Zum ersten Mal saßen sie auf einer Bühne zusammen: die Spielerinnen und Spieler des Saitenensembles Steglitz und des Instrumentalensembles Pandurina, zweier führender Berliner Zupforchester, die bis zur Wiedervereinigung in Ost- beziehungsweise Westberlin verortet waren. Die Orchester sind fast gleich alt, gleich besetzt, und sie werden seit beinahe zehn Jahren vom gleichen Dirigenten geleitet. Sie repräsentieren die musikalischen Gemeinsamkeiten der vormaligen beiden Stadthälften und bewahren die positiven Traditionen der Zupfmusik in Berlin.
Die „Tage der Chor- und Orchestermusik“, die vom 4. bis 6. März in Eberswalde stattfanden, boten den günstigen Anlass, unter dem Namen „Ost-West-Saitenensemble“ gemeinsam zu musizieren. Von Bedenken, Vorbehalten, Ressentiments war nichts zu spüren, die Spielerinnen und Spieler verstanden sich auf Anhieb. Ein Orchester spendierte die Pultmappen, das andere die Binder und Schals, und es war nicht mehr zu sehen und zu hören, wer woher kam.
Der große Vorteil solcher Projekte ist der Zugewinn an spielerischem Vermögen durch Austausch von Stücken und spielpraktischen Erfahrungen. Und auch die schiere Zahl spielt eine Rolle: Was bei zwei oder drei Mandolinen pro Stimmgruppe blechern und „dünn“ klingt, beginnt sich bei sechs bis acht Spielern zu runden und zu glätten.
19 Musiker und Musikerinnen gründeten am 28. Januar 1983 das Saitenensemble Steglitz. Inzwischen sind Spieler/innen aus Ost und West hinzugekommen. Ausgewählte Gäste sowie hochkarätige Gesangssolisten vervollständigen das Konzertrepertoire. Zahlreiche Auftritte führten die Mitglieder mehrmals in den Britzer Garten, zur Schlössernacht in Potsdam, in die Schlosskirche Neustrelitz, in das Schloss und den historischen Pferdestall Britz sowie an zahlreiche andere Orte in Berlin und Brandenburg. Das SES hat sich schon an drei Opern herangewagt und wird 2017 ein Luther- Projekt starten. Als Verein ist das Orchester Mitglied im Brandenburger Tonkünstlerverband und der Musikschule Steglitz-Zehlendorf angeschlossen.
Das Instrumentalensemble Pandurina wurde 1986 im damaligen Institut für Lehrerbildung von Renate Haufe in Berlin gegründet und besteht seit 1991 unter dem Namen „Instrumentalgruppe Pandurina e.V.“ Derzeit musizieren im Orchester 17 Spieler verschiedenen Alters und beruflicher Qualifikation. Pandurina hat sich schon zweimal mit dem Thema der Wiedervereinigung beschäftigt, einmal in Form der Mitwirkung an einer Produktion vom Deutschlandfunk Köln zum 50. Jahrestag des Beginns der deutschen Teilung und zum anderen mit der Produktion des überaus erfolgreichen Programmes „Ost- West-Notenbude“, das anhand scheinbar banaler Schlager und ähnlicher „Schmachtfetzen“ die deutsche Nachkriegsgeschichte Revue passieren ließ. Als Verein ist das Orchester Mitglied im Bund deutscher Liebhaberorchester und der Musikschule Berlin-Weißensee angeschlossen.
Das Zupforchester in der heutigen Form entstand Anfang des 19. Jahrhunderts im Gefolge der damaligen musikalischen Jugendbewegung. Die jungen Leute drängten hinaus aus den übervölkerten düsteren Proletenquartieren der Städte und suchten nach einer natürlichen Lebensweise. Sie fuhren in großen und kleinen Gruppen durchs Land und organisierten ihre eigenen Sommerlager. Immer dabei war die Mandoline als Symbol alternativer und unverdorbener (Volks-)Musik. Die Mehrzahl der damals jungen Musik-Azubis studierte nicht Musik, blieb aber bei der Sache und bildete selbst Nachwuchs aus, der wiederum Nachwuchs ausbildete. Die Besten studierten und übernahmen die Fortführung der Orchester. Zupforchester spielten bis zum zweiten Weltkrieg in riesigen Besetzungen (zwölf erste Mandolinen waren keine Seltenheit) vor Tausenden Menschen in jeder Stadt. Die Verlage stellten sich auf den Bedarf ein, die Komponisten und Bearbeiter auch. Und so entstand in Deutschland die wohl weltweit einmalig reiche Kulturlandschaft der Zupforchester.
Heute ist das Hauptproblem, dass die Mandoline, deren Klang die Menschen vor 100 Jahren noch „celeste“ (engelhaft, göttlich) nannten, im öffentlichen Konzertleben und vor allem auch in der Ausbildung der Kinder und Jugendlichen verschwunden ist. Der Bedeutungsgewinn, den die Gitarre in den 60er-Jahren durch Liedermacher, Beatmusik, Folklore und Rock’n’Roll schaffte, blieb ihr versagt.
Dass die Landesverbände und der Vorstand des BDZO unter festem Schließen der Augen und Zuhalten der Ohren dieses Problem tapfer verdrängen, ist zwar kaum verständlich, sollte aber als Tatsache in die eigenen Überlegungen einbezogen werden: Hilfe kann/sollte von dort nicht erwartet werden. Deshalb haben beide Orchester beschlossen, in bescheidener Form damit zu beginnen, selbst auszubilden, und die Kinder und Enkel der Mitspieler/-innen mit ihren musikalischen Fähigkeiten in den Orchesteralltag einzubeziehen. Und beide Orchester wollen die gemeinsame Konzerttätigkeit fortsetzen. Das freut vor allem den Dirigenten, der aus dem Vollen schöpfen kann, und das wird auch dem Publikum gefallen, denn der größere Klangkörper ist immer der interessantere Klangkörper. Das nächste gemeinsame Konzert ist auch schon für den Sommer ausgemacht.
Bis dahin gilt: weitermachen! Denn, so könnte man frei nach Carl Valentin sagen: „Musik ist schön, macht aber viel Arbeit“.