In musikpädagogischen Praxen haben wir es mit Dingen zu tun, die auch im Alltag als Dinge erkennbar sind wie zum Beispiel Notenständer, Musikinstrumente, Abspielgeräte, Tablets und wir haben es mit Dingen zu tun, deren Dinghaftigkeit sich nicht auf den ersten Blick erschließt, sondern in ihrer Besonderheit ergründet werden muss. Zu diesen besonderen Dingen gehören wie alle ästhetischen Artefakte auch Lieder und Musikstücke. Nicht alle Dinge machen wir uns zum Gegenstand, sondern oft sind die Dinge so eng mit den Handlungen und Tätigkeiten verschmolzen, dass sie keine eigene Aufmerksamkeit erfahren. Zum Kernanliegen musikpädagogischer Praxis gehört es, musikalische Artefakte zum Gegenstand der wahrnehmenden und reflektierenden Aufmerksamkeit zu machen. Dies geschieht, indem sie gesungen, musiziert, gehört, vielleicht auch gelesen oder im erinnernden Rückblick vergegenwärtigt werden. Digitale Medien spielen hierbei eine zunehmende Rolle. In dem Call for Papers wurde angeregt, theoretische oder empirische Forschungsansätze, die sich mit Beispielen, Phänomenen, wiederkehrenden oder neuen Konstellationen und Problemen in diesem thematischen Feld auseinandersetzen oder didaktisch-konzeptionelle Überlegungen und Fallbeispiele vorzustellen.
Doing Things
Auf der diesjährigen internen Arbeitstagung der GMP, die als Vorbereitung auf die Jahrestagung 2024 diente, kamen 20 Referenten und Referentinnen zusammen, um ihre ersten, als Exposés fixierten Ideen miteinander zu diskutieren. Ziel war es, gemeinsame Anknüpfungspunkte zu finden und gegebenenfalls die eigene Fragestellung zu öffnen für Bezüge zu anderen Ansätzen und Überlegungen. Mit der Sichtung der Ideen wurde zunächst eine große Vielfalt an Perspektiven offenbar, die einer vorgreifenden Gruppierung der Ansätze entgegenstand. Bei den Vorstellungen traten Verbindungen zwischen ihnen dann deutlicher hervor.
Eine solche Verbindung stellt die Frage nach dem antagonistischen Verhältnis zwischen dem Gegenstandsbezug musikpädagogischer Praxis und ihrer Prozessualität dar. In die Reflexion der Performativität musikpädagogischer Situationen ist die Frage nach dem Gegenstand einzubringen – und umgekehrt. Die Spannung, in der beide Blickwinkel zueinander stehen, wird besonders deutlich im Lernfeld der Improvisation, das üblicherweise mit Fluidität und Prozesshaftigkeit in Verbindung gebracht wird. Befragt auf ihre Gegenständlichkeit, treten Aspekte der Wahrnehmung sinnlicher Eigenschaften des Klanggeschehens hervor. Die sinnliche Dimension spontan entworfener Musik erfährt dabei in den digitalen Formen der Musikausübung eigene Ausprägungen, wie zum Beispiel im Live-Coding (just in time programming), bei dem die sinnliche Teilhabe über das Schreiben des Algorithmus vermittelt erfolgt.
Ein anderes musikpädagogisch aktuell interessierendes Problemfeld liegt in der Frage nach den Subjektpositionen im musikpädagogischen Prozess. Musikmachen mit anderen bedingt einen gemeinsamen Gegenstandsbezug, bei dem der Gegenstand in seiner Veränderlichkeit und Mehrdeutigkeit auch mit einer Veränderlichkeit der Subjektpositionen in Verbindung steht. Unter dem Stichwort Soziomaterialität kommt dabei auch die Bedeutung materieller Dinge für das Musiklernen im Unterricht in den Blick. Als eigensinnige Akteure, die menschliches Handeln beeinflussen, bieten Dinge einerseits Anhaltspunkte für die Rekonstruktion sozialer beziehungsweise musikpädagogischer Praktiken im historischen Abstand. Andrerseits bieten Musikinstrumente und Spieltechniken in ihrer buchstäblich materiellen Gegenständlichkeit Gelegenheit, Fragen der Historizität von Musik mit denen musikalischen Lehrens und Lernens zu verbinden.
Die aufgeworfene Vielfalt an Perspektiven zeigte sich verbunden mit einem breiten Spektrum an Wegen der wissenschaftlich-theoretischen Konzeptionierungen, die ihre Orientierungen in der philosophischen Reflexion und Kritik, der empirischen Annäherung, historischen Forschung oder auch in der didaktische Argumentation haben.
Über die Diskussion der eingereichten Exposés hinausgehend, widmete sich die Arbeitstagung zudem verteilt auf Gruppen zwei weiteren Fragen. Zum einen wurde erörtert inwieweit und in welcher Weise die Fragen nach der Gegenständlichkeit mit Erfahrungen aus der eigenen Lehrpraxis in Verbindung stehen. Hierzu entspann sich ein Gespräch über die Schwierigkeiten, in Lehre und Studium die pädagogisch-wissenschaftlich-künstlerischen Inhalte konkret zu verbinden und thematische Verknüpfungen so deutlich werden zu lassen, dass in die Reflexionsarbeit des einen Studienbereichs die des anderen explizit einfließt.
Zum anderen wurde im Ausgang von Derridas Überlegungen zur ‚unbedingten Universität‘ und Butlers darauf bezogene Thesen zu „Kritik, Dissens, Disziplinarität“ über Rahmenbedingungen des Gegenstandsbezugs musikpädagogischer Praxis im Kontext universitärer Autonomie nachgedacht.
Die Jahrestagung 2024 der Gesellschaft für Musikpädagogik zum oben genannten Thema findet vom 15. bis 17. März 2024 in Potsdam statt. Hinweise zur Anmeldung finden sich auf der Homepage https://www.gmp-vmp.de
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