese Identitäten war immer der je spezifische kulturelle Hintergrund, und damit meine ich das Bildungsverständnis. Das Leben als freier Künstler war genauso umfassend, nur ohne die Sicherheit des Gehalts, und erst im 20. Jahrhundert hatte man überhaupt die Möglichkeit, rein solistisch in Erscheinung zu treten.

Der Mythos des Starsolisten etablierte sich zunehmend und wurde zum Ideal der solistischen Ausbildung. Die Verdrängungspsychologie der Nachkriegs-BRD wollte diesen Mythos, er war Teil des allgemeinen Verdrängungsprozesses. Personen wie Elly Ney oder Wilhelm Kempff boten dabei hervorragende Projektionsflächen. Es war undenkbar, dass jemand wie Kempff etwas „Weltliches“ tat, also noch etwas anderes, als Klavier zu spielen, darüber nachzudenken, hin und wieder etwas zu komponieren und ansonsten vor vollen Konzertsälen aufzutreten. Das Publikum wollte es genau so und nährte den Mythos durch seine Präsenz. Erst langsam entwickelte sich der Raum für außerpianistische Leistungen die vom Publikum akzeptiert wurden, wie Brendels schriftstellerisches oder Badura-Skodas musikwissenschaftliches Arbeiten, ohne dass die pianistische Höchstleitung dabei in Frage gestellt wurde. Die so diversifizierte Karriere blieb aber lange Zeit die Ausnahme, das reine Starpianistentum die Regel.

Kampf ums Publikum

Nun kommt es aber seit Jahren zu neuen Herausforderungen, denn um das Publikum muss plötzlich geworben werden. Publikumsschwund und die damit gefährdete Grundlage jeder Solistenkarriere, ist ein wohl bekanntes Phänomen. Die Daseinsberechtigung der klassischen Live-Musik scheint zu schwinden. Und die Gründe? – Während sich die Musikschulen eines regen Zulaufs erfreuen, fehlt es an den allgemeinbildenden Schulen, vor allem an den Grundschulen, in verheerender Weise an der musikalischen Bildung.  Ich verweise auf die entsprechende Studie der Bertelsmannstiftung: „An deutschen Grundschulen fehlen 23.000 ausgebildete Musiklehrer – Tendenz steigend.“ Die Musikschulen können in der Quantität nicht den Verfall der allgemeinen musikalischen Bildung aufhalten, und diese stellt die nötige Publikumsmenge, um eine lebendige Kulturlandschaft aufrechtzu rhalten. Es wäre nötig, die Musik als selbstverständliches Bildungselement im Kanon zu halten, ohne dass Eltern sich aktiv dafür entscheiden und die Kos­ten tragen müssen.

Beliebtheit des Klaviers

Das beliebteste Instrument an den Musikschulen ist dabei immer noch das Klavier. Mein Gebiet ist ja der Klavierberuf in allen seinen Facetten. Meine Forschungsarbeit der letzten Jahre im Rahmen meiner Dissertation beschäftigt sich mit den Vorstellungen und den Bewußtseinsinhalten der höchstausgebildeten Konzertpianistinnen und -pianisten, also mit Konzertexamen, in der Lebensmitte. Die Frage ist: Wenn man seine Lebenszeit damit verbracht hat, auf allerhöchstem Niveau Klavier zu spielen, wo bleibt dann die Kontaktmöglichkeit zum Publikum und zur Berufswirklichkeit? Was ist zu tun, damit man Publikum bekommt?

Die Konzertsäle vor 50 oder 60 Jahren waren noch voll, und das hat etwas mit der Gebildetheit derer zu tun, die sich dort versammelt haben. Und diese Menschen waren von Kindheit an mit der klassischen Musik in Berührung. Ob sie sie mochten oder nicht, ist eine andere Frage.

Man muss also Wege finden, das neue Publikum, das diese frühe Begegnung mit der Musik nicht hatte, zu begeistern, zwei Stunden lang beispielsweise Klaviermusik zu hören, und dafür auch noch Geld auszugeben.
Hier wird schon klar, dass die Karrieremerkmale des 20. Jahrhunderts sich deutlich verändert haben. Klavier zu spielen alleine genügt nicht mehr, so gut es auch sein mag. Aber: man muss auch wissen, dass es nicht genügt. Es genügt allerdings leider auch nicht mehr, eine Homepage zu erstellen oder eine CD aufzunehmen. Man muss die Marketingstrukturen permanent reflektieren- was man früher nicht nötig hatte. Es ist nicht allein die Präsenz in den sozialen Medien, nicht die pekuniäre Investition in PR und Management, nicht das Verschicken von Programmvorschlägen. All das hat man mit anderen Gewichtungen „früher“ auch gemacht, bzw. die Agentur, bei der man unter Vertrag war, kümmerte sich um all das, denn es wurde durch Konzerteinnahmen finanzierbar. Es ist etwas anderes, was die neue Erfolgsdefinition sein sollte: die Verantwortung für die Musik im gesellschaftlichen Kontext.

Karriere und Gesellschaft

Das bedeutet, den Blick von der eigenen linearen Karriere abzuwenden, und es bedeutet vor allem, bereit zu sein, den Karrierebegriff neu zu definieren. Das bedeutet aber keineswegs, keine Karriere anzustreben. Die Strukturen des Marktes haben sich im Vergleich zu früher fundamental verändert und verändern sich gegenwärtig und für die Zukunft in immer rasenderem Tempo. Natürlich ist der Gewinn eines großen Wettbewerbs ein mögliches Sprungbrett. Ob daraus eine nachhaltige Karriere wird, ist aber bei Weitem nicht garantiert. Zum einen gibt es mittlerweile ca. 900 Klavierwettbewerbe auf der Welt und zum anderen rückt bei jedem dieser Wettbewerbe im nächsten Wettbewerb der vorige Gewinner in die Vergessenheit. Wettbewerbe sind eine gute Trainingsmöglichkeit, eine gute Plattform, um Kontakte zu knüpfen, aber keine Garantie für eine jahrzehntelange Konzerttätigkeit.

Und was bleibt dann? Die Klavierbranche, und diese ist ja vornehmlich immer wieder Gegenstand meiner Forschungen, orientiert sich immer noch an den Idealbildern der 1950er bis 1980er Jahre. Horowitz und Rubinstein, Gilels und Richter, Brendel, Badura-Skoda und Gulda, Argerich und Pollini- das sind immer noch die Legenden der Klavierkultur, die der jetzigen Pianistengeneration als Vorbild dienen. Es ist die isolierte pianistische Karriere, das Klavierspielen ohne jegliche Intervention in der Herrlichkeit der Selbstdefinition. Es gibt natürlich auch eine jetzige pianistische Starliga, aber sie ist immer wieder durch andere Newcomer, allein schon durch die Wettbewerbskultur, bedingt, gekennzeichnet. Natürlich gibt es Kissin, Grimaud, Lang Lang und Levit, aber auch sie kommen aus einer anderen Zeit und haben sich keineswegs nur durch rein pianistische Kriterien profiliert. Für die Hochschulabsolventen bedeutet das weder, dass man verzweifelt nach einem Selling Point bei sich sucht, noch dass man halbe Tage damit verbringt seine selbstgemachten Videos im Internet zu promoten, noch dass man zehn Stunden am Tag übt und von Wettbewerb zu Wettbewerb reist. Die Lösung liegt darin, von Anfang an das Bewusstsein zu entwickeln, dass man wieder Musiker und Musikerin ist – mit allen Facetten und in jeder Hinsicht. Und dieses Bewusstsein zu entwickeln ist auch Aufgabe der Lehrenden, das Gespräch über das Berufsbild gehört in den Unterrichtsraum der Musikhochschule.

Unterrichten als Notlösung

Es geht für die Pianistinnen und Pianisten darum, breiter aufgestellt zu sein, andere Fähigkeiten neben den virtuosen Fähigkeiten zu kultivieren, und damit meine ich nicht nur das Unterrichten. Das Unterrichten wird leider oft als Notlösung gesehen, weil man es nicht „geschafft hat“ und ich lasse offen, welche Konditionierungen im Unterricht damit weitergegeben werden könnten. Die eigene Konditionierung auf Erfolg muss hinterfragt werden und die Quellen dieser Konditionierung müssen angezweifelt werden. An dieser Stelle schaue ich auf das gesamte Ausbildungssystem im musikalischen Hochleistungsbereich, sei es an Precolleges oder an den Musikhochschulen: Die Wertung der Qualitäten – hier die mit Aussicht auf Karriere und dort diejenigen die „nur“ unterrichten werden – führt zu falschen Vorstellungen des Berufslebens. Unterrichten ist keine Notlösung, sondern die wichtigste Aufgabe, die man als hochqualifizierter Musiker überhaupt haben kann. Und dieser Wert sollte schon von Anfang an mitvermittelt werden. So wie man in der Musikausbildung die Pflicht vermittelt bekommen muss, später gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen und nicht nur auf die eigene Karriere bedacht zu sein. Es muss im Bewusstsein verankert und selbstverständlich werden wie das Üben selbst. Das ist kein Plan B sondern der Plan A.

Was ist also eine Karriere? Es ist ein Lauf ins Ungewisse, wenn wir uns an den lateinischen Ursprung des Wortes erinnern (Karriere bedeutet dem Wortsinn nach „Fahrstraße“, lateinisch carrus: „Wagen“) Das bleibt auch so, aber der Karrierebegriff muss dringend neu definiert werden. Es geht darum, was man als hochqualifizierter Musiker über sein eigenes Können hinaus zur Bedeutung klassischer Musik in der Gesellschaft beitragen kann. Neben der Performance bleibt ein unendliches Feld an Aufgaben und Möglichkeiten, die entdeckt werden müssen. Wir selbst müssen dazu beitragen, dass der Instrumentalunterricht und alle anderen pädagogischen Wirkungsstätten gesellschaftlich an Wertschätzung und Anerkennung gewinnen, und dass Musik wieder selbstverständlicher Teil der Schulbildung wird. Vor allem aber muss eines geschehen: Der Nimbus des „Nichtgeschaffthabens“ muss aus den Köpfen verschwinden. Aus den Köpfen der Rezipienten und aus den Köpfen der hochqualifizierten Absolventen.

 

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